Freitag, 19. April 2024

Archiv

Automobilexperte über VW
Boniverzicht als wirkliches Signal

Fehlendes Feingefühl in Sachen Boni, Machtkämpfe um Vorstandspositionen und heftige Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Vorstand: "Man immer mal wieder das Gefühl, dass der wirkliche Ernst der Lage nicht erkannt ist", sagte Michael Freitag, Automobilexperte des Manager Magazins, im DLF über die Stimmung beim Automobilhersteller VW.

Michael Freitag im Gespräch mit Marina Schweizer | 11.04.2016
    Logo am VW-Tower in Hannover
    Logo am VW-Tower in Hannover (dpa/picture alliance/Julian Stratenschulte)
    Marina Schweizer: Kann ein Verzicht auf Boni bei VW etwas reißen? Darüber will ich jetzt sprechen mit Michael Freitag, Automobilexperte des Manager Magazins. Guten Abend!
    Michael Freitag: Guten Abend! Ich grüße Sie.
    Schweizer: Herr Freitag, gehen Sie davon aus, dass die Vorstände von sich aus verzichten könnten?
    Freitag: Ja, ich gehe schon davon aus. Es wird morgen, ich glaube, morgen Früh dazu auch eine Vorstandssitzung geben, natürlich nicht nur dazu, aber dort wird das Thema noch mal diskutiert werden. Matthias Müller, der Vorstandschef, hatte ja schon Ende Dezember vorgeschlagen, auf Boni zu verzichten, ohne dabei ins Detail zu gehen, und er will das eigentlich weiterhin durchsetzen. Nur es ist nicht ganz so einfach, weil im Prinzip hat dort jeder vertraglich ein Recht auf seinen Bonus. Der wird dieses Jahr ohnehin geringer ausfallen wegen des zu erwartenden schlechteren Gewinns 2015. Aber nicht der komplette Gewinn wird wegfallen, deswegen auch nicht der komplette Bonus, und von daher muss er alle individuell überzeugen und offenbar ist das nicht ganz so einfach.
    Schweizer: Nun geht es dort ja teilweise um einen Komplettverzicht. Es sind aber auch Abstufungen im Gespräch. Welche Varianten halten Sie denn für möglich?
    Matthias Müller, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, steht am 11.01.2016 der North American International Auto Show in Detroit am VW-Stand vor dem Konzernlogo.
    VW-Chef Matthias Müller auf der Automesse in Detroit. (dpa / picture alliance / Uli Deck)
    Freitag: Matthias Müller hat ja vorgeschlagen, da er um die Abneigung weiß einiger seiner Vorstandskollegen, auf ungefähr ein Drittel zu verzichten. Das hieße, man berechnet, wieviel bekommt jeder, und danach zieht man ein Drittel ab. Das wäre schon möglich. Allerdings nach der Diskussion, wie sie im Moment läuft, und jetzt, wo bekannt ist, dass das Land Niedersachsen als Großaktionär den kompletten Verzicht fordert, wäre das fast schon zu wenig, auf ein Drittel zu verzichten, um ein wirkliches Signal zu setzen.
    Schweizer: Da sprechen Sie ja eigentlich den Knackpunkt schon an. Wieviel Symbolik und wieviel echte Wirkungskraft würde eigentlich in einem solchen Boniverzicht stecken?
    Freitag: Na ja. Ich meine, die VW-Vorstände haben im vergangenen Jahr, glaube ich, rund 70 Millionen Euro verdient, alles zusammen. Davon sind wahrscheinlich - ich habe es jetzt extra nicht ausgerechnet - ungefähr 55 Millionen Boniprämien unterschiedlicher Art. Wenn ich die einspare, dadurch kann ich natürlich nicht das Jahresergebnis retten.
    "Vorstand müsste zumindest auf einen Teil verzichten"
    Schweizer: Da geht es ja um Milliarden insgesamt in diesem ganzen Skandal jetzt gerade.
    Freitag: Genau. Andererseits: Wenn es um Milliarden geht und wenn es durch die zu erwartenden Strafen und Klagen, die noch kommen werden in den USA, eventuell langfristig auch um das Überleben dieses Konzerns geht, und wenn ich jetzt schon weiß, ich muss irgendwann auch vielleicht Maßnahmen treffen wie Stellenkürzungen und so weiter, dann ist es natürlich das richtige Signal zu sagen, auch wir als Vorstand verzichten zumindest auf einen Teil.
    Schweizer: Ein Signal nach innen in den Konzern, auch nach außen. Wie groß schätzen Sie denn die Signalwirkung gegenüber zum Beispiel so jemandem wie den strengen US-Behörden ein?
    Freitag: Was die US-Behörden angeht ist das, glaube ich, gar nicht so relevant. Da wäre es viel wichtiger, wenn Volkswagen sagen würde, wir sind wirklich konsequent. Wenn wir jemanden, ich nenne es mal, erwischen, der jetzt noch im Unternehmen ist, der aber verantwortlich ist für die Motormanipulationen, die in den USA entdeckt wurden, und wenn man diese Leute öffentlichkeitswirksam entlassen würde, das wäre für die USA das viel wichtigere Symbol.
    VW-Chef Martin Winterkorn hatte die Verantwortung für die Abgasaffäre übernommen und war zurückgetreten.
    VW-Chef Martin Winterkorn hatte die Verantwortung für die Abgasaffäre übernommen und war zurückgetreten. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschukte)
    Das Problem ist nur: Der Vorstandschef ist schon gegangen, bevor wirklich nachgewiesen war, dass er verantwortlich ist. Das war Martin Winterkorn. Andere wichtige Entwickler sind auch schon aus dem Konzern raus. Das heißt, man kann ja nicht sagen, jetzt geht noch Herr X oder Herr Y, nur um ein Symbol zu senden. Da muss schon wirklich eine Verantwortung da sein. Das ist nicht so einfach. Das wäre aber eigentlich das wichtigere Symbol für die USA.
    Schweizer: Wie symptomatisch ist denn der Bonistreit für das Krisenmanagement in der VW-Chefetage und vielleicht ja auch das Feingefühl für das, was nach außen hin noch als anständig gilt?
    Freitag: Das ist sehr symptomatisch. Das zeigt aber nicht nur, was in der Führungsetage dort passiert, sondern es geht um den ganzen Konzern. Sie müssen sich das jetzt so anschauen, auch was die Mitarbeiterbeteiligungen angeht. Bei VW in Wolfsburg in der Marke VW, die Mitarbeiter haben deutlich weniger Mitarbeiterbeteiligungen bekommen für 2015.
    Freitag: Wegen des Skandals?
    Freitag: Wegen des Skandals, genau. Das heißt, dass die besonders kritisch darauf gucken, was jetzt der Vorstand macht, ist schon klar. In Stuttgart allerdings bei der Porsche AG, die von dem Skandal 2015 noch nicht so betroffen war und ist, dort wurde die höchste Mitarbeiterbeteiligung aller Zeiten ausgeschüttet: 8911 Euro. Das heißt, das zeugt ja auch nicht gerade für Feingefühl, für ein Solidaritätsempfinden innerhalb des Konzerns. Und das gleiche haben wir an vielen Stellen im Moment. Da gibt es Machtkämpfe um Vorstandspositionen, da gibt es heftige Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Vorstand. Na ja, da hat man immer mal wieder das Gefühl, dass der wirkliche Ernst der Lage nicht erkannt ist.
    Schweizer: … sagt Michael Freitag, Automobilexperte des Manager Magazins, hier bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch.
    Freitag: Frau Schweizer, danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.