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Auszeichnung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft für Spinnenforscher

Preisverleihung. - Die Carl Ritter von Frisch-Medaille sei der Nobelpreis für Zoologen - behaupten jedenfalls die Zoologen. Auf der gegenwärtig stattfindenden 95. Jahresversammlung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft erhält der Wiener Neurobiologe Friedrich Barth diesen "zoologischen Nobelpreis" für seine Forschungen an Spinnen.

    Von Hartmut Schade

    Barth ist ein Außenseiter seiner Zunft. Modelltiere -das sind für Neurobiologen Tintenfisch, Grillen oder Pfeilschwanzkrebse. Doch Spinnen? Die stoßen bei den Biologen auf ebensowenig Gegenliebe wie beim Rest der Menschheit. Friedrich Barth dagegen ist fasziniert von den achtbeinigen Krabbeltieren. Zu Tausenden hält er sie in seinen Labors: schwarze handtellergroße Exemplare der Gattung Kammspinnen aus Mexiko. Die Spinnen sind wahre Sensibelchen. Kein anderes Tier kennen die Biologen, das so feinfühlig auf Erschütterungen reagiert. Barth:

    "Die Spinnen können über mehrere Meter die Bewegung eines Insekte wahrnehmen."

    Ermöglicht wird das durch sogenannte Spaltsinnesorgane. Das sind winzigste Öffnungen im Skelett, die von einer Membran bedeckt sind. Wird diese zusammengedrückt, weil die Spinne läuft oder weil eine Schabe vorüberhuscht und beim Rennen Vibrationen auslöst, dann registriert dies die angekoppelte Sinneszelle und leitet die Information ans Gehirn weiter. Dreieinhalbtausend solcher Spaltsinnesorgane besitzt eine Spinne und sie sind unglaublich feinfühlig. Barth:

    "Es geht um winzigste Verschiebungen im Skelett, die Millionstel und Zehnmillionstel der Ausgangslänge sind, und das ist die Größe, die die Sensoren messen, das heißt sie sind hochempfindlich."

    Die Spaltsinnesorgane arbeiten ähnlich wie Dehnungsmessstreifen in der Technik, nur von der Präzision der Spinnensensoren, sind die technischen Sensoren noch meilenweit entfernt. Die Spaltsinnesorgane sind nicht die einzigen Spinnensensoren, die den Neid der Ingenieure erregen. Die absolut empfindlichsten Systeme, die die Biologen überhaupt kennen, finden sich an den Spinnenbeinen. Allerfeinste Härchen, zwischen einem Zehntel und einem Millimeter lang, die auf den geringsten Lufthauch reagieren. Barth:

    "Solche Luftbewegung spielen biologisch eine Rolle, wenn die Spinne hungrig ist und eine Fliege kommt vorbei, dann ist es so, dass die Spinne in die Luft springt und sich die Fliege ergreift."

    Die Fliege hat überhaupt keine Chance, unbemerkt an der Spinne vorbeizusausen. Die Beinhärchen nehmen Luftschwingungen wahr, deren Energie hundertmal geringer ist, als die Energie eines einzigen Lichtquants. Barth:

    "Wir wissen, dass Primärprozesse in der Netzhaut durch ein Lichtquant ausgelöst werden können. Da ist Grenze der Empfindlichkeit von Lichtsensoren. Diese Sensoren arbeiten mit Faktoren, die hundertmal kleiner sind. Die Perfektion ist offenbar ans Limit getrieben."

    Den Zoologen Barth faszinieren am meisten die Augen seiner Spinnen. Gleich 8 von ihnen besitzt eine Spinne - zwei Haupt- und sechs Nebenaugen. Während die Nebenaugen Bewegungen erkennen, übernehmen die Hauptaugen die bildliche Feinanalyse. Barth:

    "Merkwürdig und spannend ist, dass die Hauptaugen Muskeln haben, mit denen sie ihre Retina hinter der Linse bewegen können, so dass sie die Umgebung abscannen."

    Bislang glaubten die Zoologen, bei nachtaktiven Spinnen spielten Augen als Sinnesorgane nur eine untergeordnete Rolle. Doch das ist offenbar falsch. Doch wie die Augen wirklich funktionieren und warum Spinnen Linsenaugen haben und keine Facettenaugen wie andere Insekten, darüber rätselt auch Spinnenexperte Barth:

    "Im Grunde ist wenig bekannt. Sie haben ein komplexes und hochentwickeltes neurales System unter den Augen, und es wäre außerordentlich spannend und wichtig, mit dem zu vergleichen, was man von Insekten weiß. Da wäre ein Grund, sich mit Spinnen zu beschäftigen."