Friedhelm Hartmann leitet beim Studentenwerk Göttingen das BAföG-Amt. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich Dutzende von hellbraunen Aktenmappen. 6000 Anträge im Jahr gibt es in Göttingen insgesamt, jeder zehnte davon wird derzeit nach dem Datenabgleich mit dem Bundesamt für Finanzen noch einmal aufgerollt. 600 Überprüfungen - da bleibt einiges an anderer Arbeit liegen, stöhnt der BAföG-Experte.
Das ist für uns sehr viel Arbeit, denn wir fragen nicht nur hinsichtlich der einen Antragstellung aus dem Jahr 2000, sondern dass das Vermögen nicht plötzlich vom Himmel gefallen ist liegt ebenso auf der Hand wie, dass es wahrscheinlich im Jahr 2001 nicht plötzlich verschwunden ist. Deshalb gebietet der Sachzusammenhang das eben auch für die Antragsdaten vorher. Das kann dann bis zum Kalenderjahr 1995 zurückgehen.
Friedhelm Hartmann kämpft sich durch Kontoauszüge und Bankbescheinigungen, Briefe von Rechtsanwälten und handschriftliche Erklärungen von Familienangehörigen. Im aktuellen Fall geht es um einen Sparbrief, den eine Großmutter auf den Namen ihres studierenden Enkels gekauft hatte. Der Erlös, schreibt der BAföG-Empfänger, war für eine Existenzgründung nach seinem Examen gedacht.
Mit anderen Worten: Nach dem Willen der Großmutter, die hier quasi die Schenkerin ist, sollte es eben nicht der Anrechnung auf die Ausbildungsförderung nach dem BAföG dienen. Wenn sie gewusst hätte, dass dieser Summe das mal dient, hätte sie das Geld wahrscheinlich nicht oder erst unzweifelhaft später zugewandt. Und wir machen uns jetzt Gedanken: Wurde schon ein Eigentumsrecht an den 12.000 Mark im Sparbrief erworben, wie sieht es denn aus, wenn dieser Sparbrief jetzt verwertet wird? Wird dann den Auflagen der Schenkung nicht so widersprochen, dass sofort ein Rückforderungsanspruch der Großmutter wegen zweckwidriger Verwendung auflebt? Wir haben hier schon große Schwierigkeiten, so etwas festzustellen und so was dingfest zu machen, ob es nun zur Anrechnung kommen soll eben nicht.
Mehrfach musste Friedhelm Hartmann bereits weitere Unterlagen und Bescheinigungen nachreichen lassen, ein Ende der Untersuchung ist jedoch immer noch nicht in Sicht.
Hartmann verschweigt nicht, dass er der flächendeckenden Überprüfungswelle aus Datenschutzgründen höchst skeptisch gegenüber steht. Das Land Niedersachsen hat die örtlichen BAföG-Ämter jedoch per Erlass dazu verpflichtet, die BAföG-Anträge noch einmal durchzuchecken.
Wir haben Gott sei dank von unserem Ministerium auch die Vorgabe, dass hier nicht das Racheschwert geschwungen werden soll, sondern wirklich eben nur bei dieser erheblichen kriminellen Energie und wenn das nachhaltig betrieben wurde, die unrichtigen Angaben, dass nur dann wirklich auch eine Strafanzeige erfolgen soll. Deshalb wird es in der Regel nur zu Bußgeldverfahren kommen. Weil wir gar nicht Herr dieser vielen Fälle werden, haben wir dort eine Bagatellgrenze gesetzt. Unter 3000 Euro Überzahlung werden wir - in Niedersachen gibt's da eine Vereinbarung zumindest - die Dinge nicht weiter verfolgen. Meines Wissens ist Berlin sogar schon zu Bagatellgrenzen von 8000 oder 9000 Euro übergegangen ist, weil das nicht leistbar ist, diese ganzen Sachen sonst abzuwickeln, und dann könnte sich eben ein Bußgeld von 10 bis 15 Prozent der Überzahlung ergeben.
Trotz solcher Kulanz stoßen die Nachforschungen des BAföG-Amts bei den Göttinger Studierende auf nahezu einhellige Ablehnung. Stimmen vom Campus:
In meinem Bekanntenkreis sind halt auch einige dabei gewesen, wo zum Beispiel die Eltern Geld angelegt hatten ohne deren Wissen, und die müssen jetzt richtig viel zurückzahlen. Und das muss halt nicht sein. Wenn die Eltern das halt machen, um denen beim Examen das zu geben, da können die doch nichts für. Zum Teil sind das um die 10.000 Euro, und das finde ich dann schon ganz schön heftig. Und die dürfen ja dann auch keinen neuen Antrag stellen oder kriegen dann halt nichts mehr. Und das muss halt nicht sein. Ich mein, wir haben es schließlich schwer genug.
