dissi", dann den Erzählungs-band "Anru-fung des blinden Fisches", und nun den Roman "Barbar Rosa" - ein Ausschnitt daraus hatte ihm im letzten Jahr bereits den Bachmann-Preis eingebracht. In kürzester Zeit hat sich Georg Klein unverzichtbar gemacht in der deutschen Literatur der Gegen-wart.
Der achtundvierzigjährige Autor hatte aber auch sehr viel Zeit, sein Talent im Verborgenen zu entwickeln. Fünfzehn Jahre lang wollten die Verlage von seinen Texten nichts wissen. Was jetzt Stück für Stück aus seinen Schub-laden kommt, ist zugleich eine große Blamage für die deutschen Lektoren. Der Autor ist ihnen jedoch nicht länger gram; Erfolg stimmt versöhnlich; aus Wunden sind Anekdoten geworden.
Als ich anfing intensiv nach einem Verlag zu suchen - in der zweiten Hälfte der achtziger und in den neunziger Jahren -, waren die Vorstellungen, die man in deutschen Lektoraten von einem deutschen Erzähltext hatte, derart eng, dass ich einfach abseits der Spur lag. Und das ging wirklich soweit, dass ein mir doch wohlmeinender Lektor den Ratschlag gab (wir waren schon beim Du): "Schreib doch einfach mal ein Buch über deinen Vater. Vaterbücher gehen immer gut." Ich war aber gar nicht der Meinung, dass die gut gehen - denn ich hatte absolut keine Lust mehr, noch ein weiteres Vaterbuch zu lesen, geschweige denn zu schreiben. Aber so hatte er es eben gelernt im Verlag.
"Barbar Rosa", der neue Roman, ist so eigenwillig wie sein Titel. Eine Detektivgeschichte - aber eine der ganz anderen Art. Ein Geld-transporter ist verschwunden, Detektiv Mühler wird auf seine Spur gesetzt. So weit, so konventionell. Wie Mühler bei seinen Ermitt-lungen dann aber von einer aberwitzigen Episode in die nächste stolpert, das hat mit üblichen Detektivgeschichten nur noch wenig zu tun. Ort der Handlung ist eine namenlose Metropole, die an ein gespenstisches, degeneriertes Berlin erinnert. Es gibt viele merkwürdige Figuren, wunderliche Schauplätze, kuriose Szenen und zwischen alledem stets surreale Zusammenhänge, wie bei Kafka oder Pynchon - Autoren, die Klein bewundert.
Zu den Vorgaben des Genres gehört die Gebrochenheit der Ermittler-figur. Detektiv Mühler hat da einiges zu bieten: Er leidet unter Impotenz, scheußlichen Allergien, einem schweren Unfalltrauma. Der abgewrackte Held hat erzähl-technisch einige Vorteile.
Dem Detektiv geht mindestens ein Klischee voraus. Ich bin natürlich erstmal für Klischees, denn da hat man etwas, womit man arbeiten kann. Ich denke aber, dass mein Detektiv das Klischee von Anfang an auf nicht ganz unoriginelle Weise bricht. Ein Beispiel: Philip Marlowe darf alles sein, nur nicht impotent. Das hätte Chandler einfach nicht gebracht. Marlowe ist auch nach dem zwanzigsten Whisky jemand, der nicht flachliegt, sondern die schönen Frauen reihenweise flachlegt... Dieses Klischee habe ich nicht erfüllt, obwohl ich mit ihm operiere. Mit einem Klischee beginnen, heißt nicht, dem Klischee sklavisch zu folgen. Was die Kaputtheit angeht: Es ist immer schön, klein anzufangen - mit einer Figur, deren Ausdehnung reduziert ist, die schroffe Grenzen in ihren Handlungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten hat. Dann kann man damit beginnen, diese Grenzen zu überschreiten. Und ich könnte, glaube ich, einiges zugunsten von Mühlerchen, des Helden von "Barbar Rosa", und auch zugunsten von Spaik, des Helden von "Libidissi", anführen: Was die im Verlauf der Handlung noch alles können!
Immerhin, Mühler hat den Alkohol besiegt, er ist ein Ex-Trinker, der allerdings noch an lästigen Thera-pie
Neben-folgen laboriert. Dem Motiv der Sucht kommt in Kleins erzählter Welt eine wichtige Rolle zu; er erfindet gern exotische Suchtstoffe und die ganze dazu-gehörige Szene. In "Libidissi" gibt es ein mysteriöses Gebräu namens "Suleika", in "Barbar Rosa" wird in düsteren Hinter
zimmern ein verbotener Alkohol-verstärker namens "Sucko" zusammen-gebraut.
