Donnerstag, 28. März 2024

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Autogipfel
Bundesverband E-Mobilität kritisiert Politik und Autobauer

Kurt Sigl vom Bundesverband Elektromobilität hat Bundesregierung und Industrie nach dem Autogipfel Untätigkeit und Taktieren vorgeworfen. Es fehle am politischen Willen, schon banale Dinge wie das Laden in Miet- und Wohneigentum rechtlich auf den Weg zu bringen, sagte Sigl im Dlf.

Kurt Sigl im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 25.06.2019
25.02.2019, Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin: An einer Ladestation für Elektroautos wird die Batterie aufgeladen.
Der Bundesverband Elektromobilität beklagt die fehlende Lade-Infrastruktur für Elektroautos (picture alliance / Büttner)
Jörg Münchenberg: Kurz vor der Sendung habe ich über den Autogipfel im Kanzleramt mit Kurt Sigl gesprochen. Er ist Präsident des Bundesverbandes Elektromobilität - ein Verband, der sich für die E-Mobilität in Deutschland stark macht. Die erste Frage an Kurt Sigl: Wie bewertet er den gestrigen Autogipfel?
Kurt Sigl: Na ja, er war in gewisser Art und Weise, wenn man heute Morgen sich damit beschäftigt hat, fast unerträglich für einen Verband wie uns. Und das widerspiegelt eigentlich alles das, was in den letzten zehn Jahren nicht passiert ist, weil es gibt seit zehn Jahren einen sogenannten "Nationalen Entwicklungsplan" der Regierung. Die wichtigsten Tools darin, nämlich die "Nationale Plattform Elektromobilität" und die "Nationale Plattform der Zukunft der Mobilität", scheinen nicht gefruchtet zu haben, weil da hätten alle diese Dinge bereits erledigt werden müssen.
Münchenberg: Wohin richtet sich Ihre Kritik hauptsächlich? Geht das in Richtung Politik, oder muss das nicht auch gegen die Industrie gehen, die ja viel über E-Mobilität redet, aber die vielen Modelle kommen ja erst frühestens im neuen Jahr?
Sigl: Da nehmen wir niemanden aus. Das betrifft die Politik genauso wie die Wirtschaft und Industrie. Man hat verzögert, man hat taktiert seitens der Industrie, und man hat keinen politischen Willen hinterlegt seitens der Politik, wie man sich den vorstellen müsste nach so hehren Zielen, die man aufgestellt hat.
Fehlende Ladestation in Wohnhäusern
Münchenberg: Was fehlt Ihrer Meinung nach?
Sigl: Uns fehlt einfach wirklich dieser Ruck, einfach längst verstanden zu haben, wo es da draußen wirklich fehlt. Das sind oft ganz banale Dinge wie das Laden in Miet- und Wohneigentum. Da geht es jetzt nicht darum, in allererster Linie Lade-Infrastruktur auszubauen - das hätte man längst tun können, ganz klar -, sondern da geht es darum, diese ganz banalen Dinge auf rechtlicher Basis zu klären, die wir seit vier, fünf Jahren vor uns herschieben. Mit das wichtigste Konstrukt ist da tatsächlich dieses Laden in Miet- und Wohneigentum.
Münchenberg: Das soll ja jetzt zumindest beschleunigt werden. Ausbau der Ladestationen, das ist zumindest ein Bekenntnis von diesem Autogipfel. Aber ist diese fehlende Infrastruktur überhaupt das Haupthindernis für die E-Mobilität?
Sigl: Da gibt es viele andere Hindernisse noch dazu. Wie gesagt: Einmal ist es die Verzögerung und Taktierung und dieses Taktieren der Autoindustrie in Deutschland, weil das gibt es woanders nicht so stark wie bei uns, komischerweise. Deswegen sind die Mehrheit der zugelassenen Fahrzeuge natürlich sehr stark aus dem Ausland hier in Deutschland. Aber wenn Sie dann einfach auch die Verhaltensweisen der Politiker sich anschauen, die dann da reingehen in so einen Gipfel und am Schluss ohne Ergebnis rausgehen, dann ist das Untätigkeit und nichts anderes, und das gilt es zu verurteilen.
Zutrauen der Kunden in E-Mobilität wächst
Münchenberg: Auf der anderen Seite: Wenn man sich jetzt mal die technische Seite anschaut, sind die E-Autos ja immer noch relativ teuer, die Reichweite ist begrenzt. Selbst jemand, der ausschließlich mit dem Auto in der Stadt unterwegs ist, der muss von der Technologie schon ein bisschen begeistert sein, damit er sich so ein Auto kauft.
Sigl: Das stelle ich schwer in Frage. Es gibt inzwischen einen deutschen Hersteller, der ein Auto hat, elektrisch betrieben, ab 16.000 Euro und selbst ein ausländisches Fabrikat im Kleinwagenbereich unterbietet, vom Preis her, nämlich einen Polo von VW. Ich denke, das sind nur Ausreden, die man nutzt, um immer wieder das Thema madig zu machen, anstatt es jetzt anzupacken, in die Hand zu nehmen, sich der Herausforderung zu stellen und das endlich zu tun.
