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Babys hören genauer hin

Psychologie. - Auf der Jahrestagung der US-amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft dreht sich nicht alles allein um die Weiten des Universums oder das Lexikon der Gene - Auch auf dem nicht minder interessanten Feld der Psychologie sorgen neue Entdeckungen für Überraschungen. So belegt eine auf dem Kongress vorgestellte Studie, dass das absolute Gehör nicht allein wenigen Begabten vorbehalten ist, sondern von den meisten schlicht vergessen wird.

    Manche besitzen es, die meisten jedoch nicht: Das absolute Gehör sei die Sache von wenigen von der Natur Begnadeten, so lautete bislang die Experten-Meinung. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn als Baby haben wir alle den gleichen feinen Akustiksinn besessen. Das entdeckte die US-Psychologin Jenny Saffran von der Universität Wisconsin, als sie untersuchte, auf was genau Babys horchen. Dazu komponierte die Forscherin unmelodische und scheinbar willkürliche Tonfolgen, in denen sich aber immer wieder charakteristische Sequenzen von drei Tönen wiederholten.

    Neben den jungen Zuhörern spielte Saffran auch Erwachsenen die eigenwilligen Stücke vor. Dabei machte die Psychologin eine erstaunliche Entdeckung: "Erwachsene merken sich die Beziehungen zwischen den Tönen, beispielsweise eine Quinte aufwärts, der eine leichte Terz abwärts folgt. Die Probanden prägten sich also die relativen Tonhöhen ein." Die Kleinkinder dagegen gingen völlig anders vor - statt sich an eine Quinte aufwärts und Terz abwärts zu erinnern, wussten sie, dass nach einem A-Ton ein Cis und ein F folgten. Die Babys hatten sich also die absoluten Tonhöhen gemerkt. Weil die jungen Versuchsteilnehmer natürlich nicht befragt werden konnten, spielte Jenny Saffran beiden Gruppen die gleichen Tonfolgen in mehreren Durchgängen vor. Dabei erhöhte die Forscherin die Tonfolgen beim zweiten Durchgang leicht, etwa so als würde man eine Schallplatte etwas schneller abspielen. Während die Kinder die Unterschiede dabei die charakteristischen Tonfolgen der Sequenzen mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgten, erschienen sie den Erwachsenen meist gleich.

    Die Studie bestätigt die schon länger gehegte Vermutung, dass jeder Mensch mit dieser Fähigkeit auf die Welt kommt, sie aber nicht benutzt und wieder vergisst. Allerdings gab es bislang dafür keine Beweise, sondern lediglich den Hinweis, das viele Erwachsene mit absolutem Gehör schon früh als Kinder Instrumente spielen lernten. Saffran nimmt an, dass das absolute Gehör hilft, tonale Sprachen wie Mandarin oder Vietnamesisch zu erlernen. Bei Sprachen wie Deutsch oder Englisch dagegen sei es vermutlich eher hinderlich, denn dabei besitzen Worte - unabhängig von der Tonhöhe - stets die gleiche Bedeutung.

    [Quelle: Ralf Krauter]