Mit Drogen und Sucht kann man als Erzähler sehr viel machen. Es ist auch meine Erfahrung aus Gesprächen mit Lesern, dass den meisten dazu unglaublich viel einfällt. Sucht ist eine sehr aktive Schnittstelle zwischen unserer Innen- und Außenwelt. Und es soll mir keiner sagen, dass er nichts mit Drogen hat! Da muß ich ihm nur einen Tag über die Schulter schauen, um rauszukriegen, was er sich reinzieht und wo er sofort sehr nervös werden würde, wenn es hieße: Das nehmen wir dir jetzt eine Woche lang weg. Das Fernsehen oder den Kaffee oder die Zigaretten oder Schlimmeres...
Süchten nah verwandt sind die sexuellen Obsessionen der Figuren, etwa des liebenswerten Kurti, Mühlers bestem und einzigem Freund, der nichts Schöneres kennt als... - aber vielleicht muss man das selber lesen, um zu sehen, dass von Geschmacklosigkeit oder gar Perversion nur sehr eingeschränkt die Rede sein kann. Klein be-steht darauf, dass er das Rohe keineswegs roh schildere, sondern sozu--sagen barbarisch rosa, womit wir bei einer der vielen Be-deutungen des Titels wären. -- Ich will, wenn ich intensiv lese, hart angepackt werden. Und umgekehrt versuche ich auch, beim Schreiben gut zuzulangen. Aber ich bilde mir im übrigen einiges darauf ein, dass ich zu zarten Tönen fähig bin. Und ich bilde mir auch ein bißchen was darauf ein, dass ich aus Szenen großer Entfremdung und Isolation Situa-tionen von Intimität und Zartheit entwickeln kann. Allerdings muss man da auch ein Stück mitgehen...
Wer mitgeht, kann sich über Kleins bezwingenden Sprach-witz freuen. Er beschreibt Ekliges, aber in einem charak-teristischen Edelton. Das Unheimliche und Häßliche ist zugleich Voraussetzung eines sehr wirk-samen Grotesk-humors. Wie wichtig ist Georg Klein das Komische in der Literatur?
Sehr wichtig. Wirklich sehr, sehr wichtig. Ich lache beim Schreiben gern und oft. Und ich bin auch immer froh, wenn es bei Lesungen irgendwo im Publikum zu glucksen beginnt. Zum Glück passiert das fast immer. Ich bin dankbar für den ersten Zuhörer, der mit einem unterdrückten Kichern das Signal setzt: es darf gelacht werden. Es darf wirklich gelacht werden! Es gibt aller-dings ein Lachen, das ich nicht mag, das Lachen einer billigen Schadenfreude. Ich habe meine Figuren alle sehr gern, und ich versuche die Szenen so anzulegen, dass man nicht allzu billig über sie lachen kann. Es gibt aber auch ein anderes Lachen. Es signa-lisiert, dass man überrascht merkt: man hat Anteil an dem, was erzählt wird. Dieses Überraschungslachen hat etwas Befreiendes. Das empfinde ich als beglückend. So lache ich auch, wenn der Text mich selber überrascht. Wenn ich etwas schreibe, mit dem ich fünf Sekunden vorher nicht gerechnet hatte.
In Kleins fremden Szenarien erkennt man Vertrautes wieder, mit viel Spott in den Mundwinkeln beschrieben: die schöne neue Medien- und Werbewelt, die Therapiekultur, den Kunstbetrieb der Events und Happenings. Von vordergründiger Satire grenzt der Autor sich aller-dings ent-schieden ab.
Satire ist etwas, das man nebenbei mitnehmen kann. Aber ich finde, man sollte nicht darauf setzen, gewisse Kuriositäten zu toppen. Vielleicht ist der entscheidende Punkt, wo man die Übertreibung setzt. Die Hyperbel ist als Stilfigur für mich sehr wichtig. Wenn das Übertreiben aber nicht mehr das Moment von Überraschung hat, wenn es nicht die Erwartung unterläuft - dann ist man in die satirische Falle gegangen. Wenn man dort übertreibt, wo die Übertreibung erwartet wird, dann ist man im schlechten Sinn Satiriker. Man muss dort übertreiben, wo man sich selber perplex macht.
Georg Klein ist keiner jener Autoren, die beim Schreiben angeblich nie an den Leser denken und deren Texten man genau dies anmerkt.
Ich habe eine hohe Meinung vom Leser. Wenn ich arbeite, begleitet mich die Phantasie einer potenten Leserfigur, so eine Art Traumleserin, eine Art Traumleser. Eine Persönlichkeit, die so gut lesen kann, dass sie sich auf ganz viel einlassen kann. Und diese Wunschvorstellung macht auch eine Menge des Schreibvergnügens aus: Sich selber heftig einzubilden: da draußen sind sie, die starken Leser...