Das ist ja Vergangenheit, und Vergangenheit ist halt Vergangenheit, das müsste man eigentlich ruhen lassen.
Die prüfen doch fast alles nach beim BAföG-Amt, wenn man den Antrag schon stellt, und irgendwie das jetzt nachträglich zu machen und den Leuten dann, die auf das Geld angewiesen sind, dass die dann irgendwie eine Sperre bekommen, das ist total idiotisch. Ich meine, wo sollen sie denn die Kohle herbekommen? Das geht doch gar nicht.
Irgendwie kann Friedhelm Hartmann an seinem Schreibtisch mit Blick auf den Göttinger Campus die Studenten sogar verstehen.
Ich bedaure schon, dass wir diese Überprüfung machen müssen. Die Notwendigkeit selbst, die sehe ich natürlich sachlich schon. Aber ich finde eben gerade die rückwirkende Überprüfung deshalb schlimm, weil Datenschutzbelange betroffen sind. Weil Studierende merken, wie offen sie gegenüber dem Staat liegen, wenn sie einen BAföG-Antrag stellen, und insofern könnten selbst Studierende, die kein Vermögen haben, sich fragen, ob sie sich mit einem BAföG-Antrag einmal mehr solcher Überprüfungen, von denen sie vorher nichts wussten, unterziehen wollen. Sie müssen ja letztlich mit der Möglichkeit rechnen, dass ein BAföG-Antrag zu irgendwelchen Ermittlungen im Hintergrund, die vorher niemand kannte, führt, und das wird dem einen oder anderen nicht recht sein.
Dennoch: Die Gesetzeslage ist eindeutig, die Überprüfungen laufen, die ersten Rückzahlungsbescheide werden in den nächsten Wochen verschickt. Und so macht Friedhelm Hartmann weiter - als BAföG-Fahnder wider Willen.
Der Ermittlungsaufwand ist immens, eben weil es über Jahre geht, weil verschiedene Antragsdaten zu überprüfen sind, weil Unterlagen häufig nicht vorhanden sind und man sich durch ungewohnte Bankauszüge quälen muss, bis man dann wirklich zu einer Zahl gelangt.
[Autorin: Beatrix Thiel]
Das ist für uns sehr viel Arbeit, denn wir fragen nicht nur hinsichtlich der einen Antragstellung aus dem Jahr 2000, sondern dass das Vermögen nicht plötzlich vom Himmel gefallen ist liegt ebenso auf der Hand wie, dass es wahrscheinlich im Jahr 2001 nicht plötzlich verschwunden ist. Deshalb gebietet der Sachzusammenhang das eben auch für die Antragsdaten vorher. Das kann dann bis zum Kalenderjahr 1995 zurückgehen.
Friedhelm Hartmann kämpft sich durch Kontoauszüge und Bankbescheinigungen, Briefe von Rechtsanwälten und handschriftliche Erklärungen von Familienangehörigen. Im aktuellen Fall geht es um einen Sparbrief, den eine Großmutter auf den Namen ihres studierenden Enkels gekauft hatte. Der Erlös, schreibt der BAföG-Empfänger, war für eine Existenzgründung nach seinem Examen gedacht.
Mit anderen Worten: Nach dem Willen der Großmutter, die hier quasi die Schenkerin ist, sollte es eben nicht der Anrechnung auf die Ausbildungsförderung nach dem BAföG dienen. Wenn sie gewusst hätte, dass dieser Summe das mal dient, hätte sie das Geld wahrscheinlich nicht oder erst unzweifelhaft später zugewandt. Und wir machen uns jetzt Gedanken: Wurde schon ein Eigentumsrecht an den 12.000 Mark im Sparbrief erworben, wie sieht es denn aus, wenn dieser Sparbrief jetzt verwertet wird? Wird dann den Auflagen der Schenkung nicht so widersprochen, dass sofort ein Rückforderungsanspruch der Großmutter wegen zweckwidriger Verwendung auflebt? Wir haben hier schon große Schwierigkeiten, so etwas festzustellen und so was dingfest zu machen, ob es nun zur Anrechnung kommen soll eben nicht.
