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Ausstellung in Herford
Globaler mobiler Klang im Fokus

Die Macher von "Booster - Kunst Sound Maschine" haben sich mit mobilen Soundsystemen auf der ganzen Welt beschäftigt. Klingende Robotik, "klangsoziologische" oder regionalethnologische künstlerische Forschung oder Spielerei. Skulpturen, Videos, Fotos und Performances. Der Ansatz ist global: Möglichst alles zu zeigen, was beim mobilen Klang eine Rolle spielt.

Von Peter Backof |
    "Natürlich kennen wir das aus der Popmusik. Wir brauchen das, damit das Konzert auch ordentlich rumst. Eine Überwältigungsmaschinerie. Also der Zuhörer ist erst mal klein: Weil wir gegen 40.000 Watt nichts mehr sind."
    Mit Marta-Leiter Roland Nachtigäller unterwegs in der Schau. "Booster" ist mit seinen rund 50 Positionen zunächst einmal Konfiguration von allen möglichen Lautsprechern. Die Trichter der Subwoofer, die Lautsprecherhörner: selber Skulpturen in mattem, samtigen Schwarz. Wir können uns sehr gut vorstellen, welchen Schalldruck uns ein Speaker mit dreißig Zoll Durchmesser in den Solarplexus rammen könnte.
    "Der große Basslautsprecher ist auch immer die Machogeste gewesen, im gepimpten Auto zum Beispiel. Wer am Lautesten war, der hatte erst mal die Hosen an."
    40.000 Watt Anlage aus Mexiko-Stadt
    Den tiefergelegten Proletenporsche, aus dem es potent und enervierend wummert, gibt es dann auch zu sehen, aber beeindruckt sind wir zunächst von einer anderen Soundwand: Eins zu eins hat der von Mexiko-Stadt aus weltweit provozierende Santiago Sierra eine dieser kapitalen 40.000 Watt Anlagen ins Marta Herford gestellt, wie sie üblicherweise von Musik-Festival zu Festival verpflanzt werden. Die Roadies, die die Boxen in luftiger Höhe montieren, möchten wir uns dazu denken. Naheliegend, dass ein politischer Aktionskünstler daraus dieses tönen lässt:
    Also in etwa die Geste von Jimi Hendrix, der beim Woodstock-Festival Vietnam-Sturzbomber parodierte. Nur Plakativer. Martialisch eingefärbt ist die ganze Atmosphäre von "Booster" schon allein deswegen, weil hier Arbeiten ausgestellt sind, die sich auch mit der konkreten militärischen Nutzung von Klängen befassen. Das britische Zwei-Mann-Team "AUDINT" etwa, mit einem Bild-Dossier, wie zum Beispiel nicht mehr hörbare, aber sehr wohl spürbare, Subbassfrequenzen Menschen beeinflussen, schädigen. Musik als Waffe, quer durch das 20. Jahrhundert bis zur musikalischen Folter in Guantanamo. Vergleichsweise possierlich stellt uns Co-Kurator Nik Nowak aus Berlin seinen "Panzer" vor:
    Nik Novak: "Ein Soundsystem mit 4.000 Watt, drei 18 Zoll Subwoofern, sechs 12 Zoll Membranen und vier Hochtönern."
    Das Kaliber dieser Drohne, die Musik machen kann und eigentlich nur ein mit Synthesizern und Samplern aufgerüsteter japanischer Kleinlaster ist. Wegen der Ketten, in jedem Gelände mobil, daher der einleuchtende Name: Panzer. Vieles politisch munitioniert, obwohl es oft aus einem harmlosen popmusikalischen oder popkünstlerischen Kontext stammt. Wir hören, schon draußen vor dem Eingang, dieses:
    Mobil gewordenen Privatsphäre
    Und müssen an einen Geigerzähler denken, oder? Das Ticken aus einem Schalltrichter, den Tamara Grcic aus München in einem Wohnwagen versenkt hat. Ansonsten ist der Wohnwagen verrammelt. Sehr schön ironisch: Wir lauschen einer mobil gewordenen Privatsphäre.
    Nik Nowak archiviert seit Jahren Bild- und Ton-Material: Alles, was klingt und sich dabei bewegt. Von der Jahrmarktsorgel aus dem niederländischen Theatermuseum und den Trio Elétricos, den Lautsprecher-Schwerlastern im brasilianischen Karneval, Prototypen mobiler Soundsysteme seit den 1950ern, bis zum schrillen Objekt.
    Die meisten Arbeiten stammen aus den letzten fünf Jahren. Nik Nowak ist Roland Nachtigäller vor zwei Jahren begegnet und sie beschlossen, diese große Schau zu machen.
    "Da ist ein Baugerüst, was aber Musik macht wie eine Orgel, von Massimo Bartolini, das einen kirchenorgelähnlichen Sound erzeugt, den man dieser Konstruktion gar nicht so zumuten würden. Also ein ganz erhabenes musikalisches Erlebnis."
    Keine museumswürdige Klangkunst
    Da ist, erst kurz vor Eröffnung fertig geworden, ein motorisierter Schlitten, dessen Lautsprecher die Besucher mit ihrem Smartphone ansteuern können, als Megafon auf Kufen. Gibt es ein solches Gefährt wirklich, für die Bergung von Lawinenopfern etwa oder aktuell in Sotschi, Produktdesign oder Kunst? Gute Frage, die man sich in dieser Ausstellung immer wieder stellen muss. Es geht Roland Nachtigäller nicht um museumswürdige Klangkunst:
    "Für mich persönlich sind die Bereiche, in denen künstlerische Arbeit und Gestaltung von Lebensraum, damit also Design, sich verwischen und vermischen, interessant. Warum sind wir so fixiert darauf zu fragen: Ist das jetzt Kunst? - Was macht das? Letztendlich ist es uninteressant. Es geht darum, dass das eine Bedeutung hat. Dem sind wir auf der Spur."
    Auch ein Handy ist ein mobiles Soundsystem
    Das gelingt. Wir sehen ein frisches Varieté als Kommentar zum großen Metathema mobiler Sound, das unsere Lebenswelt immer mehr ausmacht: Wer unterwegs Musik aus dem Handy konsumiert, wird selbst zum mobilen Soundsystem. Als Performance, eine, das muss man sagen, geniale Arbeit: Beim britischen "Nomadic Sound System" rollt ein Darsteller einen "smart" angesteuerten Lautsprecher, aus dem die Basstrommel tönt, ein zweiter trägt entsprechend die Hit Hat. Und so weiter. Bis das ganze Technostück, kubistisch verschachtelt und in sich beweglich, entsteht. Die letzte, derzeit technisch machbare, Konsequenz beweglichen Klangs. Und das dann doch wieder, in der Performance, sozusagen handgemacht. Wir sind begeistert.