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Außenpolitik
Frank-Walter Steinmeier schreibt über seine Arbeit in Krisenzeiten

Deutschland müsse international mehr Verantwortung übernehmen. Das ist die Botschaft von Außenminister Frank-Walter Steinmeier in seinem Buch "Flugschreiber". Viele Staaten vertrauten darauf, dass sich Deutschland für ein Netz aus Nachbarschaften einsetze.

Von Klaus Remme |
    Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) steht hinter dem Rednerpult des Bundestages in Berlin.
    Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Rednerpult des Deutschen Bundestages in Berlin (picture alliance /dpa /Bernd von Jutrczenka)
    Als Frank-Walter Steinmeier sich vor wenigen Tagen an der Seite der Parteivorsitzenden von Union und SPD als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten vorstellte, sagte er: "eigentlich nicht nötig, sie kennen mich als den, der abends in der Tagesschau zumeist mit schlechten Nachrichten daher kommt". Mal aus Kiew, mal aus Moskau, mal aus Mali. Dieses Buch handelt vom Reisen und vom Reden. "Beides zusammen ein Gutteil meines Alltags als Außenminister", schreibt Steinmeier gleich zu Beginn im Vorwort.
    Das Flugzeug als zweites Arbeits- und Wohnzimmer
    Und es stimmt ja, neben dem Amtssitz am Werderschen Markt sind die Luftwaffen-Maschinen der Flugbereitschaft eine Art zweites Büro für Steinmeier und angesichts der 400.000 Kilometer, die er jährlich durch die Welt fliegt, oft wohl auch Wohnzimmer. Doch Mitleid ist fehl am Platz, Steinmeier wusste wie kein anderer, worauf er sich einließ, als er im Dezember 2013 nach den Regierungsjahren 2005 bis 2009 ein zweites Mal Außenminister wurde. Bei seiner Antrittsrede im Weltsaal des Auswärtigen Amts schaute er zurück auf die erste Amtszeit. Damals sagte er:
    "Ich kann mich noch erinnern, dass einer meiner letzten Sätze war, die ich hier von diesem Podium gesprochen habe: 'Ich gehe, aber ich bin ja nicht aus der Welt'".
    Steinmeier freute sich auf die vor ihm liegende Aufgabe. Diese Rede vom 17. Dezember 2013 ist Ausgangspunkt des Buches. Viele Gedanken und Erinnerungen sind entlang zentraler Reden der vergangenen Jahre angeordnet, nicht zwingend chronologisch, nicht sortiert nach Geographie, sondern nach inhaltlichen Kriterien.
    Gesammelte Reden, Anekdoten und Fotos
    Die Themen haben programmatischen Charakter: "Wir suchen uns die Verantwortung nicht aus - die Welt fordert sie ein", so steht es über dem ersten Kapitel. Steinmeier schreibt in der Ich-Form, häufig erinnert der Stil an klassische Reiseberichterstattung, dann an Erläuterungen über deutsche Außenpolitik, wie wir sie von ihm aus dem Bundestag oder aus Interviews kennen. Dazwischen immer wieder Fotos und Anekdoten, Steinmeier vor der UNO-Generalversammlung, Steinmeier mit seinem Freund und Noch-Amtskollegen John Kerry in Boston mit Baseball und in Red-Sox-Jacke. Erinnerungen an Geschenke, wie dieses hier von John Kerry, Herbie Hancocks erste Platte, natürlich vom Künstler handsigniert, "to Frank Walter, all my Best!"
    Auch wenn der Wahlkampf hierzulande noch gar nicht begonnen hat und bis zum wahrscheinlichen Wechsel ins Bellevue auch noch ein Vierteljahr vergeht, ist das Buch zu einer Art Rückblick auf die zweite Amtszeit des Außenministers geraten. Natürlich auch ein Rückblick auf die dramatischen Momente, die Verhandlungen in Kiew im Februar 2013, als zeitgleich wenige Meter weiter Schüsse auf dem Maidan fielen und Todesopfer forderten. Die ganze Nacht wurde im Präsidentenpalast verhandelt. Steinmeier schreibt:
    "Meine Mitarbeiter hatten keinen Zugang zum Sitzungsraum, nur ein kleinster Kreis von Verhandelnden wurde hineingelassen. Die meisten meiner Mitreisenden mussten in einer zugigen, eiskalten Vorhalle warten. Ich hielt SMS-Kontakt mit ihnen, und von ihrer Stellung aus versuchten sie jeden Anhaltspunkt für mögliche Lösungen festzuhalten und auszuformulieren. Die Vorhalle war eine Art Rückzugsraum für die draußen kämpfenden Soldaten und Polizisten. Männer mit Schmauchspuren im Gesicht und Gewehren im Anschlag gingen ein und aus, völlig entkräftet sahen sie unter ihren Helmen aus."
