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Bart Somers
"Zusammen leben"

Eine belgische Stadt, die sich vom Problem- zum Vorzeigeort entwickelt hat. Der Bürgermeister von Mechelen, Bart Somers, zieht Bilanz und präsentiert seine Konzepte im Buch "Zusammen leben".

Von Benjamin Dierks | 19.02.2018
    Rathaus am Großen Platz in Mechelen.
    Mechelens Bürgermeister Bart Somers offenbart den Lesern seine Rezepte gegen Kriminalität und Terror. (Buchcover C. H. Beck/ Hintergrundbild Deutschlandradio/Karin Bensch)
    Mechelen ist eine überschaubare Stadt im flämischen Teil Belgiens, rund 90.000 Einwohner, ungefähr auf halber Strecke zwischen Brüssel und Antwerpen, die nicht weiter auffallen würde, hätte sie nicht einige Rekorde aufgestellt - traurige wie erfreuliche. Noch um die Jahrtausendwende kürte eine Verbraucherorganisation Mechelen zur dreckigsten Stadt Flanderns, fast nirgends sonst gab es so viel Kriminalität, Einwanderer und angestammte Anwohner gingen getrennter Wege, ein Drittel der Bevölkerung wählte rechtsradikal, Stadtteil um Stadtteil verwahrloste, die Mittelschicht zog fort und die Bevölkerung schrumpfte. Heute hingegen gilt Mechelen als Musterbeispiel für gelungene Integration, viele Straßen sind saniert, Islamismus ist kein so großes Problem wie anderswo in Belgien und auch junge Familien ziehen wieder dorthin.
    Diese Kehrtwende hat Mechelen zu einem großen Teil Bart Somers zu verdanken, seit 17 Jahren Bürgermeister der Stadt. Und der will in seinem gerade erschienenen Buch erklären, wie es seiner Meinung nach funktioniert, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft, Überzeugung und sozialer Stellung "Zusammen leben" - so der Titel des Bandes.
    Hart gegen Kriminalität und Diskriminierung
    Bart Somers offenbart den Lesern seine Rezepte gegen Kriminalität und Terror und dürfte damit auf einiges Interesse stoßen. Denn die Probleme, die Mechelen plagten, betreffen ja nicht nur belgische Gemeinden, sondern auch nahezu jede größere Stadt in Deutschland. Aufgepasst also, hier ist einer, der weiß, wie es geht.
    Bart Somers Buch ist dort am stärksten, wo er konkret wird und schildert, wie er und seine Kollegen die Probleme in Mechelen angepackt haben. Kurz gefasst basiert der Erfolg Somers zufolge auf einer Mischung aus einer harten Hand gegen Kriminalität und Extremismus auf der einen und einer sorgsamen Integrations- und Förderungspolitik auf der anderen Seite, die eine ebenso harte Kante gegen Diskriminierung zeigt.
    "Wie kann man sich als ein vollwertiger Bürger fühlen, wenn man in einer Gegend aufwächst, in der Drogendealer die Straße beherrschen, in zwielichtigen Läden Hehlerware verkauft wird, in der die Polizei als Feind gilt, Straßenbanden die Norm bestimmen, der Staat und all seine Vertreter als Eindringlinge betrachtet werden und in der dessen Regeln und Normen nicht anerkannt werden? Solche Stadtteile verschaffen Extremisten den Raum, um auf der Grundlage des existierenden Feindbildes Mitglieder zu rekrutieren."
    Quartiersmanagement und Wertschätzung statt Ausgrenzung
    Bart Somers stockte die Polizei deutlich auf und ließ sie konsequent gegen Banden vorgehen. Er ließ großflächig Kameras installieren und schon kleine Delikte verfolgen. Das trug dem Politiker der liberalen Partei die Kritik ein, ein rechter Haudegen zu sein. Doch das greift zu kurz, denn gleichzeitig ging Bart Somers auch auf Jugendliche zu, die abzudriften drohten. Die Eltern brachte er dazu, dass sie sich in einem Vertrag verpflichteten, ihre Kinder wieder auf den rechten Weg zu bringen - andernfalls drohte eine Strafe. Und die Problemviertel ließ er als erste aufräumen und sanieren, um den Anwohnern zu zeigen, dass auch sie zählen. Wo der Staat Erziehungsausgaben kürzte, sprang die Stadt ein.
    Bart Somers räumt ein, dass er seine Aufgabe nicht mit einem großen Plan angegangen ist. Er reagiert eher auf Zustände und Begegnungen. Oft liegt seine Lösung im Kompromiss. Der Bürgermeister beschreibt etwa, wie einige Muslime islamische Bestattungen forderten - mit nach Mekka ausgerichteten Gräbern, getrennt von anderen Konfessionen und mit unbegrenzter Ruhezeit. Heute gibt es in Mechelen tatsächlich Gräber, die nach Südosten weisen. Allerdings können da auch Nicht-Muslime begraben werden. Und was die Liegezeit angeht, gab es einen Kompromiss. Damit konnten alle leben.
    Ein undogmatisches Plädoyer für die offene Gesellschaft
    Sein Buch hat Bart Somers thematisch gegliedert, von der Gefahr des islamistischen Terrors über Sicherheit hin zu inklusiver Gesellschaft, Islam oder Gendergerechtigkeit. Er trägt seine Erfahrungen zusammen und untermauert damit sowohl sein striktes Bekenntnis zu Recht und Ordnung als auch zu einer offenen Gesellschaft.
    "Diskriminierung ist ein irrationaler Faktor, der dafür sorgt, dass der Wirtschaft kompetente Menschen verloren gehen, weil ihnen aus den falschen Gründen und dort, wo sie etwas würden bewegen können, ein Job verweigert wird."
    Bart Somers hat ein schlagendes Argument auf seiner Seite: Er hat schon bewiesen, dass sein Weg ans Ziel führt. Nun muss er nur noch darlegen, warum das seiner Ansicht nach so ist. Der Autor ist dabei erfrischend undogmatisch. Er ist auf der einen Seite zum Beispiel vehement dafür, dass Einwanderer flämisch lernen, und das will er auch überprüfen, auf der anderen Seite aber ist er weit davon entfernt, so etwas wie eine flämische Leitkultur einzufordern. Er weiß, dass sich unter dem Einfluss von Einwanderung etwas Neues herausbildet. So viel Flexibilität hat Mechelen weit gebracht. Und sie täte der Debatte hierzulande sicher auch ganz gut.
    Bart Somers: Zusammen leben. Meine Rezepte gegen Kriminalität und Terror, Übersetzung: Gerd Busse
    C.H.Beck, 217 Seiten, 14,95 Euro.