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Band "Apples In Space"
"Es dauert manchmal Jahre, einen Song fertig zu kriegen"

Date Rape, Essstörungen, Depressionen: Viele Songs der Berliner Band "Apples In Space" behandeln schwierige Themen. "Die Texte sind für uns das Wichtigste", betonten die Musiker Phil Haussmann und Julie Mehlum im Corso-Gespräch. Vom Entwurf bis zum fertigen Song können deswegen manchmal Jahre vergehen.

Die Berliner Band "Apples in Space" im Corso-Gespräch mit Anja Buchmann | 19.11.2016
    Die Berliner Alternative-/Folk-Rock-Band Apples In Space.
    Die Berliner Alternative-/Folk-Rock-Band Apples In Space. (Isabella Zappe / Philine Barbe)
    Anja Buchmann: Apples in Space heißt eine Berliner Combo, anfangs Duo, nun zu viert: Und ihre Kennenlern-Geschichte klingt wie Popmusik-Klischee: Kellnernder Barmusiker aus Berlin trifft in Kreuzberg auf Interrail reisende Punkrockerin aus Norwegen, die beiden lernen als Praktikanten beim Dreh von "Hai Alarm am Müggelsee" Co-Produzent Sven Regener von Element of Crime kennen, der produziert in seinem Wohnzimmer eine EP des Duos und nimmt sie mit auf Tour.
    Apples in Space haben jetzt mit "The Shame Song" das zweite Album veröffentlicht und befinden sich zur Zeit auf Deutschlandtour. Ach ja, und der Sänger Phil ist außerdem Sohn des Regisseurs und Schauspielers Leander Haußmann. Was er nicht so betonen möchte – verständlich -, was aber auch nicht schadet – auch verständlich. Immerhin haben sie über Leander Haußmann als Musiker bei der "Hamlet" Inszenierung am Berliner Ensemble mit gewirkt.
    Jedenfalls: Ich habe Phil Haussmann und Julie Mehlum von "Apples in Space" vor ihrem Konzert am Donnerstag in Köln getroffen. Und sie erst mal nach der Umstellung vom Duo zur Band und nach eigenen Soundvorstellungen gefragt.
    Julie: Es war etwas zufällig, dass wir angefangen haben mit Gitarre und zwei Stimmen, weil unsere erste EP haben wir mit neun verschiedenen Instrumenten aufgenommen. Und wir haben eigentlich unsere Songs dafür geschrieben, dass die größer sind, mit Band. Und deshalb sind wir so glücklich, dass jetzt auch Jonathan Sieweck am Schlagzeug dabei ist und Janusz Hüsges am Bass.
    Phil: Vor allem auch die alten Songs, die wir jetzt live spielen – wir arbeiten immer noch an denen, obwohl die zum Teil sechs Jahre alt sind. Jetzt sind sie da, wo sie sein sollten auch musikalisch. Wir haben immer von jedem Album zum nächsten ne Idee wie das klingen soll. Also jetzt gehen wir mehr Richtung Punk oder.
    Julie: Ja, was wir auch gemeinsam haben als Idee, ist dass wir beide ganz schwach sind für große Melodien. Aber ich mag es wahrscheinlich ein bisschen komischer und dreckiger als Du und Du magst eher so, ein bisschen...
    Buchmann: Kitschig?"
    Phil: Nicht kitschig, epischer vielleicht. Du bist eher so in Richtung komische Akkorde, so jazzy unterwegs und ich eher in Richtung simple Akkorde, episch.
    Julie: Nee, ich mag komische Geräusche. Ich liebe Pixies und Pavement und sowas, ich mag es, wenn etwas unperfekt ist. Und das haben wir auf jeden Fall gemeinsam, auch mit den zwei anderen. Dass wir alle eher leidenschaftlich sind als perfektionistisch.
    Gegenseitige Unterstützung
    Buchmann: Und wie entstehen dann Ihre leidenschaftlichen und nicht immer perfektionistischen Songs?
    Julie: Manchmal schreibe ich einen Text oder Du schreibst einen Text und dann zeigen wir einander, was wir geschrieben haben und dann arbeiten wir daran zusammen.
