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'battling siki - boxe et opéra'

Dunkel war's, der Mund schäumt helle: Großaufnahmen der vorgeschobenen, inwendig stark wattierten Kieferpartie eines schwarzen Boxers krönen gut zwanzig Minuten optisch-akustisches Höllenspektakel – muskulöse Video-Kunst, die einen die Fäuste trainierenden Athleten bei der harten Arbeit zeigt. Nasenwurzel, tierisch angestrengte Augen, Brust- und Nacken-Muskulatur. Die akustische Komponente, die sich nur indirekt auf die Video-Orgie bezieht, hatte sich zunächst noch halbwegs manierlich angelassen - dank einer gewissen Beimischung des dunkel getönten Streichquartetts. Dann aber eskalierte die instrumentale Schiene des Abends. Die Wucht der Maschinenmusik ist im Radio nicht dokumentierbar. Die Sicherungen des Senders würden herausspringen. Dergleichen soll und muss live erlebt werden: das will direkt in den Bauch und zu Gemüte gehen.

Frieder Reininghaus berichtet |
    Mit Oper im herkömmlichen Sinn hat die neue Produktion in der Bundeskunsthalle nichts zu schaffen. Gesungen wird nicht – und Handlung oder Text kennt das Werk von Jean Michel Bruyère und Kasper Toeplitz im wesentlichen auch nicht. Nur einmal zeigt sich ein Frauengesicht auf großer Projektionsfläche und sinniert über Lebensform und Existenzrecht der Zecke. Vor dem gesteigerten Augenmerk für Insekt und Boxer hatte sich die Inszenierung von den abendländischen Textmengen demonstrativ verabschiedet: Eine dunkle Stimme deklamierte in schwer verständlichem Französisch, an der Seitenwand flitzen ausgesuchte Sentenzen von Hegels "Phänomenologie des Geistes" vorbei – gerade noch wahrnehmbar wie Ortsnamen, die aus den Fenstern des Nachtzugs aufgeschnappt werden. Unaufhaltsam trieb das Projekt auf die spärlich illuminierte Bühne mit den Andeutungen karger Szenen zu: Handscheinwerfer hoben Menschenköpfe aus dem Ozean der Finsternis, Tier-Statuen und grelle Szenen von Box- und Lebenskämpfen. Insbesondere zeigte sich der Kampf des Negers mit dem Hunde und so etwas wie ein nonverbales Plädoyer für schwarze Menschenwürde.

    In Bonn präsentierte sich Schwarzkunst: ein Erinnerungsstück für Louis Baye Siki Phall, einen Boxer aus dem Senegal, der höchst überraschend ein Idol der nördlichen Hemisphäre entzauberte: "Battling Siki" schickte einen bis dahin amtierenden Weltmeister zu Boden (und provozierte damit die Frage, ob ein Afrikaner den Titel führen dürfe); er führte in Paris ein rasches und leichtes Leben, starb 1925 im Alter von 28 Jahren in New York. Sieben Kugeln im Rücken. Doch taucht der legendäre Faustgewaltige nur schemenhaft auf. Seine Biographie, wiewohl sie als exemplarisch begriffen werden könnte, erscheint der Bonner Produktion, die auch auf mehreren französischen Vorstadtbühnen gezeigt werden soll, nicht weiter von Interesse.

    Es geht Bruyère und Toeplitz um optische Entgrenzung und akustische Grenzerfahrung. Sie machen die Besucher des Events zu unmittelbaren Teilhabern des Matyriums, der Selbstkasteiung und des Geprügeltwerdens, Eben um das, was der Boxer durchlebt – und, so die wenig subtile Botschaft, der von der weißen Herrenrasse geduckte und niedergehaltene Schwarze.

    "Battling Siki" ist Staatskunst im rot-grünen Stadium der postmodernen Gesellschaft: im Ansatz politisch korrekt gedacht und in der Ausführung eine ausufernde Zumutung, die – absichtsvoll schmerzhaft – mit multikulturellen Gedankensplittern operiert und mit interkulturellen Gesten hantiert. Die neue Bonner Produktion, hoch subventioniert vom Land NRW, repräsentiert eine Form der Event-Kultur, die mit dem politischen Verweis auf die schrecklichen Wirklichkeiten des 20. Jahrhunderts kokettiert, bei genauem Hinhören nichts besagt und schon gar nichts Konkretes. Sie ist mitnichten Nachhall vergangener Kriege und Klassenkämpfe, vielleicht aber greller Vorschein der künftigen.

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