    Rückblick auf ergebnislose und erfolgreiche Missionen
    Der Konflikt in der Ukraine - ein Beispiel für endlos frustrierende Momente in den zurückliegenden Jahren. Die Atom-Verhandlungen mit dem Iran - aus Steinmeiers Sicht, das Gegenteil. Der Beweis, dass in der Diplomatie Penetranz eine Tugend ist, wie es über einem weiteren Kapitel steht. Zehn Jahre hat Steinmeier die Iran-Verhandlungen bis zur Unterzeichnung des Abkommens begleitet. Über die Endphase in Wien schreibt er:
    "Am 28. Juni sind die Außenminister angereist, am 14. Juli wurde die Vereinbarung unterzeichnet. Währenddessen verlegten wir praktisch meine Amtsgeschäfte vom Werderschen Markt ins Wiener Hotel. Für bestimmte Einzeltermine sind wir nach Berlin geflogen, aber abends wieder zurück nach Wien. So ein Basislager ist in Zeiten der modernen Diplomatie eine große Ausnahme. Und ein gewisser Lagerkoller stellte sich nach einer Weile auch ein. Tagelang sahen wir kein rechtes Sonnenlicht, weil die Amerikaner aus Sicherheitsgründen alle Fenster hatten abdunkeln lassen. Dennoch vereinte alle Beteiligten das Gefühl, dass es sich lohnen würde, länger zu bleiben."
    "Die alten Kräfteverhältnisse sind unter Druck, neue mächtige Player sind auf der Weltbühne erschienen, vor allem, immer mehr und immer häufiger sind es nicht staatliche Akteure, die für Krieg und Gewalt verantwortlich sind, für die keine Regel zu gelten scheint, nicht einmal die Mindeststandards des Kriegsvölkerrechts."
    Steinmeiers Strategien gegen Reisestress
    Der Außenminister vor der Generalsversammlung der Vereinten Nationen in New York. Auch diese Rede aus dem Jahr 2015 findet sich im Buch. Die Generalversammlung, eine Art jährliches Hochamt für Diplomaten weltweit. Sitzungsmarathon in Manhattan! Auf die Frage, wie man das über Jahre hinweg aushalte, antwortet Steinmeier gerne: Westfälische Gene! Wer darüber hinaus etwas über die Reiseroutine des Außenministers erfahren will, wird in "Flugschreiber" fündig. Nein, noch nie sei es ihm passiert, dass er morgens in einem Hotelzimmer aufwache und nicht wisse, wo er ist. Die Koffer packt er selbst, Dauer: fünf Minuten. Jetlag? Unbekannt! Entspannungsrituale über den Wolken? Sicherlich:
    "Wenn das Reiseprogramm erledigt ist, wir zum Rückflug nach Berlin abheben und der Flieger in Südrichtung startet, gibt’s Gin Tonic als Malaria-Prophylaxe. Welcher Startwinkel noch als Südrichtung durchgeht, wird mittlerweile eher großzügig ausgelegt."
    "Die Welt ist aus den Fugen", in kaum einer Rede der vergangenen Jahre, fehlte dieser Satz des Außenministers und er findet sich auch in diesem Buch. Doch es sind wohl vor allem die persönlichen Eindrücke Steinmeiers, die das vertraute Krisenvokabular ergänzen. Die Erinnerung an die Terrornacht von Paris etwa, Steinmeier saß an der Seite von Präsident Hollande im Stade de France, als draußen vor dem Stadion Sprengsätze explodierten.
    Deutschlands internationale Verantwortung
    "Hüte dich vor den einfachen Antworten", - das war das Leitmotiv einer Rede vor Studenten in Tunis, am 24. Januar 2015, auch sie ist in "Flugschreiber" nachzulesen. Der Gast aus Berlin sprach über das Verhältnis von Religion und Demokratie. Sein Plädoyer: Religion verträgt sich nicht nur mit dem Alltag einer Demokratie, sondern kann ihn fördern! Zuvor hatte Steinmeier das Nationalmuseum von Bardo besucht, zwei Monate später drangen Terroristen ins Bardo-Museum ein, 22 Geiseln kamen ums Leben. Seine Frage, zwei Monate früher gestellt, wurde umso dringlicher:
    "Egal, wieviel Geld und Aufwand wir in den Sicherheitsapparat investieren, wir werden nicht jeden radikalisierten und gefährlichen Bürger überwachen können und deshalb müssen wir uns als Gesellschaft leider eine noch viel schwierigere Frage stellen: Wie kann es sein, dass so viele junge Menschen, die hier unter uns aufgewachsen sind, von Hasspredigern in den Bann gezogen werden?"
    Alles mündet aus Sicht Steinmeiers in der Verpflichtung Deutschlands, international mehr Verantwortung zu übernehmen. Die Passage einer Rede vor Studenten an der FU Berlin im Oktober 2015, auch sie ist Teil des vorliegenden Buches, klingt wie der Abschied eines vermutlich bald aus dem Amt scheidenden Außenministers:
    "Von meinen Reisen als Außenminister kann ich ihnen jedenfalls eines berichten: Viele da draußen in der Welt erwarten das von uns. Sie trauen uns Deutschen zu, gute Nachbarn zu sein und sie hoffen darauf, dass wir uns und demnächst Sie sich engagieren für dieses Netz aus Nachbarschaften, in dem wir leben und hoffentlich friedlich weiterleben werden."
    Frank-Walter Steinmeier: "Flugschreiber. Notizen aus der Außenpolitik in Krisenzeiten"
    Propyläen Verlag, 240 Seiten, 24 Euro.