Mehrfach musste Friedhelm Hartmann bereits weitere Unterlagen und Bescheinigungen nachreichen lassen, ein Ende der Untersuchung ist jedoch immer noch nicht in Sicht.
Hartmann verschweigt nicht, dass er der flächendeckenden Überprüfungswelle aus Datenschutzgründen höchst skeptisch gegenüber steht. Das Land Niedersachsen hat die örtlichen BAföG-Ämter jedoch per Erlass dazu verpflichtet, die BAföG-Anträge noch einmal durchzuchecken.
Wir haben Gott sei dank von unserem Ministerium auch die Vorgabe, dass hier nicht das Racheschwert geschwungen werden soll, sondern wirklich eben nur bei dieser erheblichen kriminellen Energie und wenn das nachhaltig betrieben wurde, die unrichtigen Angaben, dass nur dann wirklich auch eine Strafanzeige erfolgen soll. Deshalb wird es in der Regel nur zu Bußgeldverfahren kommen. Weil wir gar nicht Herr dieser vielen Fälle werden, haben wir dort eine Bagatellgrenze gesetzt. Unter 3000 Euro Überzahlung werden wir - in Niedersachen gibt's da eine Vereinbarung zumindest - die Dinge nicht weiter verfolgen. Meines Wissens ist Berlin sogar schon zu Bagatellgrenzen von 8000 oder 9000 Euro übergegangen ist, weil das nicht leistbar ist, diese ganzen Sachen sonst abzuwickeln, und dann könnte sich eben ein Bußgeld von 10 bis 15 Prozent der Überzahlung ergeben.
Trotz solcher Kulanz stoßen die Nachforschungen des BAföG-Amts bei den Göttinger Studierende auf nahezu einhellige Ablehnung. Stimmen vom Campus:
In meinem Bekanntenkreis sind halt auch einige dabei gewesen, wo zum Beispiel die Eltern Geld angelegt hatten ohne deren Wissen, und die müssen jetzt richtig viel zurückzahlen. Und das muss halt nicht sein. Wenn die Eltern das halt machen, um denen beim Examen das zu geben, da können die doch nichts für. Zum Teil sind das um die 10.000 Euro, und das finde ich dann schon ganz schön heftig. Und die dürfen ja dann auch keinen neuen Antrag stellen oder kriegen dann halt nichts mehr. Und das muss halt nicht sein. Ich mein, wir haben es schließlich schwer genug.
Das ist ja Vergangenheit, und Vergangenheit ist halt Vergangenheit, das müsste man eigentlich ruhen lassen.
Die prüfen doch fast alles nach beim BAföG-Amt, wenn man den Antrag schon stellt, und irgendwie das jetzt nachträglich zu machen und den Leuten dann, die auf das Geld angewiesen sind, dass die dann irgendwie eine Sperre bekommen, das ist total idiotisch. Ich meine, wo sollen sie denn die Kohle herbekommen? Das geht doch gar nicht.
Irgendwie kann Friedhelm Hartmann an seinem Schreibtisch mit Blick auf den Göttinger Campus die Studenten sogar verstehen.
Ich bedaure schon, dass wir diese Überprüfung machen müssen. Die Notwendigkeit selbst, die sehe ich natürlich sachlich schon. Aber ich finde eben gerade die rückwirkende Überprüfung deshalb schlimm, weil Datenschutzbelange betroffen sind. Weil Studierende merken, wie offen sie gegenüber dem Staat liegen, wenn sie einen BAföG-Antrag stellen, und insofern könnten selbst Studierende, die kein Vermögen haben, sich fragen, ob sie sich mit einem BAföG-Antrag einmal mehr solcher Überprüfungen, von denen sie vorher nichts wussten, unterziehen wollen. Sie müssen ja letztlich mit der Möglichkeit rechnen, dass ein BAföG-Antrag zu irgendwelchen Ermittlungen im Hintergrund, die vorher niemand kannte, führt, und das wird dem einen oder anderen nicht recht sein.
Dennoch: Die Gesetzeslage ist eindeutig, die Überprüfungen laufen, die ersten Rückzahlungsbescheide werden in den nächsten Wochen verschickt. Und so macht Friedhelm Hartmann weiter - als BAföG-Fahnder wider Willen.
Der Ermittlungsaufwand ist immens, eben weil es über Jahre geht, weil verschiedene Antragsdaten zu überprüfen sind, weil Unterlagen häufig nicht vorhanden sind und man sich durch ungewohnte Bankauszüge quälen muss, bis man dann wirklich zu einer Zahl gelangt.
[Autorin: Beatrix Thiel]