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Ausstellung in Nürnberg
Paparazzi-Fotos auf Leinwand

Seine Motive stammen aus dem Internet, er malt Paparazzi-Fotos und Inneneinrichtungen. Der Künstler Johannes Kahrs überträgt die mediale Glamour-Welt auf die Leinwand. In Nürnberg sind nun viele seiner Arbeiten zu sehen.

Von Thomas Senne | 02.04.2014
    "Tropical Nights" - Nächte in den Tropen: Süße Cocktails und heiße Temperaturen? Fehlanzeige! Denn Tropen meint nicht nur eine bestimmte Klimazone auf unserem Globus, sondern auch im übertragenen Sinn gebrauchte Ausdrücke - Bilder. Und davon stellt Johannes Kahrs jetzt einige mit ihren verschiedenen Deutungsebenen in Nürnberg vor – auf Leinwänden.
    "Sein Werk umfasst eigentlich alle Bereiche der Malerei, alle Sujets: Porträt, den Akt, die Figur, die Büste, aber eben auch Interieurs, Landschaften. Letztlich sind das sehr verschiedene Sujets. Aber: Sie haben eben Gemeinsamkeiten."
    Und damit meint die Kunsthallen-Chefin Ellen Seifermann nicht nur eine gewisse Unschärfe, die all diesen Ölgemälden gemeinsam ist, sondern auch, dass die Vorlagen dazu aus unserer heutigen Medienwelt stammen: aus dem Worldwideweb ebenso wie aus Illustrierten oder Boulevardblättern mit ihren hastig geschossenen Paparazzi-Fotos.
    Kein Wunder, dass da auch Amy Winehouse in Schwarzweiß auf einem Großformat des in Berlin lebenden Künstlers auftaucht. Ausstaffiert im Alltagsoutfit mit weißem Minirock blickt sie etwas überrascht zur Seite – auf eine dunkel gebliebene Fläche der Leinwand, als ahne die Sängerin etwas von ihrem späteren Schicksal.
    "Man könnte sagen, die Auswahl von Bildmotiven anhand von Filmstills, von eigenen Fotos, von Fotos aus ’m Magazin, aus dem Internet alles Mögliche, ist schon mal ’ne Vorarbeit für die Malerei. Übersetzt wird dann eben nur der Teil des Gemäldes, den Kahrs für sich adaptiert und in der Malerei auch ein Stück weit transzendiert, auflädt mit Fragen, mit neuer Bedeutung, Dinge wegmalt, also wo sozusagen das Foto eine Verwandlung erfährt."
    Zeitungsfotos als Motivvorlagen
    Das Schlafzimmer von Michael Jackson hat der aus Bremen stammende Maler nach einem überbelichteten Zeitungsfoto zwar mit all dem dort zu sehenden neobarocken Pomp widergegeben, in seinem Gemälde allerdings die Sauerstoffflasche weggelassen. Auf dem Pressebild stand sie noch griffbereit in der Nähe des "King of Pop": ein Symbol für seinen gesundheitlichen Verfall. Kahrs präsentiert in Nürnberg aber nicht nur Prominente, sondern auch Ausschnitte von Alltagsszenen ganz gewöhnlicher Menschen. Zerwühlte Betten mit nackten Körperteilen etwa oder das Bildnis einer wütenden Frau mit verquollenem Antlitz.
    "Momente, die wir eigentlich teilen, weil Kahrs es schafft in seinen Gemälden, die Figuren so nah in den Raum zu holen, in den Vordergrund seiner Bilder – es gibt eigentlich praktisch keinen Hintergrund, nur ganz selten mal -, dass uns die Motive, die Menschen, die Porträtierten total nahe kommen."
    Manchmal auch zu nah. So bei Sequenzen, die von Lust verzückte Gesichter zeigen: von Akteuren, die offensichtlich einem Pornofilm entsprungen sind. Auf diese Weise wird der Betrachter zum unfreiwilligen Voyeur.
    Die Bilder von Johannes Kahrs halten unserer medialen Gesellschaft den Spiegel vor, sind eine Aufforderung, die Produkte von Cyberspace und Printmedien etwas kritischer zu beäugen – um der Wirklichkeit jenseits von inszeniertem Glamour näher zu kommen und sich auch der eigenen Position dazu bewusster zu werden. Dennoch denunziert Kahrs die Figuren auf seinen Gemälden nicht, sondern umgibt sie mit einer Aura des Rätselhaften, die den Betrachter fesselt: Malerei, die heutige Internet-Ästhetik von YouTube und Co. raffiniert verwendet.