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Beethoven im Zehnerpack

Der Verlag Zweitausendeins schließt bundesweit 14 Filialen. In Freiburg und Köln sind die Läden für günstige Bücher und Schallplatten bereits verschwunden. Einzig in Frankfurt kam bislang ein Franchise-Vertrag zustande, der die Fortführung des dortigen Ladens sichert.

Von Anke Petermann |
    "Sonderverkauf - 20 Prozent auf alles" prangt in roten Lettern auf dem Schaufenster des Zweitausendeins-Ladens nahe der Frankfurter Hauptwache. Weiße Bücherregale umrahmen weiße CD-Kästen, das Ganze neonbeleuchtet und eher nüchtern. Doch für diejenigen, die hier in philosophischen Gesamtausgaben oder Satire-Bänden der "Neuen Frankfurter Schule" blättern, hat der Laden etwas Mystisches. Eine Institution für alle, die in Musik und Literatur aufs Klassische und Schräge gleichermaßen stehen, fürs eher akademisch geprägte Publikum vom Alt-68er bis zum Babyboomer, vom Studenten bis zur Seniorin. Beunruhigt wendet sich die weißhaarige Stammkundin an den Mann hinterm Verkaufstresen:

    "Und jetzt habe ich gelesen, dass hier zugemacht wird. Oder nicht zu? Nur n anderer Eigentümer?"

    Der Mann an der Kasse deutet auf die kleineren Lettern unterm Preis-Nachlass. Die 70-Jährige seufzt erleichtert, "Inhaberwechsel" steht da, das hatte sie übersehen. Ein weiterer Kunde schaltet sich ein:

    "Aber es bleibt Zweitausendeins?"

    "Es heißt weiterhin Zweitausendeins, und das Sortiment bleibt bestehen. Nur der Besitzer wechselt. Er wird den Landen weitermachen. In Eigenregie ruiniert er den Laden dann",

    witzelt Thomas Goerdten und deutet auf Filialleiter Konrad Künkel. Künkel hatte 1980 nach dem Zivildienst als Lagerarbeiter in dem damaligen Versandhandel angefangen, stieg dann zum Leiter des ersten Ladens auf. Den übernimmt er jetzt gemeinsam mit Robert Egelhofer, studierter Betriebswirt, auch er Zweitausendeins-Urgestein. Künkel kennt den Frankfurter Laden in- und auswendig, Egelhofer den Verlag. Dass es am Stammsitz weitergeht, liegt auch daran, lacht Egelhofer:

    "Dass wir das Dream-Team sind, das stimmt schon. Es ist der umsatzstärkste Laden, und wir bringen beide aus den unterschiedlichsten Bereichen die Erfahrung mit, die man haben muss, um so einen Laden erfolgreich zu betreiben. Und das unterscheidet uns natürlich von allen anderen Standorten von 2001, die nach und nach geschlossen werden."

    Dann jedenfalls, wenn sich dort keine mutigen Unternehmer finden. Künkel und Egelhofer, beide Musikfreaks, keine Bücherwürmer. Sie zögen schließlich auch keinen Buchladen auf, mit Lyrikabteilung und profunder Beratung zu den aktuellen Neuerscheinungen, stellt Künkel klar.

    "Das war ja noch nie das, was Zweitausendeins gemacht hat. Wir waren ja eher so das moderne Antiquariat oder der Kultur-Aldi. Wir haben recht preisgünstige, hochwertige Titel angeboten",

    die schon länger auf dem Markt oder Mängelexemplare sind und deshalb nicht mehr der gesetzlichen Preisbindung für Bücher unterliegen.

    "Und das war ja eher der Kunde, der dann am Tisch entschieden hat, 'ah, da gibt's die und die Titel, und die kosten ja nur noch ein Drittel von dem, was sie mal vor zwei, drei Jahren gekostet haben', darum geht’s, glaube ich, mehr."

    Gleich drei CD-Boxen trägt Resa Behnam zur Kasse.

    Goerdten: "6,39 Euro. Ich kann leider nichts dafür, beschweren Sie sich bei …"
    Behnam: "Untergang des Abendlandes, ich seh' das, ich bin dabei. Beethoven für sechs Euro."

    Beethoven im Zehnerpack zum Schleuderpreis, das ist dem Kassierer fast peinlich, dem Schnäppchenjäger am Wühltisch der Hochkultur ebenso.

    "Schauen Sie mal, bei 9,95 Mozart und Bach auch nur sechs Euro."

    "Können Sie das verantworten?"
    "Mit schlechtem Gewissen. Lachen."

    Salafisten verteilen kostenlos den Koran, und Zweitausendeins macht einem Wettbüro Platz, so stellt sich Resa Behnam den Untergang des Abendlandes in Frankfurt am Main vor. Aber der ist nun gerade noch mal abgewendet, denn Künkel und Egelhofer retten ja den Stammsitz. Das freut den gebürtigen Iraner, der sich am Kornmarkt nahe der Hauptwache auch mit Büchern eindeckt.

    "Also, Geschichte und Philosophie, die sind sehr gut sortiert, die Jungs, sehr gut."

    Dass die leicht ergrauten Jungs selbst keine Buchhändler sind und auch keinen einstellen, stört Behnam nicht:

    "Brauch ich nicht, ich weiß, was ich will. Ich hab' nie einen Buchhändler gebraucht. Nur zur Recherche. Name, Titel und so weiter … macht weiter Jungs."

    Die meisten Zweitausendeins-Anhänger sind weniger zielstrebig, kommen zum Wühlen und Stöbern, suchen nichts Bestimmtes, finden meistens aber was. Wie Lutz Krosien, der schon als Schüler hier die Langspielplatten durchforstete. Eine Tango-CD hat er ausgesucht.

    "Und dann ist mir noch n bisschen was anderes dazu gelaufen, was Nettes in Großschrift."

    Lutz Krosien hält Hesses "Narziß und Goldmund" hoch. Zweitausendseins altert mit seiner Kundschaft. Bietet Großdruck an und begleitet Intellektuelle auch in die Niederungen des Alltags.

    "Ich finde es gut, dass in den letzten Jahren mehr Kochbücher da sind, Sprachkurse da sind, dass bei den CDs auch solche Dinge auftauchen wie Salsa und Tango und so weiter, Chansons – das ist es eigentlich."

    Und im Stil der leicht skurrilen Mischung soll es unter den neuen Inhabern auch weitergehen, mit einer größeren Auswahl an Literatur und Musik von Autoren und Bands aus der Rhein-Main-Region allerdings. Wann geht's los mit dem runderneuerten Zweitausendeins-Laden, will Stammkunde Jürgen Lang wissen. Vom ersten Juli an wirtschaften die neuen Chefs Künkel und Egelhofer auf eigene Rechnung. Und am Wochenende feiern sie das:

    "Unter dem Motto freundliche Übernahme".
    "Freundliche Übernahme, und was heißt das? Äppelwoi und Grüne Soß'?"

    Äppelwoi, Grüne Soße und Livemusik – gibt's zur freundlichen Übernahme des Kultur-Aldi am Main. In Frankfurt geht das Abendland vorerst nicht unter.