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Auszeichnungen
Der Grimme Online Award wird politischer

In Köln wird am Abend der Grimme Online Award 2016 verliehen. Insgesamt können in diesem Jahr 28 Webangebote auf die bis zu neun Preise hoffen. Neben dem Moderator Jan Böhmermann sind auch zwei Gruppen aus Ostdeutschland sowie ein ehemaliger Kleinkrimineller nominiert - mit politischer Agenda.

Von Sammy Khamis | 24.06.2016
    Der Moderator Jan Böhmermann
    Auch nominiert: Der Moderator Jan Böhmermann. (dpa-Bildfunk / Henning Kaiser)
    Dresden Ende Mai. Rund zweieinhalb tausend Menschen gehen für PEGIDA auf die Straße. Mit dabei auch Johannes Filous – aber nicht als Demonstrant, sondern als Beobachter. Filous, 27 Jahre alt und eigentlich Medizinstudent, hat vor gut einem Jahr mit seinem Kompagnon Alexej Hock angefangen von rassistisch motivierten Demonstrationen in Sachsen zu berichten. Und zwar per Twitter – auch das läuft unter Grimme Online Award.
    "Ich habe schon getwittert, aber vieles twittere ich auch nicht. Also was hier so gesagt wird, muss ich nicht unbedingt nochmal weiter verbreiten, in andere Kreise, wo das sonst nicht hingekommen wäre glaube ich. Ich schau ein bisschen: Wie haben sich Dinge verändert, wie haben sich Dynamiken verändert. Wer ist hier? Wir haben zum Beispiel auch wieder die vom Verfassungsschutz beobachtete Identitäre Bewegung hier vertreten."
    Straßengezwitscher, unter diesem Namen twittern Johannes Filous und Alexej Hock oftmals als Erste und als Einzige von rassistischen Demos in Sachsen. Grund genug sie für den Grimme Online Award zu nominieren, so Vera Lisakowski vom Grimme Institut:
    "Also für den Grimme Online Award kann ich sagen, dass tatsächlich in unserem Statut ja schon steht, dass wir auf "gesellschaftliche Verantwortung" achten. Es ist nach wie vor tatsächlich wichtig, vielen Leuten klar zu machen, dass im Internet nicht nur Quatsch ist und Unterhaltung, sondern, dass sich da auch ernsthafte sehr seriöse Inhalte finden und dass es eine sehr sehr gute Informationsquelle ist, die vielleicht andere Informationsquellen ergänzt, aber die mindestens genau so wichtig ist, wie die klassischen Medien."
    Persönlich, ungeschliffen und empathisch
    In den "klassischen Medien" tauchte Hammed Khamis früher höchstens auf, wenn über einen Überfall berichtet wurde, denn der Osnabrücker Khamis war Kleinkrimineller. Das ist lange her. Hammed Khamis, Kind libanesischer Kriegsflüchtlinge ist heute Blogger. Und als Blogger berichtet Khamis aus dem "Dschungel von Calais", dem Flüchtlingslager direkt am Eurotunnel im Norden Frankreichs:
    "'I am not animal! I am not animal!' Die Worte der eritreischen Demonstrantin gestern auf der Autobahn gehen mir bis heute früh nicht aus dem Kopf. Selbst beim Frühstück beeinflussen diese Erlebnisse meine Gedanken. Natürlich ist diese Frau kein Tier. Doch die Lage der Menschen dort im Camp lässt ihre Aussage schnell einen Sinn bekommen."
    Persönlich, ungeschliffen und empathisch beschreibt Hammed Khamis über den Dschungel von Calais – deswegen ist auch er für den Grimme Award nominiert.
    Ebenfalls mit den weniger angenehmen Aspekten von Flucht beschäftigt sich Karolin Schwarz. Die 30-Jährige sitzt in einem Leipziger Café und erinnert sich an die Gründung von Hoaxmap Anfang diesen Jahres. Hoaxmap, das ist eine Seite, die Gerüchte über Geflüchtete sammelt und widerlegt.
    Gegen Gerüchte über Flüchtlinge
    "Das war die pure Masse der Gerüchte, nicht ein einzelnes, sondern damit ständig konfrontiert worden zu sein in Social-Media, im privaten Umfeld, in der Arbeit und sonst wo. Und der Wunsch, das irgendwie zu ordnen und eine Datenbank zu schaffen, in der manche auch nachschauen können, ob das, was sie gerade hören oder lesen, wahr ist."
    Gerüchte über Flüchtlinge gibt es wie Sand am Meer. Besonders beliebt, so Karolin Schwarz sind Märchengeschichten über Sach- und Geldleistungen, die Geflüchtete bekämen, darunter: Gutscheine fürs Bordellbesuche oder neue Smartphones als Willkommensgeschenk.
    "Wir haben im Laufe der Zeit die "Geschäftsschließung" als Kategorie hinzugefügt. Das ist das Gerücht, dass Supermärkte oder andere Läden schließen müssen, weil durch Geflüchtete vermehrt geklaut und gestohlen wird. Das ist Deutschlandweit der Fall."
    Widerlegt werden die Gerüchte in der Regel durch Polizeiberichte oder Artikel in der Lokalpresse, so Karolin Schwarz.
    Wenn heute der Grimme Online Award vergeben wird, dann kann es also sein, dass Projekte ausgezeichnet werden, die an der Grenze zwischen Information und Aktivismus stehen. Vera Lisakowski vom Grimme Institut:
    "Dafür ist das Internet gut, ja – diese unabhängigen Produktionen sind genau das, was wir auch suchen."