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Baukasten ade

von Peter Welchering

    Syntheseplanung und Reaktionsvorhersage gehören zu den wichtigsten Gebieten des industriellen Einsatzes chemischer Verfahren. Unentbehrlich sind sie bei der Entwicklung neuer chemischer Produkte. Um eine Synthese planen zu können, muss der Chemiker oder Pharmakologe wissen, wie die vorliegenden oder gewünschten Moleküle aussehen, und er muss sie manipulieren können. Das Molekül muss dafür realistisch im Raum dargestellt und bearbeitet werden – dreidimensional eben. Dafür haben Forscher des IBM-Entwicklungslabors einen Struktureditor entwickelt, mit dem Moleküle dreidimensional am Computer regelrecht konstruiert werden können. Projektleiter Werner Kriechbaum zu den Motiven der Entwicklungsarbeit.

    Die Grundidee kommt eigentlich daher, dass vor zahn Jahren oder auch noch fünf Jahren die Rechenleistung nicht gereicht hat, um dreidimensional Moleküle zu bearbeiten und zu manipulieren und darzustellen. Das heißt man hat das gemacht auf dem Rechner, was die Chemiker seit Generationen gemacht haben: Man hat zweidimensional versucht hinzuschreiben als Bild wie so ein Molekül ausschaut.

    Und dabei kam es in der Vergangenheit immer wieder zu falschen räumlichen Darstellungen. Nicht nur in der Arzneimittelentwicklung hat das zu schlimmen und weitreichenden Konsequenzen geführt. Werner Kriechbaum.

    Das klassische Beispiel, was passiert oder was falsch gehen kann, wenn man sich auf eine zweidimensionale Darstellung beschränkt und die dreidimensionale Darstellung im Raum nicht richtig berücksichtigt, ist Contergan. Contergan kommt in zwei räumlichen Formen vor. Die eine Form hat die gewünschte pharmakologische Wirkung, und die andere hat die Nebenwirkungen in der Schwangerschaft, die dann zu den Missbildungen geführt haben. Das heißt, das Thema war eigentlich immer ein brennendes und immer ein wichtiges für die Chemie.

    Mit dreidimensionalen Plastikmodellen der Moleküle, die je nach Bindungseigenschaften zusammengesteckt werden können und dann erst in einen Algorithmus übertragen, haben sich die Wissenschaftler in der Computerchemie beholfen. Das hatte in der Vergangenheit allerdings auch damit zu tun, dass für wirklich dreidimensional arbeitende Editoren nicht genügend Rechenkapazität zur Verfügung stand. Das ist mittlerweile anders, meint Werner Kriechbaum.

    Vor zehn Jahren konnte man einen Großrechner noch ohne Probleme lahm legen, mit dem Versuch, im Rechner die dreidimensionale Gestalt zu berechnen. Heute kann man solche Sachen in ungefähr einer Minute am Laptop machen. Das heißt die Zeit ist einfach reif geworden von der Rechenleistung, die heute zur Verfügung steht, Moleküle auch dreidimensional darzustellen und zu manipulieren.

    Entscheidend ist dabei nicht nur die dreidimensionale Darstellung, sondern das interaktive Arbeiten des Chemikers mit einem Molekül im Raum, betont der studentische Projektmitarbeiter Wolfgang Wein.

    Dreidimensionale Darstellung allein ist eigentlich gar nicht so groß das Problem. Das Ganze dann interaktiv zu machen, das heißt, dass man mit der Maus irgendwo in die Darstellung eines Moleküls hineinklickt und was verändern kann, Atome hinzufügt oder löscht, das ist eigentlich das eigentliche, was wirklich schwierig ist.

    Hier haben die Entwickler in Böblingen sich Programmiermethoden aus der virtuellen Realität zunutze gemacht, wie sie in der Automobilindustrie schon seit längerer Zeit verwendet werden. Wie bei der Konstruktion von Kraftfahrzeugkomponenten taucht der Moleküldesigner völlig in die nur virtuelle Wirklichkeit des Molekülraumes ein, kann das Molekül von allen Seiten betrachten und sieht sofort, was passiert, wenn Atome weggenommen, Bindungslängen verändert werden. Für diese aufwändigen Berechnungen braucht der Struktureditor aus Böblingen auf normalen Personal Computern noch einige Sekunden. Doch Werner Kriechbaum und sein Team arbeiten schon daran, die Strukturberechnungen zu optimieren. Damit wird Moleküldesign auf einem Laptop sogar in Echtzeit möglich. Kein Wunder, dass das Interesse der chemischen Industrie und der Arzneimittelhersteller am Böblinger Editor riesengroß ist.