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Basteln mit Mutter Natur

Chemie. - In den neuesten Geräten zur Wasseranalyse stecken Ventile und Motoren, von denen Dutzende auf einem Fingernagel Platz hätten. Noch kleiner sind indes die Werkzeuge, die ihren Dienst in Zellen verrichten. Chemiker versuchen jetzt, die winzigen Bio-Maschinen nachzubauen und zu nutzen.

Von Hellmuth Nordwig |
    Jean-Pierre Sauvage arbeitet gern in seiner Bastelecke. In einer Tüte hat er einen Vorrat von Plastikkugeln, so groß wie Teelichter, so genannte Kalotten. Aus ihnen bauen Chemiker schon von jeher Molekül-Modelle: Schwarze Kugeln stehen für Kohlenstoffatome, kleine weiße Perlen stellen Wasserstoff dar, und so weiter. Was wie ein Spiel aussieht, dient den Chemikern dazu, sich Moleküle räumlich vorzustellen. Das ist auch noch im Zeitalter dreidimensionaler Computergrafiken wichtig, sagt der Forscher von der Universität Straßburg.

    "Selbst die Computerfans unter meinen Kollegen erkennen an, dass die Plastikmodelle sehr viel Information vermitteln. Man kann sie anfassen und sich Bewegungen und räumliche Beziehungen vorstellen, die im Computer nur sehr schwer darstellbar sind."

    Jean-Pierre Sauvage bastelt aus den Plastikkugeln ganz besondere Moleküle: die kleinsten Maschinen der Welt in millionenfacher Vergrößerung. Sie sollen einmal Arbeiten im Maßstab von Nanometern, also Millionstel Millimetern, ausführen.

    "Hier haben wir das Modell einer molekularen Presse. So etwas gibt es noch nicht - sie wird eine der komplexesten molekularen Maschinen werden. Sie soll aus zwei Platten bestehen, die sich aufeinander zu bewegen und voneinander entfernen können. Zwischen die Platten wollen wir andere Moleküle einsperren und sie zusammendrücken."

    Eine Maschine, die nur aus einem einzigen Molekül besteht - das ist keine Utopie mehr. In der Natur gibt es solche Nanomaschinen. So bestehen unsere Muskeln aus Eiweißfäden, die sich gegeneinander verschieben. Die Forscher um Jean-Pierre Sauvage ahmen dieses Prinzip nach.

    "Auch andere Labors stellen ringförmige Moleküle her, in die man ein anderes Teilchen stecken kann, das einem Draht oder einem Stäbchen ähnelt. Wir haben bereits damit begonnen, kleine Motoren zu bauen, in denen sich der Stab durch den Ring fortbewegt."

    Das erinnert an einen Kolben, der im Zylinder eines Verbrennungsmotors auf und ab hüpft. Der Unterschied liegt darin, dass hier keine Explosion den Kolben wegdrückt. Bei der molekularen Maschine sorgt ein elektrochemisches Signal dafür, dass sich das Stäbchen durch den Ring hindurch schiebt.

    "Das Prinzip besteht darin, dem Molekül ein zusätzliches Elektron zu verpassen. Das ist die gängigste Methode. Das Teilchen ist gezwungen, das Elektron aufzunehmen. Doch dadurch wird sein Zustand instabil. Das Molekül muss sich deshalb völlig umstrukturieren. Es versucht einen stabileren Zustand zu finden, mit dem es sozusagen zufrieden ist."

    Andere Moleküle räkeln sich in eine bequemere Position, wenn man sie mit Licht bestrahlt. US-Forscher haben so einen solarbetriebenen Nanomotor gebaut. Auch molekulare Schaukeln, Karussells und Wippen gibt es bereits, und die Forscher denken auch an Nano-Seilbahnen und Lassos. All das lässt das Kinderherz im Chemiker höher schlagen, doch anfangen kann man damit noch nichts. Dazu müssten zum Beispiel wie in unseren Muskeln viele tausend einzelne Moleküle zu einem Verbund zusammengespannt werden. Genau das gelingt den Chemikern aber noch nicht. Auch Jean-Pierre Sauvages Maschinen arbeiten nämlich nur dann gut, wenn sie in einem Lösungsmittel verteilt sind.

    "Das ist ein großes Problem, das alle Kollegen in diesem Bereich versuchen zu lösen: Alles läuft wie geschmiert, wenn man diese Moleküle in einer Lösung hat. Doch sobald man sie auf einer Oberfläche festmacht, sind die Bewegungen viel langsamer."

    Die möglichen Anwendungen der Nanomaschinen sind deshalb noch Zukunftsmusik: Datenspeicher aus einzelnen Molekülen oder Medikamentendepots, die viel kleiner sind als heute.