    Phil: Meistens hat einer von uns den ersten Entwurf und oft fangen wir mit dem Text an – das sind zumindest meist die Songs, die wirklich fertig werden, wo wir mit dem Text anfangen. Dann setzen wir uns zusammen, fangen an zu spielen und entwickeln es weiter. So dass jeder Song wirklich von Julie und mir gemeinsam geschrieben ist. Und der andere macht ihn auch immer besser.
    Julie: Aber es dauert manchmal Jahre, einen Song fertig zu kriegen. Zum Beispiel "November", den Song haben wir 2011 angefangen. Und der ist erst für dieses Album fertig geworden.
    Buchmann: Das war auch ein Song, wo, wie Sie sagten, der Text zuerst war?
    Phil: Nein, da war die Musik zuerst und deshalb hat es wahrscheinlich auch so lange gedauert. Wir haben mit der Musik angefangen, ich erinnere mich noch, da waren wir in Solo, auf dem Wohnzimmerboden und haben dieses Gitarrenpicking gespielt und diesen Pre-Chorus, wenn es anfängt mit dem Strumming. Und das Thema war immer klar. Bis wir es aber geschafft haben, einen Text zu diesem Thema zu schreiben, da in dem Song geht um Depressionen und November als Metapher für Depressionen, es geht nicht um den Monat. Also, bis wir das hingekriegt haben, das waren vier Jahre oder so. Für uns sind die Texte einfach das Wichtigste.
    Texte über schwierige Themen
    Buchmann: Sie haben dann aber beim Textschreiben schon Melodie-Ideen oder eine musikalische Atmosphäre im Hinterkopf, das schon?
    Julie: Auf jeden Fall. Und wir versuchen auch, viele unserer Texte sind eher traurig und schwierige Texte vor allem, über schwierige Themen wie Date Rape oder Essstörungen oder Depressionen. Und dann versuchen wir auch einen Kontrast zu machen, so dass die Musik vielleicht ein bisschen fröhlicher ist.
    Buchmann: Ich würde gern ein bisschen noch auf Ihre Biografie zu sprechen kommen – wie haben Sie sich kennen gelernt?
    Julie: Ich war auf Interrail. Ich war 17 Jahre alt und mein erster Stopp war in Berlin. Eine Freundin einer Freundin meinte: Du kannst bei mir und meinem Freund schlafen. Dann haben die mich eingeladen zu dieser Party am Gleisdreieck. Es war eine Riesenparty unter einer Brücke. Und da habe ich Phil gesehen. Er hat gespielt.
    Buchmann: Mit seiner Punkband?
    Julie: Nein, mit einer Freundin von ihm.
    Phil: Da habe ich schon Folk gemacht. Das war kurz nach der Punk-Phase.
    Julie: Genau, aber ich habe immer noch in einer Punkband gespielt. Das fandest Du auch ganz cool damals, kann ich erinnern. Und dann haben wir miteinander gesprochen und das war es. Ich glaube innerhalb von einem Jahr war ich 10 Mal in Berlin.
    Phil: Und dann hat Julie in Norwegen gewohnt und ich in Berlin und wir haben uns immer gegenseitig besucht, zusammen Songs geschrieben, auf der Straße Musik gemacht, die Nächte wach geblieben. Der Song "Manor Hotel", da geht es darum. Und 2011 haben wir unsere erste EP zusammen aufgenommen. In Oslo, in Eigenregie. Da bin ich direkt hingezogen, in die Wohnung einer Freundin von Julie. Wir waren dann zu dritt in einer Ein Zimmer-Wohnung, ein paar Monate.
    Julie: 40 qm, ein Schlafzimmer. Zu dritt in einem Bett geschlafen. Manchmal waren auch noch andere Freunde da.
    Phil: Dann ist sie in ein besetztes Haus gezogen und wir waren auf der Straße.
    Schlafen neben Henrik Ibsen
    Buchmann: Also alle Rock'n'Roll-Klischees, beziehungsweise Rock'n'Roll ist es nicht, aber Pop-Klischees bedient in Ihrer Biografie.
    Phil: Ja tatsächlich, das erzählen wir auch immer wieder gern.
    Julie: Wir haben zum Beispiel neben Ibsens Grab geschlafen. Und ich habe dann tagelang in einer Bar gearbeitet.
    Buchmann: Henrik Ibsen?
    Julie: Genau, Henrik Ibsens Grab, dort ist ein sehr schöner Schlafplatz. Im Sommer.
    Phil: Aber man wird relativ schnell rausgeschmissen von den Securities.
