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"Begleiter"

Die Bilder des Leipziger Malers Neo Rauch verweigern sich jedem erzählerischen Illusionismus. Alles Sichtbare wirkt rätselhaft, kühl kalkuliert und überwältigend zugleich. In München und Leipzig sind nun 120 Werke Rauchs in der Doppelausstellung "Begleiter" zu sehen.

Von Christian Gampert |
    Naht ihr euch wieder, plumpste Gestalten? So möchte man seufzen vor den Bildern des Neo Rauch, aus denen Dunst und Nebel steigt. Und doch wäre jede polemische Aufregung verfehlt bei einem Maler, der offenbar ein Bedürfnis befriedigt, ein Bedürfnis des Marktes: die Ausländer halten ihn für besonders deutsch, also tiefsinnig, und zahlen horrende Preise; deutsche Kuratoren wiederum lieben ihn, weil sie hier einen im Osten sozialisierten Maler an den Busen drücken, ergo Einheit demonstrieren können.

    Mit einer Doppelschau in Leipzig und München wird Neo Rauch derzeit heiliggesprochen; und bevor er endgültig unter ergriffener, im Katalog in Bataillon-Stärke aufgefahrener Kuratoren- und Freundesprosa versinkt, wollen wir einen Augenblick innehalten zu einer kleinen Bildbetrachtung. Neo Rauch malt Menschen und Tiere, Häuser und Landschaften, Interieurs und Genre-Szenen, meist in naivster und großformatigster Gegenständlichkeit. In den neunziger-Jahren waren die flächig angelegten Tafelbilder noch der Arbeitswelt verpflichtet, etwa seit der Jahrtausendwende haben sich die Bilder immer weiter verdunkelt, verrätselt und kunstgeschichtlich aufgeladen. Der Anschluss an die Moderne ist gründlich missglückt: "das Haus", das sich 1996 noch unter abstrakten, schwarz-weißen Farbfeldstreifen wegduckt, ist längst ausgebaut zu einem schmucken, grell-theatralischen Eigenheim; die Abstraktion gibt den Geist auf zugunsten einer diffus wabernden, sich an den globalen Bedrohungen weidenden Katastrophenmalerei, die ihre Herkunft aus der deutschen Romantik nur schwer leugnen kann. Und die, in den jüngsten Arbeiten, oft mehrere Szenen und historische Zeitebenen mit der Technik der Überblendung und Collage verbindet: surrealer Horror, der Krieg, Folter und Entfremdung immer neu beschwört.

    Vor den besten Arbeiten, das sei zugegeben, kann man lange stehen und ständig neue Details entdecken: seltsame Zwitterwesen und kleine grüne Männchen, Lurche und Schlingpflanzen, verfremdete kunsthistorische Topoi und aktuelle Anspielungen. Und doch sind das nur mühsam verschraubte Versatzstücke, Teile eines großen Rauch-Kosmos, der seit zehn Jahren im Grunde aus demselben Bild besteht: apathisch wirkende Menschen in einem ironisch gebrochenen Baukasten-Szenario der Hoffnungslosigkeit, und darüber zuckt ein höllisch roter Himmel oder es ballen sich dunkle Farbwolken. Ein Niemandsland, wo Zwerge mit Sprengstoffgürtel und depressiv anmutende Gefangene ihrer selbst in fragwürdiger Farbigkeit abgestellt sind.

    Das lächerliche Pathos, das diese Arbeiten transportieren, zeigt erneut die ganze Misere der DDR und des sozialistischen Realismus, der hier nochmals sein müdes Haupt erhebt. Schon zu DDR-Zeiten fühlten sich westliche Beobachter magisch angezogen von solch konservativer Malerei; bei Rauch wird diese nun poppig und pseudomythologisch aufgeblasen. In Leipzig ist das Leit-Bild der Schau eine ironische "Krönung" mit einem Zylinder; in München heißt die Ausstellung "Begleiter", weil Rauchs Figuren immerzu von anderen verhöhnt, bevormundet oder drangsaliert werden. Wir wollen die Krönungs-Feierlichkeiten nicht stören, aber doch auf die groteske Trivialität von Rauchs Motiven hinweisen: heißt ein Bild "Glück", dann erscheint ein Glücks-, ein Fliegenpilz aus einem vorhangartig beiseitegeschobenen Himmel. Heißt ein Bild "Zoll", dann sehen wir ein hell erleuchtete Zollstation in eine bessere Welt, und aus einem Koffer kommen alte Knochen hervor, die Gebeine der Weltgeschichte aus verseuchtem Umland. Heißt ein Bild "Alte Verbindungen", dann steht vor einem neumodischen Wochenendhaus ein Paar, und allerlei Leitungen führen von dort zurück zu einem klobigen Gefängnisbunker des Ostblocks. Also, weh dem, der Symbole sieht oder eine lange Leitung hat.

    Die Ausstellung ist schön strukturiert, nicht chronologisch, sondern assoziativ und motivisch. Der größte Teil der Bilder kommt aus Privatsammlungen, was symptomatisch scheint - amerikanische Millionäre wollen sich ein bisschen deutsche Innerlichkeit ins Wohnzimmer hängen. Die Münchner Schau übrigens beginnt mit drei jeweils Blau, Rot und Gelb eingefärbten Bildern. Schwarz, Rot und Gold wäre ehrlicher gewesen für Neo Rauch, den raunenden Beschwörer des Banalen.