Am Samstag, in Stuttgart, standen der Regisseur Mr.Jay, Jahwe, und sein Assistent Goldberg, die gerade die Bibel inszenieren, die tollste Story aller Zeiten also, in direkter Konkurrenz zu zwei Fußballspielen: zuerst ackerten sich die Deutschen durch ein torloses Spiel gegen die Letten, dann hauten sich Holländer und Tschechen in einer grandiosen, in einer wahrhaft schöpferischen Partie die Bälle um die Ohren. Die Ergriffenheit vor dem freundlicherweise im Pausenfoyer aufgestellten Fernseher schien mir weitaus größer als die im großen Theatersaal.
Man mag das als Indikator für den Zustand des deutschen Theaters nehmen. Inszeniert hatte in Stuttgart Philip Tiedemann, eine der größten Regie-Hoffnungen der Republik, der Darling der Berliner Szene. Wie er die große Bühnenmaschinerie bedient, wie er die Einladung annimmt, die Schöpfungsgeschichte und seinen eigenen Berufsstand, religiöse Topoi und Kantinen-Intrigen durch den großen Fleischwolf des Schmierentheaters zu drehen, das ist wunderbar und sehr aufwändig und ein wenig langweilig zugleich. Es ist technisch okay und doch von einem etwas lahmenden, ermüdenden Witz, wie das Spiel der deutschen Nationalmannschaft. Es ist, um es mit einem bösen Wort zu sagen, sehr brav, ein bisschen altklug und sehr bemüht.
Das alles ist George Tabori, der Autor, überhaupt nicht, wenngleich man konzedieren muss, dass seine Parallelführung von biblischer, Welt- und Theatergeschichte auch ihre Längen hat. Aber die Variationen, die der Regieassistent Goldberg auf Geheiß von Regieguru Jahwe aufführen lässt, Kain und Abel, Adam und Eva, sind bei Tabori anarchisch und bunt, eine Mischung aus subversivem Kindertheater und aufgeklärter Dialektik, aus Boulevard und Beckettschem absurdem Existentialismus. Bei Philip Tiedemann kommen die Einfälle eher aus der Requisitenkammer, die Flora und Fauna, Bär, Löwe, Kürbis und ein riesiger Penis, also "die Herrlichkeit all dessen, was kreucht und fleucht". Die Brandmauern des Stuttgarter Hauses werden als kleinerer Guckkasten brav noch mal zusammengezimmert, die Bühne auf der Bühne, schöne Stimmen singen Bach-Choräle, und Glenn Gould fährt als automatisierte Klavierpuppe an der Rampe entlang.
Diese Verlagerung einer Inszenierung in Äußerlichkeiten, in Gags, in das Bedienen der Soffitten ist immer schon der halbe Offenbarungseid. Und so ist das eigentliche Wunder dieser Aufführung, dass die beiden Hauptfiguren die Balance halten, Bernhard Baier, der als Mr.Jay wie ein abgetakelter Hollywood-Regisseur daherkommt und dann aber ganz dezent eine Mischung aus Verzweiflung und Herrschsucht spielt, und der famose Hans Josef Eich, ein im Dienst altgewordener Assistent mit Juden-Käppi, ein Mann mit beschränkter Hoffnung. Wie die beiden miteinander umgehen, das ist nicht die übliche Herr-Knecht-Konstellation, das übliche Winner-Looser-Pärchen, sondern durchaus achtungsvoll, von Respekt geprägt: der eine weiß, dass ihm nichts einfällt, dass er aber bis zur Premiere etwas präsentieren wird; der andere weiß, dass ihm schon was einfallen könnte, aber er will es dann lieber doch nicht probieren.
Manchmal, wenn die rauschebärtigen Propheten Japhet, Masch und Raamah deklamieren, wenn die provinz-Duse-lige Hauptdarstellerin sich nicht ausziehen will und wenn Regisseur Jahwe die Menschen aus dem Paradies wegspritzt, wobei ihm dann sein penisersetzender Feuerwehrschlauch schön wegknickt - ja dann sehnt man sich zurück nach der Unschuld des ersten Probentags, wenn alle Möglichkeiten offen und noch nichts schiefgegangen ist. Dass etwas schief geht, das gehört zum Theater - deswegen sind Taboris Stücke ja auf so knitze Weise dialektisch, dass man sie kaum kritisieren kann.
Andererseits hat Tabori, der vor den miesesten Tingeltangel-Witzen ja nicht zurückschreckt, durchaus den Anspruch, dass "das Wort Fleisch werde", dass auch der Ernst des ganzen Probierhandelns mitbedacht werde. Aron und Moses, das ist der Kampf zwischen goldenem Kalb und Abstraktion. Bei Tiedemann gewinnt eher das goldene Kalb. Golgatha, das ist bei ihm ein Ensemble dicker Männer am Kreuz. Warum nicht. Allerdings: Johann Sebastian Bach schrieb seine Goldberg-Variationen, um den schlaflosen Grafen Kaiserling nächtens zu unterhalten. Tiedemanns Goldberg-Variationen dagegen sind bisweilen geeignet, uns in den Theaterschlaf zu wiegen.