    Buchmann: Und ich weiß, oder ich las – Sie sprechen da jetzt nicht so garn drüber, aber trotzdem ist es so, dass Sie der Sohn von Leander Haußmann sind. Inwieweit hatte das auch damit zu tun, dass Sie zum Beispiel bei der Hamlet-Aufführung die Musik machen konnten – das hat ja sicher schon damit zu tun – oder auch "Haialarm am Müggelsee"?
    Phil: Ich muss dazu sagen: Wir haben ein gutes Verhältnis, ich bin aber großenteils bei meiner Mutter aufgewachsen, die Sekretärin ist, in Köln-Mitte. Und seit ich dreizehn bin schreibe ich Musik und spiele in Bands und so. Das habe ich immer gemacht und irgendwann hat Leander gemerkt, dass er das mag. Vor allem beim Hamlet. Er hatte eine Version mit einer Folkband, die Songs schreibt und spielt, was dann auch letztendlich gut funktioniert hat, es läuft auch noch. Und da hat er uns gefragt aus drei Gründen: Zum einen kennt er und mag er uns. Zum anderen waren und sind wir sehr flexibel. Und außerdem auch sehr günstig. Und man kann mit uns arbeiten, ohne dass wir Stress machen.
    Negative Erfahrungen mit Vorurteilen
    Buchmann: Da wurde der Sohn noch finanziell ausgenutzt.
    Phil: Ja. Nein, es war eine gute Zeit für uns und wir haben sehr viel gelernt. Auch unter Druck Songs zu schreiben, wir brauchen ja ewig normalerweise. Das haben wir da relativ schnell gemacht. Aber es gibt halt oft – schon seit ich in den Kindergarten gehe – Vorurteile gegenüber mir, dass ich es einfacher hätte deshalb. Und dazu möchte ich sagen, dass die Musikwelt alles andere als einfach ist. Und dass mir das tatsächlich auch – was die Presse betrifft oder Vorurteile von Menschen, von Industrieleuten, bevor sie überhaupt gehört haben was wir machen, betraf, habe ich da schon einige negative Erfahrungen gemacht.
    Julie: Das war ja eigentlich sogar Zufall, dass er uns engagiert hat. Oder eigentlich war es Sven Regeners Idee. Im Haialarm, weil die haben ja diesen Film zusammen gemacht. Weil ich bin dann eine Woche vorher nach Berlin gezogen mit Phil und habe ein Praktikum in diesem Film bekommen. Wir beide haben das bekommen. Ich im Szenenbild und du.
    Phil: Videooperator.
    Julie: Und es war echt mein erster richtiger Job. Ich habe es gehasst. Aber viel gelernt.
    Buchmann: Und eben Sven Regener kennen gelernt.
    Julie: Genau, das war großartig. Aber ich wusste nicht, wer diese Menschen sind, denn ich war so ein ignorantes junges Mädchen aus Norwegen. Und dann sollte eine gute Freundin und Kollegin von uns, Maike Rosa Vogel eine Szene im Film spielen. Sie konnte aber nicht und dann hat Sven Regener irgendwie mitgekriegt, dass wir Musik spielen. Und meinte: Vielleicht versucht ihr es mal. Dann haben wir "Vespa" für ihn gespielt und er sagte: Ja. Nehmen wir. Dann, als der Film heraus kam, innerhalb von einem Tag hat unsere Musik wieder 30.000 Views bekommen. Dann habe ich erst verstanden, wie groß das alles war.
    Buchmann: Was haben Sie denn Sven Regener zu verdanken? Der hat Sie ja mehr oder weniger entdeckt und hat mit ihnen zusammen die zweite EP aufgenommen. Was haben Sie ihm zu verdanken, musikalisch, unterstützend, Kontakte habend oder wie auch immer?
    Phil: Durch diese ganze Haialarm-Sache haben wir auch unsere Managerin Charlotte kennen gelernt . Und durch diese Produktion der EP und dass wir mit Element of Crime auf Tour waren, das war insofern der "boost", als wir begonnen haben, Musik zu verfolgen. Vorher haben wir rumgehangen und Musik gemacht und danach haben wir wirklich angefangen daran zu arbeiten, auch kreativ eine Linie zu verfolgen.
    Julie: Ich fühle mich sehr dankbar, dass wir jemanden getroffen haben, so früh, der wirklich an uns geglaubt hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.