Donnerstag, 16. Mai 2024

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Autobahnkirchen
Rastplatz für die Seele

Wer lange Strecken mit dem Auto fährt, soll sich hin und wieder ja die Beine vertreten. Wer dazu noch innere Einkehr sucht, kann sie in einer der etwa 50 Autobahnkirchen in Deutschland finden. Die erste entstand vor 55 Jahren.

Von Götz Gerson | 24.11.2013
    "Werbellin ist eigentlich klassisch die Dorfkirche, die hier schon seit 100 Jahren steht. Die als Dorfkirche schon immer funktioniert hat und auch weiterhin als Gemeindekirche funktioniert und darüber hinaus eine Nutzungserweiterung erfahren hat - zur Autobahnkirche,"
    sagt Pfarrer Ulf Haberkorn, den Sie gleich näher kennenlernen werden. Höchstens 1.000 Meter entfernt von der Autobahn soll so eine Autobahnkirche Reisende zum Entschleunigen einladen - und sie ist von 8 bis 20 Uhr mindestens geöffnet, das hat man festgelegt.
    Die in Werbellin liegt ganz idyllisch an der Dorfstraße mitten im Ort, an und für sich untypisch für eine Autobahnkirche - auf der Autobahn A11 weist das typische Schild auf sie hin - das weiß Autobahnpfarrer Ulf Haberkorn.
    "Diese Schilder sind der Querverweis von der Straße der Hektik zum Ort der Besinnung quasi. Ansonsten ist das hier eine typische Dorfkirche, die Gemeinde hat sich irgendwann einmal überlegt, was man mit dem Objekt tun kann und kam mit der westdeutschen Partnergemeinde dazu, eine Autobahnkirche zu machen. An und für sich sind Autobahnkirchen in Westdeutschland zum Beispiel etwa Kapellen, die direkt an der Autobahn stehen. In Ostdeutschen Gefilden ist die Autobahnkirche als solche relativ spärlich gesät."
    Alle Konfessionen willkommen
    "Ich habe den Gottesdienst im Nebenort verpasst, deswegen bin ich hier. Wenn ich auf Reisen bin, gehe ich gern in Autobahnkirchen, weil die sehr unterschiedlich sind, das ist sehr interessant,"
    sagt ein Besucher und rückt sich den Motorradhelm zurecht. Obwohl Autobahnkirchen in evangelischer oder katholischer Trägerschaft geführt werden, sind Besucher jedweder Konfession willkommen.
    Der Architekt Georg Büttner gestaltete das äußere Erscheinungsbild der kleinen Kirche und auch die Inneneinrichtung: im neobarocken Stil, im sogenannten Heimatstil - der ist noch heute fast vollständig erhalten. Zu erkennen ist er am hölzernen Eingangsbereich und am hölzernen Glockengeschoss. Ulf Haberkorn:
    "Der ist eher untypisch in unserer Region, in der Mark Brandenburg erwartet man eher Feldsteingemäuer bei Kirchen, aber das ist auch ein Magnet für den Ort. In Hohen Neuendorf gibt es eine größere Kirche, auch von ihm gebaut. In beiden Kirchen ist spannend, dass die Inneneinrichtung komplett im Original erhalten ist - vom Holzleuchter bis hin zum Altar, auch malertechnisch ist alles erhalten. Darauf wurde bei der Sanierung großer Wert gelegt."
    Auf Erlass vom Preußenkönig Friedrich II. wurde Werbellin 1748 gegründet - einige Jahre später entstand schon eine Fachwerkkirche am heutigen Standort. Die wurde 1910 aus Altersgründen abgerissen - vier Jahre später entstand die heutige Kirche.
    Extraandachten für große Gruppen
    Besucher schätzen besonders …
    "... dass sie immer offen ist, dass man reingehen kann, wenn man das Bedürfnis hat, wenn man Zeit und Ruhe sucht im stressigen Alltag - das ist für mich eine Autobahnkirche. Es ist immer schön sauber hier."
    In regelmäßigen Zeitabständen hält der Autobahnpfarrer auch ganz normale Gottesdienste in der Autobahnkirche ab. Denn die Autobahnkirche Werbellin gehört zum Verbund der Schorfheidekirchen.
    "Es gibt einmal im Jahr einen sogenannten Autobahnkirchen-Sonntag, bundesweit wird der ausgerufen - da wird speziell für Autobahnfahrende ein Gottesdienst abgehalten. Aber man kann sich auch bei mir melden, wenn man mit einer größeren Gruppe die Autobahnkirche besuchen will. Dann kann man sich eine Extraandacht quasi hinzu buchen - das passiert auch mal, die meisten, die hier vorbeifahren, sind tatsächlich Durchreisende. Es gibt tatsächlich auch welche, die immer wieder kommen an diesen lauschigen Ort - das ist ein schöner Moment, dass die Leute so den Sinn dieser Kirche innerlich füllen, nämlich Rastplatz für die Seele zu sein."
    Man könnte ja denken, dass in der kleinen Kirche hin und wieder unbeobachtet "herumgeschraubt" wird - aber da sei Gott vor.
    "Gravierendes ist noch nicht passiert, höchstens Kinder, die im Anliegenbuch herumkritzeln. Aber es ist offensichtlich so, dass die Leute noch ein Gespür für diesen Ort haben und ihn ehren."
    Zum Abschied ruft mir Ulf Haberkorn, der Autobahnkirchenpfarrer noch hinterher: "Fahren Sie bloß nicht schneller, als ihr Schutzengel fliegen kann!"