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Außenseiter auf der Bühne

Sebastian Nübling hat mit dem "Jungen Theater Basel" schon einige erstaunliche Produktionen gestemmt. Nun hat er sich das Stück "Dear Wendy" vorgenommen und zeigt, wie sich die Faszination für Waffen auf eine Gruppe Jugendlicher auswirkt.

Von Christian Gampert | 07.05.2009
    Das Arbeiten mit Laien ist derzeit große Mode am Theater. Die Gruppe "Rimini Protokoll" lässt ihre "Experten des Alltags" schon seit Jahren ausschweifend zu Wort kommen, und Volker Lösch versammelt die Unterdrückten dieser Erde zu lautstarken Empörungschören in all jenen Staatstheatern, die sich von simpler Symbolpolitik verstärkte Medienaufmerksamkeit versprechen.

    Sebastian Nübling ist da vergleichsweise bescheiden. Der mittlerweile hochdekorierte Regisseur hat schon zu seiner Hildesheimer Zeit Jugendliche dazu ermutigt, sich fremde Rollen, fremde Existenzen anzueignen. Für solch sozialpädagogische Projekte winken wenig Lorbeeren, aber Nübling ist da konsequent: Das Basler "Junge Theater", eine Art Jugendtheater-Club, darf mit seiner professionellen Hilfe rechnen.

    Lars von Triers "Dear Wendy" ist insofern ein Wagnis gerade für jugendliche Schauspieler, als es in diesem Drehbuch um die Faszination von Waffen geht – Wendy ist eine Pistole, die Hauptfigur hat eine Art Liebesbeziehung zu ihr, sie macht ihn stark, mit ihr geht er in den Tod. Der Basler Schauspiel-Chef Elias Perrig schwört Stein und Bein, man habe das Stück schon weit vor Winnenden auf den Spielplan gesetzt – aber die Assoziation zu dem schwäbischen Amoklauf stellt sich von allein her.

    In Basel allerdings wird (auch auf der Bühne) nicht Schwäbisch, sondern Schwyzerdütsch gesprochen. Das führt dazu, dass man als deutschsprachiger Ausländer nur die Hälfte versteht; andererseits klingt das alles dialektal heimatlich, nett und beschaulich, was diese Jugendgang, die "Dandies", da aus purer Neugier an Gewaltsamkeiten und Positionskämpfen in der Peer-Group ausprobiert – und das ist natürlich ein schöner Trick des Regisseurs: erstmal ganz harmlos tun.

    Die amerikanische Lebensart, die die Basis des Films von Thomas Vinterberg und Lars von Trier bildet, die kindlich-aggressive Waffenvernarrtheit der Amerikaner wird hier heruntergebrochen auf ein braves Schweizer Pfadfinder-Niveau. Es sind lauter provinzielle Loser, die sich da zu grotesken Schießübungen zusammentun. Eigentlich sind wir Pazifisten, so die Botschaft, aber so eine Waffe gibt uns Sicherheit und macht uns bedeutsam. Die Knarre ist Partner und Partner-Ersatz, sie ist Kult, und die quasi-religiösen Rituale, die wir um sie herum aufführen, geben unserem Leben Sinn, und mitten im Leben sind wir fasziniert vom Tod. Ein Pubertätsdilemma.

    Sebastian Nübling lässt seine Basler Jugendlichen vor der nackten Brandmauer zunächst als Phalanx agieren, die nur Text aufsagt. Später, als es in die Natur, in den Wald zum Campen geht, wird es viel körperlicher. Und die üblichen Musikeinlagen dürfen auch nicht fehlen.

    Im Wald, da sind Schillers Räuber (das ist ein bisschen die Anspielung). Und die Hardrock-Liebhaber und Waffen-Fetischisten, Naivlinge, die mit dem Feuer spielen: der ehemalige Supermarkt-Jobber Nick, Louis mit den Beinprothesen, Sarah mit den zu kleinen Brüsten. Es kommt, was kommen muss: ein knallharter Showdown. Die Jugendlichen fühlen sich berufen, einem alten Mann Waffenschutz zu geben; die Polizei greift ein, und Nübling inszeniert dieses tödliche Geballer als die ständige, zuckende Wiederauferstehung der bereits getöteten Revolverhelden.

    Der Abend hat Längen, aber die Basler Jugendlichen spielen voller Engagement, unterstützt von zwei Profis. Die kalte Faszination an Waffen, die uns angeblich stärker machen, wird immer wieder ironisiert – und erweist sich dann doch als übermächtig und stark. Ein Laientheater-Experiment, zur Nachahmung empfohlen.