Man mag das als Indikator für den Zustand des deutschen Theaters nehmen. Inszeniert hatte in Stuttgart Philip Tiedemann, eine der größten Regie-Hoffnungen der Republik, der Darling der Berliner Szene. Wie er die große Bühnenmaschinerie bedient, wie er die Einladung annimmt, die Schöpfungsgeschichte und seinen eigenen Berufsstand, religiöse Topoi und Kantinen-Intrigen durch den großen Fleischwolf des Schmierentheaters zu drehen, das ist wunderbar und sehr aufwändig und ein wenig langweilig zugleich. Es ist technisch okay und doch von einem etwas lahmenden, ermüdenden Witz, wie das Spiel der deutschen Nationalmannschaft. Es ist, um es mit einem bösen Wort zu sagen, sehr brav, ein bisschen altklug und sehr bemüht.
Das alles ist George Tabori, der Autor, überhaupt nicht, wenngleich man konzedieren muss, dass seine Parallelführung von biblischer, Welt- und Theatergeschichte auch ihre Längen hat. Aber die Variationen, die der Regieassistent Goldberg auf Geheiß von Regieguru Jahwe aufführen lässt, Kain und Abel, Adam und Eva, sind bei Tabori anarchisch und bunt, eine Mischung aus subversivem Kindertheater und aufgeklärter Dialektik, aus Boulevard und Beckettschem absurdem Existentialismus. Bei Philip Tiedemann kommen die Einfälle eher aus der Requisitenkammer, die Flora und Fauna, Bär, Löwe, Kürbis und ein riesiger Penis, also "die Herrlichkeit all dessen, was kreucht und fleucht". Die Brandmauern des Stuttgarter Hauses werden als kleinerer Guckkasten brav noch mal zusammengezimmert, die Bühne auf der Bühne, schöne Stimmen singen Bach-Choräle, und Glenn Gould fährt als automatisierte Klavierpuppe an der Rampe entlang.
Diese Verlagerung einer Inszenierung in Äußerlichkeiten, in Gags, in das Bedienen der Soffitten ist immer schon der halbe Offenbarungseid. Und so ist das eigentliche Wunder dieser Aufführung, dass die beiden Hauptfiguren die Balance halten, Bernhard Baier, der als Mr.Jay wie ein abgetakelter Hollywood-Regisseur daherkommt und dann aber ganz dezent eine Mischung aus Verzweiflung und Herrschsucht spielt, und der famose Hans Josef Eich, ein im Dienst altgewordener Assistent mit Juden-Käppi, ein Mann mit beschränkter Hoffnung. Wie die beiden miteinander umgehen, das ist nicht die übliche Herr-Knecht-Konstellation, das übliche Winner-Looser-Pärchen, sondern durchaus achtungsvoll, von Respekt geprägt: der eine weiß, dass ihm nichts einfällt, dass er aber bis zur Premiere etwas präsentieren wird; der andere weiß, dass ihm schon was einfallen könnte, aber er will es dann lieber doch nicht probieren.
Manchmal, wenn die rauschebärtigen Propheten Japhet, Masch und Raamah deklamieren, wenn die provinz-Duse-lige Hauptdarstellerin sich nicht ausziehen will und wenn Regisseur Jahwe die Menschen aus dem Paradies wegspritzt, wobei ihm dann sein penisersetzender Feuerwehrschlauch schön wegknickt - ja dann sehnt man sich zurück nach der Unschuld des ersten Probentags, wenn alle Möglichkeiten offen und noch nichts schiefgegangen ist. Dass etwas schief geht, das gehört zum Theater - deswegen sind Taboris Stücke ja auf so knitze Weise dialektisch, dass man sie kaum kritisieren kann.
Andererseits hat Tabori, der vor den miesesten Tingeltangel-Witzen ja nicht zurückschreckt, durchaus den Anspruch, dass "das Wort Fleisch werde", dass auch der Ernst des ganzen Probierhandelns mitbedacht werde. Aron und Moses, das ist der Kampf zwischen goldenem Kalb und Abstraktion. Bei Tiedemann gewinnt eher das goldene Kalb. Golgatha, das ist bei ihm ein Ensemble dicker Männer am Kreuz. Warum nicht. Allerdings: Johann Sebastian Bach schrieb seine Goldberg-Variationen, um den schlaflosen Grafen Kaiserling nächtens zu unterhalten. Tiedemanns Goldberg-Variationen dagegen sind bisweilen geeignet, uns in den Theaterschlaf zu wiegen.