Archiv

Ausstellung von Künstlern aus der Golf-Region
Wegkommen vom einseitigen Blick

Die Villa Stuck in München zeigt derzeit Werke von zwölf zeitgenössischen Künstlern aus der arabischen Welt. Einzelschicksale und gesellschaftspolitische Strukturen sind in ihren Werken fast untrennbar miteinander verwoben. Die scheinbar zusammenhanglose thematische Aufbereitung ist die Stärke der Ausstellung.

Von Julian Ignatowitsch |
    Man kennt diese Bilder: Von Krieg und Zerstörung aus Damaskus oder Beirut, von Aufständen und deren blutiger Niederschlagung aus Teheran oder Kairo. Die Medien zeigen sie täglich. Der Nahe/Mittlere Osten und die drei großen Ks: Krise, Krieg, Katastrophe.
    Nicht hier. Wegkommen von diesem einseitigen Blick möchte die Ausstellung in der Villa Stuck und zeigen:
    "Dass es mehrere Bilder gibt, dass es immer mehrere Ebenen gibt, mehrere Meinungen. Und dass man auch viel erfahren kann, wenn man die Nebenwege oder die kleinen Sachen betrachtet."
    So Kuratorin Verena Hein. Common Ground oder Grounding heißt in der Kommunikationstheorie das Konzept eines gemeinsamen Wissensraums, der den Dialog zwischen Individuen und Kulturen gelingen lässt. Indem die Gesprächspartner kooperieren und sich gegenseitig helfen, den Anderen zu verstehen. Daran kann, so die These der Ausstellung, auch die Kunst mitwirken: am Dialog Ost-West. Zwölf zeitgenössische Künstler aus der arabischen Welt zeigen in ihren sehr unterschiedlichen Arbeiten sehr unterschiedliche Lebenswelten: Fotografien, Zeichnungen, Gemälde, Filme und Installationen - aus Ägypten, Libanon, Saudi-Arabien, Irak, Iran, Afghanistan und eigentlich der ganzen Welt.
    Bestes Beispiel: Ein Schiffscontainer, der so in Asien, Amerika oder Europa zu finden ist. Man hat die Mühe nicht gescheut, den Container bis ins zweite Stockwerk des ehemaligen Malerateliers Franz von Stucks zu transportieren. Babak Golkar reflektiert in seiner Installation "Loos Opium Den" den globalen Handel vor dem Hintergrund der beiden Opiumkriege im 19. Jahrhundert und des illegalen Anbaus der Droge in Afghanistan heute. Für den Künstler ein Ausdruck des vergifteten gegenwärtigen Bewusstseins:
    "This Opium Den is environment that is contained, that is dark, a container within a bigger container, so it is isolated, which to me is reflective of the state of consciousness at the moment. It's the opiat state of consciousness."
    Ein Gift, dem er die Bücher entgegensetzt. Austausch jenseits von wirtschaftlichen Interessen.
    Eindrücke, die im medialen Mainstream viel zu selten präsent sind
    Ambivalenzen werden an jeder Ecke sichtbar. Besonders eindrucksvoll bei der Wandtapete "Zeit der Schmetterlinge" von Parastou Forouhar. Ein prächtiges, ornamentales Zeugnis der Schönheit - nur dass sich die bunten Schmetterlinge bei näherer Betrachtung aus grässlichen Folterszenen zusammensetzen. Schmetterling, persisch: Parvaneh, hat für die Künstlerin aber auch noch eine ganz andere Bedeutung:
    "Für mich ist das auch der Vorname meiner Mutter, die im Jahre 1998 zusammen mit meinem Vater, beide waren führende Oppositionspolitiker im Iran, in ihrem Haus vom Geheimdienst der Islamischen Republik umgebracht worden sind."
    Einzelschicksale und gesellschaftspolitische Strukturen sind in den Werken fast untrennbar miteinander verwoben. Auch bei Susan Hefuna. Sie zeigt unterschiedliche Haushaltsgegenstände von ägyptischen Frauen in ihren "Vitrinen der Afaf". Afaf, das heißt die Unberührte, so müssen sich in den ländlichen Gebieten Ägyptens fast alle Frauen nennen. Sie leben nicht nur namenlos, sondern nahezu unsichtbar. Die persönlichen Gegenstände - handgemachte Puppen, Teller, Taschen, Schmuck - verleihen ihnen ein Gesicht und waren, vor München, schon in New York zu sehen.
    So reiht sich ein Ausstellungsstück an das nächste: Auf einen in Beton geschlagenen Vers des Koran folgt ein Film über den marokkanischen Widerstandskämpfer Abdelkrim Al Khattabi und schließlich historische Dias der Heiligen Stadt Mekka. Alles Bilder und Eindrücke, die im medialen Mainstream viel zu selten präsent sind.
    Man könnte der Ausstellung nun Willkür bei der thematischen Aufbereitung vorwerfen. Folter, Drogen, Politik, Religion und Alltag stehen ohne erkennbaren Zusammenhang nebeneinander. Genauso schnell wie diese Themen wechseln die Schauplätze und Personen, die sie verhandeln. Man kann - und sollte - aber gerade das als die Stärke der Schau ansehen. Auf eine Einordnung der Werke wird ganz bewusst verzichtet. Das zeigen auch die zurückhaltenden Begleittexte. Keine Landkarten, keine Label. Jedes Kunstwerk steht für sich - und gleichzeitig für alle anderen. Als ein Teil unter vielen. Als ein Teil der komplexen Lebenswelt. So wie der Künstler auch nur ein Akteur auf dem Weg zum Common Ground sein kann. Das Publikum ist gefordert.