Georg Klein ist zu wünschen, dass er viele starke Leser findet - und dass er sich und uns noch mit weiteren Büchern perplex macht.
Der achtundvierzigjährige Autor hatte aber auch sehr viel Zeit, sein Talent im Verborgenen zu entwickeln. Fünfzehn Jahre lang wollten die Verlage von seinen Texten nichts wissen. Was jetzt Stück für Stück aus seinen Schub-laden kommt, ist zugleich eine große Blamage für die deutschen Lektoren. Der Autor ist ihnen jedoch nicht länger gram; Erfolg stimmt versöhnlich; aus Wunden sind Anekdoten geworden.
Als ich anfing intensiv nach einem Verlag zu suchen - in der zweiten Hälfte der achtziger und in den neunziger Jahren -, waren die Vorstellungen, die man in deutschen Lektoraten von einem deutschen Erzähltext hatte, derart eng, dass ich einfach abseits der Spur lag. Und das ging wirklich soweit, dass ein mir doch wohlmeinender Lektor den Ratschlag gab (wir waren schon beim Du): "Schreib doch einfach mal ein Buch über deinen Vater. Vaterbücher gehen immer gut." Ich war aber gar nicht der Meinung, dass die gut gehen - denn ich hatte absolut keine Lust mehr, noch ein weiteres Vaterbuch zu lesen, geschweige denn zu schreiben. Aber so hatte er es eben gelernt im Verlag.
"Barbar Rosa", der neue Roman, ist so eigenwillig wie sein Titel. Eine Detektivgeschichte - aber eine der ganz anderen Art. Ein Geld-transporter ist verschwunden, Detektiv Mühler wird auf seine Spur gesetzt. So weit, so konventionell. Wie Mühler bei seinen Ermitt-lungen dann aber von einer aberwitzigen Episode in die nächste stolpert, das hat mit üblichen Detektivgeschichten nur noch wenig zu tun. Ort der Handlung ist eine namenlose Metropole, die an ein gespenstisches, degeneriertes Berlin erinnert. Es gibt viele merkwürdige Figuren, wunderliche Schauplätze, kuriose Szenen und zwischen alledem stets surreale Zusammenhänge, wie bei Kafka oder Pynchon - Autoren, die Klein bewundert.
Zu den Vorgaben des Genres gehört die Gebrochenheit der Ermittler-figur. Detektiv Mühler hat da einiges zu bieten: Er leidet unter Impotenz, scheußlichen Allergien, einem schweren Unfalltrauma. Der abgewrackte Held hat erzähl-technisch einige Vorteile.
Dem Detektiv geht mindestens ein Klischee voraus. Ich bin natürlich erstmal für Klischees, denn da hat man etwas, womit man arbeiten kann. Ich denke aber, dass mein Detektiv das Klischee von Anfang an auf nicht ganz unoriginelle Weise bricht. Ein Beispiel: Philip Marlowe darf alles sein, nur nicht impotent. Das hätte Chandler einfach nicht gebracht. Marlowe ist auch nach dem zwanzigsten Whisky jemand, der nicht flachliegt, sondern die schönen Frauen reihenweise flachlegt... Dieses Klischee habe ich nicht erfüllt, obwohl ich mit ihm operiere. Mit einem Klischee beginnen, heißt nicht, dem Klischee sklavisch zu folgen. Was die Kaputtheit angeht: Es ist immer schön, klein anzufangen - mit einer Figur, deren Ausdehnung reduziert ist, die schroffe Grenzen in ihren Handlungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten hat. Dann kann man damit beginnen, diese Grenzen zu überschreiten. Und ich könnte, glaube ich, einiges zugunsten von Mühlerchen, des Helden von "Barbar Rosa", und auch zugunsten von Spaik, des Helden von "Libidissi", anführen: Was die im Verlauf der Handlung noch alles können!
Immerhin, Mühler hat den Alkohol besiegt, er ist ein Ex-Trinker, der allerdings noch an lästigen Thera-pie
Neben-folgen laboriert. Dem Motiv der Sucht kommt in Kleins erzählter Welt eine wichtige Rolle zu; er erfindet gern exotische Suchtstoffe und die ganze dazu-gehörige Szene. In "Libidissi" gibt es ein mysteriöses Gebräu namens "Suleika", in "Barbar Rosa" wird in düsteren Hinter
zimmern ein verbotener Alkohol-verstärker namens "Sucko" zusammen-gebraut.
