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Begleitservice beim Arztbesuch

"Mein Herz tut weh"- auf Arabisch kann damit eine Depression gemeint sein. Die Wahrnehmung von Krankheit hängt immer auch von Kultur und Sprache ab. In Hannover gibt es ein medizinisches Zentrum, wo Dolmetscher ausländische Patienten beim Arztbesuch begleiten.

Michael Engel |
    "Der deutsche Patient sagt, Doktor, an meinem Arm, kurz über dem rechten Finger, habe ich starke Schmerzen. Der arabische Patient sagt: "Doktor, der ganze Arm tut mir weh!" Dies wird häufig als Wehleidigkeit, als Simulation ausgelegt. Diese Person ist aber kulturell so eingerichtet, dass ihr wirklich der ganze Arm weh tut, und wie intensiv dieser Schmerz ist, weil er häufig auch sehr blumig ausgedrückt wird: Eine Schlange kriecht durch meinen Körper. Mein Herz tut mir weh, was übrigens in diesem Falle häufig ein Ausdruck für depressive Zustände ist und nicht immer für kardiologische Probleme."

    Die Wahrnehmung von Krankheit ist immer auch kulturell bedingt! Wer weiß das besser als Ramazan Salman, Leiter des Ethnomedizinischen Zentrums in Hannover. 1991 begann die Einrichtung - eine Premiere in Europa - mit dem Aufbau eines Dolmetscherdienstes als Begleitservice für den Arztbesuch. Mit großem Erfolg: 2000 Einsätze werden heute im Jahr gezählt. Ende 2004 wollte die niedersächsische Landesregierung noch alle Zuschüsse streichen, doch diese Pläne sind mittlerweile vom Tisch. Zu wichtig erschien dann doch die Hilfestellung für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger.

    1979 kam die Familie Bullut nach Deutschland. Damals war Adil schon 17 Jahre alt. Bis heute spricht er fast kein deutsch, dabei musste er wegen einer schweren Depression immer wieder zum Arzt.

    "Ich kann eigentlich nicht sagen, daß ich in einem deutschen Krankenhaus von einem deutschen Arzt irgendwie schlecht behandelt wurde - weil ich ein Ausländer oder Türke bin. Wenn ich zum Arzt gegangen bin, habe ich meine Frau oder meinen Bruder mitgenommen - als Dolmetscher. Viel lieber hätte ich mich selbst mitteilen wollen, weil das, was mich bedrückt, nie hundertprozentig angekommen ist."

    Heute findet Adil Bullut umfassende Hilfe durch Dolmetscher des Ethnomedizinischen Zentrums in Hannover. Rund 2000 mal im Jahr bitten ausländische Patientinnen und Patienten um den Beistand eines Dolmetschers, zum Beispiel vor einer komplizierten Operation, um über Risiken und Nebenwirkungen in der eigenen Muttersprache aufgeklärt zu werden. Auch bei psychischen Problemen werden überdurchschnittlich häufig Dolmetscher eingeschaltet. Für den behandelnden Arzt ist die "Sprechstunde" dann immer etwas komplizierter:

    Arzt: Frau Aydin, was hat Sie in unsere Beratungsstelle geführt.

    "In letzter Zeit fühle ich mich sehr eingeengt. Ich habe Probleme, die ich mir nicht erklären kann. Deswegen wollte ich mich an einen Arzt wenden."

    Özgür Ziyaretci, Jurastudent in Hannover, ist einer von rund 300 Dolmetschern, die in mehr als 40 Sprachen vermitteln können. So wie er arbeiten die meisten: Sporadisch und nebenberuflich. Da ist die examinierte Krankenschwester, die nach Feierabend übersetzt, oder der Medizinstudent, der ein "Zubrot" für’s Studium verdienen möchte. Hauptberuflich arbeitende Dolmetscher sind eher die Ausnahme. Kein Wunder, bei 24 Euro pro Stunde. Aber den meisten geht es ohnehin nicht um's Geld, sondern um die Hilfe für die eigenen Landsleute.

    Menschen, die Beschwerden haben, die es aber dem Arzt nicht erklären können, werden oft auch nicht richtig behandelt, weil der Arzt auch nicht richtig erkennen kann, was dem Patienten fehlt. Die Patienten sind sehr oft dankbar, daß wir da sind, daß sie ihre Krankheit schildern können, daß wir dies dem Arzt übersetzen, und daß sie auch verstehen können, was der Arzt ihnen erzählen möchte.

    Nicht einmal auf zehn Einsätze im Monat kommen selbst die viel beanspruchten Dolmetscher. Das heißt: mehr als 240 Euro monatlich sind da nicht drin, zumal das Stundenhonorar deutlich niedriger liegt, als bei der Justiz, der Polizei oder beim Strafvollzug. Reich - im finanziellen Sinne - kann ein Dolmetscher beim Ethnomedizinischen Zentrum also nicht werden. Ramazan Salman, der langjährige Leiter, erklärt die geringe Bezahlung vor allem mit Blick auf das finanziell gebeutelte Gesundheitssystem.

    Unser Ziel ist auch gar nicht, die sozialen Dienste und den Staat so zu schröpfen, daß 300 bis 500 Dolmetscher davon voll leben können, deswegen bieten wir den Dolmetschern viele, viele Dinge an, die sie neben der Bezahlung noch zusätzlich motivieren, mitzumachen. Wir bringen sie auf einen Markt, wir coachen sie, und es gibt nicht wenige DolmetscherInnen, die mit uns gearbeitet haben, die heute etwas anderes studieren, die eine Ausbildung von uns vermittelt bekommen haben, die also motiviert wurden zu erkennen, welche Potentiale sie haben und sich dann auf dem Arbeitsmarkt viel erfolgreicher bewegt haben.

    Fast alle Dolmetscher, die für das Ethnomedizinische Zentrum arbeiten, haben einen eigenen Migrationshintergrund: Sie zählen zur ersten oder zweiten Generation, die hier in Deutschland geboren wurde. Doch auch sie leiden häufig unter Integrationsproblemen. 120 Interessenten stehen derzeit auf der Warteliste. Sie alle wollen baldmöglichst eine Schulung absolvieren, um endlich auch zum Kreis der Dolmetscher zu gehören.