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Baden in historischen Gewässern

Das Oberharzer Wasserregal erstreckt sich über ein Gebiet von mehr als 200 Quadratkilometern. Einst trieb es die Wasserräder in den Bergwerken des Oberharzer Bergbaus an. Seit diesem Jahr darf dieses bergbauliche Wasserwirtschaftssystem sich mit dem Titel Unesco Weltkulturerbe schmücken.

Von Sabine Lipka |
    Wer im Frühjahr im Oberharz spazieren geht oder im Sommer in einem der zahlreichen Teiche badet, wer im Herbst in seinen Wäldern nach Pilzen sucht und wer im Winter in seinen verschneiten Landschaften Ski fährt - jeder kann es sehen und hören. Das Oberharzer Wasserregal.

    Eingebettet in die wild-romantische Landschaft des Oberharzes, zwischen tiefgrünen Tannen, auf verwunschenen Lichtungen, an schroffen Berghängen und einsamen Waldwegen - überall begegnet es dem aufmerksamen Besucher, mal als kleiner plätschernder Wasserlauf, munter sprudelnd. Dann wieder als idyllisch gelegener Teich, der im Sommer zum Baden einlädt und manchmal entdeckt der Wanderer mit etwas Glück einen unterirdischen Eingang kunstvoll aus Steinen gefertigt. Doch was genau ist eigentlich ein Wasserregal?

    Der Begriff Wasserregal leitet sich von dem lateinischen Begriff "iura reglia", königliche Rechte ab und bezeichnet nutzbare Hoheitsrechte, die zunächst nur einem König oder Kaiser zukamen.

    In Clausthal Zellerfeld vor der ehemaligen Kaue, einem Gebäude über dem Kaiser-Wilhelm-Schacht, das den Bergleuten als Umkleide- und Waschraum diente, treffen wir Joachim Niebaum. Er führt interessierte Besuchergruppen im Auftrag der Harzwasserwerke zu den Bauwerken des Oberharzer Wasserregals und erklärt uns, was das Wasserregal mit dem Bergbau zu tun hat:

    "Und zwar musste der Bergmann, wenn der früher nach Erzen schürfen wollte, sich vom Landesherrn oder Landesfürsten eine Genehmigung holen. Er hat also die Genehmigung bekommen auf Erz und Blei zu schürfen und um seine Schächte trocken zu halten, brauchte er das Wasser. Er musste sich also eine Genehmigung holen, das Wasser nutzen zu können. Und wenn er diese Genehmigung hatte, dann konnte er loslegen."

    Zunächst einmal führt uns Joachim Niebaum durch die ständige Ausstellung im ehemaligen Kauengebäude. Anhand von Landschaftsmodellen erklärt er uns die Bedeutung des Wassers für den Bergbau.

    "Der Bergmann hatte sich Schürfstellen angelegt, die etwa 20 Meter Tiefe gehabt haben und diese 20 Meter Tiefe konnte man das Wasser ganz bequem mit Ledereimern, also Wasserknechten über die Leitern, sprich Fahrten, nach Außen transportieren. Und je tiefer man kam, umso schwieriger wurde es, das Wasser aus den Gruben wieder raus zu bekommen. Man musste sich was einfallen lassen."

    Der Bergmann machte sich also das umgeleitete Wasser zunutze. Er ließ es Wasserräder und Kolbenpumpen antreiben, die ihrerseits das Grundwasser aus den Gruben pumpten, um sie trocken zu halten. Zum anderen, um über Kehr -und Kunsträder die Erze aus der Grube nach oben zu fördern.

    Und Wasser gab es im Harz genug. Jedoch nicht zu jeder Jahreszeit. Also wurden Teiche kaskadenartig angelegt, in denen man das Regenwasser speicherte. Diese Stauteiche liegen hoch oben. Parallel zu den Höhenlinien des Gebirges und mit leichtem Gefälle verlaufen die Gräben. In ihnen wird das Wasser zu den Stellen geleitet, wo es gebraucht wird: zu den Wasser- und Kehrrädern. Alle Gräben und Teiche waren miteinander verbunden. So konnte das Wasser in allen Varianten umgeleitet und genutzt werden.

    Das Wasserregal war jedoch keine statische Anlage. Die Unbill des Wetters und die Jahreszeiten forderten eine stete Verbesserung, Pflege und Weiterentwicklung:

    "Im Winter, wenn jetzt Schnee und Eis hier oben gewesen sind, dann froren die Teiche zu, es froren die Gräben zu, und sobald ein Teich oder ein Graben zugefroren ist, gab's wieder kein Wasser. Und das Wasser, was in der Grube war, konnte nicht rausgefördert werden. Also musste der Bergmann sehen, dass er die Gräben und auch das Wasser am Laufen ließ."

    Im 19. Jahrhundert entwickelten Bauingenieure Wasserüberleitungsstollen, sogenannte Wasserläufe. Sie verbanden die Grabenrouten unterirdisch. Zwei Probleme wurden so auf einmal gelöst: Die oberirdischen Gräben konnten enorm verkürzt werden und "die Wasser" blieben auch im Winter "warm".