Mit Drogen und Sucht kann man als Erzähler sehr viel machen. Es ist auch meine Erfahrung aus Gesprächen mit Lesern, dass den meisten dazu unglaublich viel einfällt. Sucht ist eine sehr aktive Schnittstelle zwischen unserer Innen- und Außenwelt. Und es soll mir keiner sagen, dass er nichts mit Drogen hat! Da muß ich ihm nur einen Tag über die Schulter schauen, um rauszukriegen, was er sich reinzieht und wo er sofort sehr nervös werden würde, wenn es hieße: Das nehmen wir dir jetzt eine Woche lang weg. Das Fernsehen oder den Kaffee oder die Zigaretten oder Schlimmeres...
Süchten nah verwandt sind die sexuellen Obsessionen der Figuren, etwa des liebenswerten Kurti, Mühlers bestem und einzigem Freund, der nichts Schöneres kennt als... - aber vielleicht muss man das selber lesen, um zu sehen, dass von Geschmacklosigkeit oder gar Perversion nur sehr eingeschränkt die Rede sein kann. Klein be-steht darauf, dass er das Rohe keineswegs roh schildere, sondern sozu--sagen barbarisch rosa, womit wir bei einer der vielen Be-deutungen des Titels wären. -- Ich will, wenn ich intensiv lese, hart angepackt werden. Und umgekehrt versuche ich auch, beim Schreiben gut zuzulangen. Aber ich bilde mir im übrigen einiges darauf ein, dass ich zu zarten Tönen fähig bin. Und ich bilde mir auch ein bißchen was darauf ein, dass ich aus Szenen großer Entfremdung und Isolation Situa-tionen von Intimität und Zartheit entwickeln kann. Allerdings muss man da auch ein Stück mitgehen...
Wer mitgeht, kann sich über Kleins bezwingenden Sprach-witz freuen. Er beschreibt Ekliges, aber in einem charak-teristischen Edelton. Das Unheimliche und Häßliche ist zugleich Voraussetzung eines sehr wirk-samen Grotesk-humors. Wie wichtig ist Georg Klein das Komische in der Literatur?
Sehr wichtig. Wirklich sehr, sehr wichtig. Ich lache beim Schreiben gern und oft. Und ich bin auch immer froh, wenn es bei Lesungen irgendwo im Publikum zu glucksen beginnt. Zum Glück passiert das fast immer. Ich bin dankbar für den ersten Zuhörer, der mit einem unterdrückten Kichern das Signal setzt: es darf gelacht werden. Es darf wirklich gelacht werden! Es gibt aller-dings ein Lachen, das ich nicht mag, das Lachen einer billigen Schadenfreude. Ich habe meine Figuren alle sehr gern, und ich versuche die Szenen so anzulegen, dass man nicht allzu billig über sie lachen kann. Es gibt aber auch ein anderes Lachen. Es signa-lisiert, dass man überrascht merkt: man hat Anteil an dem, was erzählt wird. Dieses Überraschungslachen hat etwas Befreiendes. Das empfinde ich als beglückend. So lache ich auch, wenn der Text mich selber überrascht. Wenn ich etwas schreibe, mit dem ich fünf Sekunden vorher nicht gerechnet hatte.
In Kleins fremden Szenarien erkennt man Vertrautes wieder, mit viel Spott in den Mundwinkeln beschrieben: die schöne neue Medien- und Werbewelt, die Therapiekultur, den Kunstbetrieb der Events und Happenings. Von vordergründiger Satire grenzt der Autor sich aller-dings ent-schieden ab.
Satire ist etwas, das man nebenbei mitnehmen kann. Aber ich finde, man sollte nicht darauf setzen, gewisse Kuriositäten zu toppen. Vielleicht ist der entscheidende Punkt, wo man die Übertreibung setzt. Die Hyperbel ist als Stilfigur für mich sehr wichtig. Wenn das Übertreiben aber nicht mehr das Moment von Überraschung hat, wenn es nicht die Erwartung unterläuft - dann ist man in die satirische Falle gegangen. Wenn man dort übertreibt, wo die Übertreibung erwartet wird, dann ist man im schlechten Sinn Satiriker. Man muss dort übertreiben, wo man sich selber perplex macht.
Georg Klein ist keiner jener Autoren, die beim Schreiben angeblich nie an den Leser denken und deren Texten man genau dies anmerkt.
Ich habe eine hohe Meinung vom Leser. Wenn ich arbeite, begleitet mich die Phantasie einer potenten Leserfigur, so eine Art Traumleserin, eine Art Traumleser. Eine Persönlichkeit, die so gut lesen kann, dass sie sich auf ganz viel einlassen kann. Und diese Wunschvorstellung macht auch eine Menge des Schreibvergnügens aus: Sich selber heftig einzubilden: da draußen sind sie, die starken Leser...
Georg Klein ist zu wünschen, dass er viele starke Leser findet - und dass er sich und uns noch mit weiteren Büchern perplex macht.