Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Ausstellung
Erforschung der Schulgeschichte

Wie Schulunterricht früher aussah zeigt eine Ausstellung an der Unibibliothek Trier: Hier werden Schulbücher, Klassenhefte und Fotos präsentiert. Besucher können Artefakte der Bildungsgeschichte erkunden - einige davon mit Parallelen zu heutigen Debatten über gelingenden Unterricht.

Von Anke Petermann | 19.11.2019
Zwei Kinder beim Abschreiben
Die neu eröffnete Ausstellung zeigt Unterrichtsmedien aus zwei Jahrhunderten (imago stock&people)
In einer Ausstellungs-Vitrine der Unibibliothek Trier liegt ein Foto von Anfang der 1930er Jahre. Es zeigt lebhaft diskutierende Schülerinnen in Berlin-Charlottenburg, in ihrer Mitte ein junger Lehrer. Die Fotografie wirft ein Schlaglicht auf den Politikunterricht der damaligen Zeit. Matthias Busch, Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften:
"Lehrer und Lehrerinnen, die Politik im Unterricht thematisieren wollten, standen in der Weimarer Republik vor der Herausforderung, dass die parteipolitische Zersplitterung, die Radikalisierung in der Gesellschaft es immer wieder schwerer machte, politische Themen objektiv zu sehen. Und nach langen Versuchen kommt man dann auf die sogenannte ‚Kontradiktorik‘, indem nämlich, wie hier zu sehen ist, ein Lehrer mit seinen Schülerinnen Zeitungskunde betreibt, indem sie in einer aktuellen Stunde aktuelle Themen kontrovers diskutieren und im Unterricht die gesellschaftliche Kontroversität repräsentiert wird."
Gerade in den drei geisteswissenschaftlichen Fächern Deutsch, Geschichte und Politik spiegele sich die Bildungsgeschichte eindrücklich wider. Deshalb haben Matthias Busch und Anke Wegner als Archiv-Initiatoren diese Trias aus dem Fächerkanon ausgewählt:
"Ich persönlich bin eine sogenannte Schulbuchforscherin. Wir erweitern jetzt hier unsere Perspektive auf die Dokumente von Schülerinnen und Schülern und von Lehrpersonen. Das ist für mich Neuland, aber eben auch für mich sehr spannend, und ich hoffe, dass das auch für die Studierenden noch mal eine neuer Schritt ist, das eigene Fach, den eigenen Beruf zu sehen."
Meint Anke Wegner, Professorin für Didaktik der deutschen Sprache und Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. Judith Bunde, Lehramtsstudentin der Anglistik und Politik wirft gerade einen Blick in die neu eröffnete Ausstellung:
"Im Großen und Ganzen interessiert mich, wie die Schulbücher damals aussahen und was sich geändert hat, weil ich ja selber mit Schulbüchern und Schulmaterialien arbeiten werde. Auf jeden Fall lernt man aus der Geschichte und ich denke, dieses Material kann einem helfen."
Helfen, Unterrichtsprobleme zu lösen, meint Bunde.
Interviews mit Spendern
Aus den Sachspenden formieren die Professoren Busch und Wegner nicht einfach eine antiquarische Sammlung, sondern sie stellen die Einzelstücke in Zusammenhänge. Matthias Busch deutet auf ein vergilbtes Papier in einer Vitrine:
"Ein Artefakt einer Schülerin aus den 1950er Jahren, in dem Regeln für die Auseinandersetzung mit dem ‚Gegner‘ formuliert sind, also demokratische Regeln für den Klassenverband, und ein Hintergrundgespräch mit der Schülerin, die mittlerweile 75 Jahre alt ist, hat dann gezeigt, dass der Lehrer ein Alt-Nazi war, der diese Regeln am Anfang zwar diktiert hat, weil er sie diktieren musste, es anschließend im Unterricht aber überhaupt nicht umgesetzt hat, sondern seinen alten Stil weiter gepflegt hat. Und das lässt sich auch durch solche Interviews, die wir zum Teil mit den Spendern und Spenderinnen führen, rekonstruieren und macht es wiederum für die Studenten so spannend."
Die Trierer Professoren und Archiv-Initiatoren Anke Wegner und Matthias Busch mit Uni-Bibliothekarin Tanja Klöpfel vor Wandkarten und Vitrinen mit Unterrichtsmedien aus zwei Jahrhunderten
Die Trierer Professoren Anke Wegner (links) und Matthias Busch (mittig) mit Bibliothekarin Tanja Klöpfel (rechts) (Deutschlandradio / Anke Petermann)
Aber nicht nur für sie, sondern auch für Wissenschaftler anderer Hochschulen. Das Archiv lade dazu ein, international vernetzt zu erforschen, wie unterschiedlich Inhalte didaktisch aufbereitet wurden, findet Dominic Harion vom Lehrerbildungszentrum der Uni Luxemburg:
"Und das ist eines der ganz, ganz großen Geschenke, die so ein Archiv bereithält, weil wir damit einfach verdeutlichen können, wie werden bestimmte politische, im weitesten Sinn auch ideologische Inhalte mit vermittelt und wie können wir Bildung auf eine bestimmte Art und Weise für die Zukunft strukturieren."
Sogenannte Rundfunk-Klassen und Radio im Unterricht waren in der Weimarer Zeit als medienpädagogische Revolution ebenso umstritten wie heute Tablet-Klassen und Digitalisierung in der Schule. Daran erinnert eine Werbeanzeige für den Rundfunk vom Ende der 1920er Jahre. Und, so Professor Busch:
"Die Angst, die gleichzeitig dabei bestand, war, dass der Schulfunk-Lehrer wesentlich besser sein könnte als der herkömmliche Lehrer und damit die Autorität des Lehrers im Klassenraum untergraben werden könnte."
Die heutige Kontroverse um YouTube-Pädagogik hat also durchaus einen historischen Vorläufer. Zu den aktuellen Debatten um gelingenden Schulunterricht finden sich noch mehr Entsprechungen im neuen Trierer Archiv.