    Je tiefer der Bergmann nach Erz grub, desto mehr hatte er mit dem Grundwasser zu kämpfen. Anfang des 18. Jahrhunderts erreichten die Schachtteufen, also die Tiefe der Grube, bereits 300 Meter, im Jahre 1830 lag die Tiefe schon bei 600 Metern. Es wurde immer schwieriger, die Gruben trocken zu halten. Große Mengen an Wasser wurden benötigt, die gleichzeitig auch wieder abtransportiert werden mussten. Die Lösung waren unterirdische Wasserlösungsstollen. Das Grundwasser musste nur auf ihr Niveau gepumpt werden und konnte dann abfließen.

    Die Dorotheer Rösche ist so ein Wasserlösungsstollen. Im 18. Jahrhundert erbaut und besonders beliebt für Exkursionen:

    "Und wenn wir nachher durchgehen, können wir uns dann aussuchen, nehmen wir jetzt die kniende Art wo wir rutschen wollen oder wir nehmen die aufrecht gehende Art."

    Eingekleidet mit Helm, elektrischer Lampe, Gummistiefeln und leuchtend gelben Regenmänteln machen wir uns auf den Weg. Südöstlich von Clausthal marschieren wir abseits von der Straße mitten hinein in den Wald. Ganz in der Nähe einer der typischen Stauteiche des Wasserregals. Am Ufer ein aufgeschütteter Damm, mit Grassoden bedeckt. Zur Festigung. Auf dem Damm steht das sogenannte Striegelhäuschen mit dem Striegelgerinne und Striegelzapfen. Striegel bedeutet soviel wie Grundablass, das heißt, hierüber wurde das Wasser reguliert abgelassen. Mithilfe eines Zapfens. Er ist aus Fichtenholz, weil das quillt und besser dichthält als Eiche.

    Und weiter geht es auf schmalen weichen Waldwegen, es leuchtet das saftige Grün der Farne, die hier am Wegrand wachsen. Und stets an unserer Seite ein kleiner Graben, in dem flink und fröhlich das Wasser plätschert.

    Und dann haben wir unser Ziel erreicht. Wir stehen vor einem Eingang aus Stein, einem kleinen Torbogen. Hier wollen wir einfahren.

    "Bevor wir einfahren, sagt der Bergmann immer? Glück auf! Er musste ja wieder rauskommen."

    Wir waten durch das wadenhohe kalte Wasser. Von oben tropft Sickerwasser auf unsere Helme. Wasser überall. Der Ausbau der Stollen war ein mühevolles Unterfangen. In tiefer gelegenen Stollen konnte das Gestein mit Schwarzpulver gesprengt werden. Bei oberflächennahem Ausbau war die Gefahr der Rissbildung und des Einbruchs zu groß, deshalb arbeitete man dort mit Schlägel und Eisen. Ein Arbeiter schaffte so drei bis zehn Zentimeter pro Schicht. Ausgebaut wurde der Stollen mit Fichtenholz und das aus einem ganz bestimmten Grund:

    "Die Fichte ist ein langfaseriges Holz, und wenn jetzt Gebirgsdruck auf diesem Holz liegt, dann fängt die Fichte an zu knacken, gegenüber einer Eiche zum Beispiel die bricht sofort. Das war für den Bergmann ein untrügliches Zeichen: Sieh zu, dass Du Dich in Sicherheit bringst."

    Nach etwa 70 Metern blicken wir zurück. Der Stollen hat eine Biegung gemacht. Vom Tageslicht ist nichts mehr zu sehen. Jetzt sind wir ganz auf unsere Lampen angewiesen. Natürlich elektrisches Licht. So komfortabel war die Beleuchtung der Bergleute früher nicht:

    "Das ist das Geleucht des Bergmannes, wie er früher in die Gruben gefahren ist. Das ist also der sog. Harzer Frosch, eine offene Flamme."

    Das Licht ist spärlich und das Öl für die Lampe musste sich der Bergmann selber kaufen. So war es üblich, dass nur jeder dritte oder vierte bei der Einfahrt in die Grube seine Lampe anmachte.
    Wir befinden uns circa sechs bis acht Meter unter Tage. Nach etwa 300 Metern endet der Stollen, wir müssen umkehren. Hat jemand einen kleinen Schacht gesehen, der uns nach oben ans Tageslicht führen soll? Tatsächlich. Nach einigen Metern Rückweg taucht linker Hand ein schmaler Schacht auf. Joachim Niebaum zieht eine Metallleiter aus und nun geht es nach oben ans Tageslicht.

    Oben angekommen wird erst deutlich, welch mühevolles Unterfangen der Bau dieser Anlagen gewesen sein muss. Und doch muss es sich gelohnt haben. In ihrer Blütezeit gehörten die Oberharzer Bergwerke zu den tiefsten der Welt. Hauptsächlich wurde hier Silber, Kupfer, Blei und Eisen abgebaut. Die großen Erzvorkommen des Oberharzes konnten wiederum nur mithilfe des Wassers gefördert werden. Wasser mit Wasser heben. Das Prinzip war so einfach wie genial. Und Wasser gab es im regenreichen Westharz meist mehr als genug. So sorgte der florierende Bergbau auf seine Weise dafür, dass aus einem dichten urtümlichen Wald eine herrliche Kulturlandschaft geworden ist.