Münchenberg: Auf der anderen Seite muss man auch die Kunden überzeugen. Und wenn man sich jetzt mal die Zahlen anschaut, wenn man noch die Hybrid-Autos dazurechnet, dann gibt es auf den deutschen Straßen gerade mal 400.000. Eigentlich sollten es eine Million sein bis 2020. Auch die Kunden sind offenbar noch immer ziemlich skeptisch, was diese Technologie angeht.
Sigl: Die Zulassungszahlen steigen exponentiell. Das muss man mal ganz klipp und klar sehen. Wir haben jedes Jahr eine Steigerung von fast 100 Prozent. Das hat mit Sicherheit erst begonnen vor zwei, drei Jahren, als eine kleine Masse an Elektrofahrzeugen am Markt war. Aber VW - und das finden wir extrem positiv - zieht natürlich jetzt direkt am Strang und treibt das Thema nach vorne mit dem klaren Bekenntnis zum Elektroauto - nicht mit neuen Szenarien wie synthetische Kraftstoffe oder Wasserstoff, was in der Thematik reines Automobil längst durch ist.
Wasserstoff- versus Elektroantrieb
Münchenberg: Auf der anderen Seite sagen sich manche, sich nur auf die E-Mobilität zu versteifen, das sei auch nicht so sinnvoll. Manche Anbieter zum Beispiel argumentieren, Wasserstoff könne im Schwerlastbereich viel sinnvoller sein.
Sigl: Dem widersprechen wir nicht. Wasserstoff im Schwerlastbereich ist definitiv noch eine Option. Allerdings wird es extrem schwierig in der momentanen Situation, weil Wasserstoff einfach noch nicht soweit ist, viel zu teuer und zu ineffizient. Wir haben einen dreifachen Aufwand an Energie gegenüber dem klassischen Elektroauto, der dazu notwendig ist, um die Dinge zum Fahren zu bringen.
Münchenberg: Beim E-Auto, beim PKW würden Sie sagen, da macht es Sinn, sich auf eine Technologie zu konzentrieren und nicht noch Wasserstoff zum Beispiel mit dazu zu nehmen?
Sigl: Absolut und unbedingt, weil sonst werden zusätzliche Ressourcen verschwendet. Das können wir uns, glaube ich, auch gar nicht mehr leisten - und selbst diese wirklich reiche deutsche Autoindustrie nicht.
Ruf nach Geld vom Staat
Münchenberg: Nun war ja auf diesem Autogipfel von einem Masterplan die Rede. Letztlich wird die Autoindustrie sicherlich auch mehr finanzielle Zusagen und Fördermittel einfordern. Es gibt ja schon jetzt eine Kaufprämie für E-Autos. Aber es stellt sich schon die Frage: Warum soll der Staat hier einen Absatz ankurbeln, obwohl die Industrie trotzdem noch immer Milliardengewinne einfährt?
Sigl: Diese Frage stellen wir uns seit Jahren. Wir sind auch definitiv keine Freunde des Gießkannensystems, was Fördermittel betrifft. Man könnte das intelligenter machen. Man könnte vielmehr endlich mal von einer Diesel-Subvention Abstand halten und mal diese sieben Milliarden nehmen und zur Verfügung stellen, um Lade-Infrastruktur zu starten. Dann müssen das die Autohersteller gar nicht. Übrigens haben andere Autohersteller längst bewiesen, dass es auch selber geht.
Münchenberg: Das heißt aber, Sie sagen auch, eigentlich brauchen wir gar keine Kaufprämie?
Sigl: Wenn wir mal umschichten und anfangen, Subventionen zu überdenken, wäre das sicher eine Option. Aber dann müsste man sich wirklich einfach mal hinsetzen, mit den relevanten Playern sprechen und einen Plan machen. Das hätte man aber schon vor fünf, sechs, sieben Jahren machen können, mit der "Nationalen Plattform E-Mobilität". Da war es in den Arbeitsgruppen alles beschrieben. In der neuen "Nationalen Plattform für die Zukunft der Mobilität" ist es wieder beschrieben. Wir sehen allerdings keine Ergebnisse. Und kommt dann mal ein Ergebnis aus der Arbeitsgruppe eins, wie im Januar geschehen, wird dies vom Herrn Scheuer einfach vom Tisch gewischt.
Münchenberg: Unter dem Strich wird der Druck trotzdem steigen. Es gibt die Klimaproteste, es gibt die Auflagen, die aus Brüssel kommen, jetzt auch für die Autoindustrie. Ist nicht trotzdem, wenn man jetzt in die nahe Zukunft schaut, damit zu rechnen, dass sowohl Politik als auch Industrie das Ganze beschleunigen werden?
Sigl: Wir hoffen das. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Noch sehen wir aber den wirklichen Willen definitiv nicht.
Münchenberg: Herr Sigl, letzte Frage. Ihre Prognose: Werden wir 2030 sieben bis zehn Millionen E-Autos in Deutschland haben, so wie die Politik das gerne haben würde?
Sigl: Wenn es dann mit diesem wirklichen Willen hinterlegt ist, ist das zu schaffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.