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Befreiungsarmee ohne Volk

In der internationalen Aufmerksamkeit für die ETA nach dem Bombenterror auf der Urlaubsinsel Mallorca wird eins häufig vergessen: Immer weniger Basken fühlen sich von der ETA repräsentiert, die Ablehnung ihrer Gewalt reicht selbst in die eigenen Reihen.

Von Hans-Günter Kellner | 11.08.2009
    Das zwischen grünen Hügeln gelegene Oyarzun ist ein baskisches Dorf wie aus dem Bilderbuch. Auf dem Dorfplatz Fachwerkhäuser, ein Platz für das baskische Pelota-Spiel. Zu den Feiern zum "Tag der baskischen Sprache" wechselt sich Heavy-Metal-Rock mit baskischer Polka ab. Und wie in so vielen Dörfern in der Gegend um San Sebastián sind hier fast alle Nationalisten, und nicht wenige haben auch Verständnis für die ETA, so etwa diese zwei Frauen, die beide einen Kinderwagen über den Dorfplatz schieben:

    "Wenn man meint, dieser Kampf müsse mit Waffengewalt geführt werden, dann ist das auch nur eine Meinung. So denken nun mal einige, dass dies der Weg zu einem freien Baskenland ist. Das muss man doch respektieren. Diese Leute geben alles. Ihr Leben, ihre Jugend. Für ein freies Baskenland. Ich bin keine Spanierin. Ich bin Baskin. Niemals werde ich Spanierin sein."

    Andoain, Ermua, Zumarraga..., eine Zugfahrt durchs Baskenland führt durch viele beschauliche Orte, doch jeder davon erinnert an einen Anschlag der ETA. 858 Menschen hat die Organisation bisher getötet. 2006 erschossen Mitglieder der Organisation in Tolosa den sozialistischen Politiker José María Jáuregui. Seine Witwe Maixabel Lasa sagt heute:

    "Die Opfer wurden zu lange Zeit missachtet. Die ETA hat doch immer gesagt, dass sie die Menschen im Namen des baskischen Volkes entführt und ermordet. Und das baskische Volk hat weggeschaut. Doch in welchem Dorf wurde keine Solidaritätsresolution verabschiedet, wenn mutmaßliche Terroristen verhaftet wurden? In den Fabriken wurde bei Verhaftungen gestreikt, aber die Angehörigen der Opfer erfuhren diese Solidarität lange Zeit nicht."

    Doch auch das Baskenland hat sich verändert. Es ist eine der wohlhabendsten Regionen Spaniens, die Autonomiebehörde hat weitreichende Kompetenzen. Dank großzügiger Subventionen ist die baskische Sprache, das Euskera, heute überall zu hören. In Bilbao, wo einst die Schornsteine der Schwerindustrie rauchten, steht heute das Guggenheimmuseum als modernes Wahrzeichen für einen gelungenen Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft. Und im Parlament gibt es mit Aralar eine Partei, die offen für die Unabhängigkeit eintritt - und trotzdem den Terror verurteilt. Aintzane Ezenarro ist ihre Sprecherin. Sie will, dass endlich Schluss ist mit der Gewalt:

    "Da ist immer wieder von den langen Jahren des Leids unseres Volkes die Rede. Sie sagen, 'wir machen das jetzt schon seit 50 Jahren und können doch nicht einfach sagen: 'Es war alles umsonst.' Mir bringt das gar nichts. Ich will in die Zukunft blicken. Ich will nicht, dass unsere Söhne jetzt auch für 30 Jahre in die Gefängnisse sollen, nur weil schon deren Väter 30 Jahre in den Gefängnissen verbracht haben."

    Seit diesem Jahr ist mit Patxi López erstmals ein Sozialist baskischer Regierungschef - er will die ETA mit Hilfe der Polizei und Justiz besiegen. Er hält sie für enorm geschwächt, trotz der Offensive zum 50. Jahrestag ihrer Gründung. Vier mal nahm die Polizei im vergangenen Jahr die jeweilige ETA-Führung fest, die Kommandos werden immer jünger und ihre Mitglieder oft schon nach der ersten Aktion verhaftet. Immer mehr Festgenommenen erscheint der eigene Kampf sinnlos: ETA-Häftlinge rufen in den Gefängnissen offen zu einem Ende der Gewalt auf. Auch Eneko Alegría kämpfte vor vielen Jahren bei den Antikapitalistischen Kommandos für ein unabhängiges Baskenland. Er meint:

    "Die ETA ist keine nationale Befreiungsarmee. So sehen sie sich ja gerne. Aber eine Befreiungsarmee braucht auch die Unterstützung der Nation, die sie befreien möchte. Und die ETA hat diese Unterstützung nicht. Sie steht nur noch für sich selbst."