
Michael Köhler: Morgen, da wird die dritte Etage des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel der Öffentlichkeit mit einem großen Fest übergeben. So macht man das heute: mit einem Familientag. Das Neue Museum nach dem Umbau von David Chipperfield ist dann komplett. Schätze aus der Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit könne unter modernen Bedingungen bestaunt werden. Den Direktor der Sammlungen für Vor- und Frühgeschichte, Matthias Wemhoff, habe ich zuerst nach einem Skelett, einem sehr großen Skelett in der Ausstellung gefragt, nämlich wie kommt der Elch nach Preußen?
Matthias Wemhoff: Ja der Elch vom Hansaplatz, das ist so ein Fund, wie man ihn auch in Köln hätte machen können, nämlich der ist beim U-Bahn-Bau rausgekommen – allerdings schon 1953 und seitdem eine Berühmtheit in Berlin. Da ist man an eine Schicht gekommen, wo Tierknochen liegen, die vor 12.000 Jahren dort hingekommen sind. Und da sehen wir am Elch: Zu diesem Zeitpunkt wurde es in Berlin so warm, das Klima änderte sich und es entstanden eigentlich das erste Mal Umweltbedingungen, die Leben zuließen.
Köhler: Also nicht Energiewende, sondern Klimawandel schon in der Steinzeit?
Wemhoff: Das ist ein ganz großes Thema. Das ist überhaupt eines der wichtigsten Themen der Archäologie. Der Wandel des Klimas beeinflusst den Menschen, und das sieht man bei uns auch mit den Klimamodellen, mit den Entwicklungen tatsächlich. Und erst wenn es wärmer wird, dann ist tatsächlich auch eine permanente Anwesenheit von Menschen möglich. Und wenn es dann ganz warm wird, dann kommen wir auch so langsam in die Zeiten, wo dann eine feste Siedlung hier einsetzt.
Köhler: Die Frage nach dem Elch in Berlin sollte gar nicht so salopp sein, wie es vielleicht klingt, denn Sie sind nebenbei ja nicht nur Museumschef, sondern auch oberster Landesarchäologe. Jetzt sind Sie verantwortlich für Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit im Neuen Museum in Berlin. Das heißt, Sie sind nicht nur Archäologe, sondern auch Museumsmann und konkurrieren mit der Nofretete im Untergeschoss, Sie konkurrieren mit dem Chipperfield-Bau, wo jede Wand mit Einschusslöchern wie eine Reliquie behandelt wird. Wie stellen Sie jetzt Faustkeile, Schwerter, Tonscherben und Perlenketten aus, in Vitrinen? Muss ich mich wieder bücken so wie früher?
Große Blickfänge
Wemhoff: Erst mal ist es keine Konkurrenz, glaube ich, sondern es ist ein Miteinander. Das Ganze funktioniert nur, wenn man wirklich die Umgebung akzeptiert, das Haus auch als Objekt mit wahrnimmt und auf das Haus direkt plant. Insofern haben wir die Gestaltung von unten fortentwickelt, aber angepasst. Da sind jetzt eigentlich große Blickfänge, große Eindrücke, und das Einzelobjekt, das kleine archäologische Objekt, was es ja oft ist, die Pfeilspitze oder Ähnliches, der Faustkeil und Ähnliches, das ist eingebaut in letztlich ein Gesamtbild vor einem dunklen Hintergrund, sodass die Qualität des Einzelobjektes auch herauskommt.
Köhler: Am Anfang war die Hauswirtschaft, also eingebettet in Zusammenhänge des Lebens, in die Ökologie?
Wemhoff: Absolut! Die Ökologie und die Umwelt spielt eine große Rolle. Da haben wir sogar eine Neuentwicklung gemacht, die, glaube ich, gerade für Familien, für Kinder, aber auch für Erwachsene absolut faszinierend ist, nämlich wir haben seit Jahren eine Zeichnerin damit beschäftigt, in einer konkreten landschaftlichen Situation die Geschichte zu zeigen von der Steinzeit über die Bronzezeit in die Eisenzeit, wie verändert sich der Raum. Und die Menschen, die dort auftauchen, die sind ausgestattet mit den Gegenständen, die man in der Ausstellung sieht. Man kann sie da quasi wieder ein bisschen zum Leben erwecken.
Köhler: Die Eisenzeit auch so was wie ein historischer Moment des Kulturtransfers? Technologie, Waffen, Tongefäße, alles das entsteht und kommt vom Mittelmeer bis nach Preußen?
Wemhoff: Absolut! Das kann man so sagen. Das ist gerade etwas, was wir nur in Berlin, nur mit unserem Museum überhaupt in Deutschland und eigentlich europaweit zeigen können, weil wir eine Sammlung haben, die den gesamten europäischen Raum und die angrenzenden asiatischen Gebiete abbildet, sodass wir tatsächlich zeigen können, was passiert parallel in den verschiedenen Regionen und wo kommen die Einflüsse auch her. Ganz spannend: Wir haben am Ende in der Eisenzeit wunderbare Objekte, Hausurnen, Gesichtsurnen. Das sind so kleine Kulturgruppen im pommerschen Bereich und dazu gibt es Vergleiche, die einzigen Vergleiche im etruskischen Gebiet. Große Räume werden durchschritten und man kann sich fragen, wie kommt es zu solchen Beziehungen. Wir Archäologen wissen darauf noch keine Antwort.
Wir bleiben in der Chronologie
Köhler: Lassen Sie mich Sie an einer Stelle ein bisschen ärgern oder herausfordern. Die Szenografie ist so das brobate Mittel der Gegenwart für Museumsleute, die Dinge in Lebenszusammenhänge stellen, theatrale Landschaften zu entwickeln und - ich glaube, Sie machen es auch ein bisschen – eine Strukturgeschichte zu machen, wenn es um Totenkult geht oder Herrschaft und Kriegerelite oder um andere Themen, teilweise aus entfernten Epochen die Dinge zusammenzubringen. Ist das sinnvoll, Strukturgeschichte so zu machen und dadurch auch ein Stück weit zu enthistorisieren?
Wemhoff: Das versuchen wir gerade nicht zu machen. Wir bleiben in der Chronologie. Wir haben uns ganz bewusst dazu entschieden, kein Themenmuseum zu machen - das wäre natürlich auch möglich, Totenbrauch durch die ganzen Epochen -, sondern wir geben dem Besucher eigentlich Sicherheit. Er bewegt sich durch die Steinzeit in die bei uns wirklich spektakuläre Bronzezeit hinein und dann in die Eisenzeit und er merkt dann, wie sich etwas im zeitlichen Rahmen auch verändert. Natürlich kommt immer wieder das Thema Entwicklung von Herrschaft, Repräsentation, Eliten, Bestattungsbrauch, Religion als ein ganz wichtiges Thema, was sich durchzieht, aber in einem zeitlichen Kontext.
Köhler: ..., sagt Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, über Ebene III im Neuen Museum Berlin auf der Museumsinsel.
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