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Beileibe keine sinnlosen Wesen

In seinem Buch "Was Pflanzen wissen" beschreibt Daniel Chamovitz wissenschaftlich fundiert und völlig unaufgeregt die Bedeutung der Pflanzen in unserer Welt. Er fördert damit die Einsicht, dass Pflanzen nicht nur einen großen Nutzen haben, sondern auch intelligent sind.

Von Frank Heckert | 28.05.2013
    Was wäre unser Leben ohne Pflanzen? Daniel Chamovitz, Direktor des Manna Center for Plant Biosciences an der Universität von Tel Aviv, lässt schon auf den ersten Seiten seines Buchs "Was Pflanzen wissen" keinen Zweifel daran, dass wir Menschen ganz und gar auf Pflanzen angewiesen sind:

    "Wir erwachen in Häusern aus Holz, lesen Romane, die auf Papier gedruckt sind, trinken Espresso aus Kaffeebohnen, tragen T-Shirts aus Baumwolle und fahren unsere Kinder in Autos zur Schule, deren Reifen aus Kautschuk sind."

    Und das ist längst nicht alles: Chemische Substanzen, die aus Pflanzen gewonnen werden, senken Fieber und dienen der Behandlung von Krebs. Und Weizen ist nach wie vor das zuverlässigste Mittel, um den Hunger in den meisten Teilen der Welt zu stillen. Doch obwohl Pflanzen so eminent wichtig für die Menschheit sind, gehen viele von uns achtlos an ihnen vorüber. Für gar nicht mal wenige Zeitgenossen sind sie lediglich Grünzeug am Wegesrand, das sich – wenn überhaupt – nur im Wind bewegt und Regungen lediglich im Zeitraffer zeigt. Stumme Staffage für das Bühnenbild der Welt.

    Daniel Chamovitz sieht das natürlich ganz anders. Völlig unaufgeregt und in angenehm sachlichem Ton setzt er uns davon in Kenntnis, dass Pflanzen nicht nur sehen, riechen und fühlen, sondern sich auch erinnern können. Das dürfte bei manchem Leser zunächst Erstaunen auslösen: Pflanzen können ... sehen? Mein Freund, der Baum, als Big Brother? Nein, natürlich nicht. Der Autor ist nicht darauf aus, mit sensationsheischenden Formulierungen die Verkaufszahlen seines Buchs anzukurbeln.

    "Was Pflanzen wissen" will keinen vordergründigen medialen Wirbel verursachen wie vor 30 Jahren der Sachbuch-Bestseller "Das geheime Leben der Pflanzen" von Christopher Bird und Peter Tompkins – ein Buch, das mit der bizarren Behauptung überraschte, Pflanzen seien beseelte Lebewesen. Chamovitz, der sich durch regelmäßige Beiträge in den Fachzeitschriften Nature und Scientific American einen Namen gemacht hat, hält nichts von solchen Übertreibungen. Und trotzdem ist es sehr kurzweilig, gemeinsam mit ihm das Innenleben der Pflanzen zu erkunden.

    Freilich: Alles ist eine Frage der Definition. Damit steht und fällt die Methode, mit der der Biologe seine Einsichten untermauert. Jedes der sieben Kapitel des handlichen Buchs, das von Christa Broermann erfreulich gut übersetzt und vom Verlag gut lektoriert worden ist, folgt demselben Aufbau. Zunächst schafft sich Chamovitz eine tragfähige und seriöse Argumentationsbasis, indem er klärt, was denn eigentlich unter sehen, riechen oder fühlen zu verstehen ist. Der Leser wird "eingenordet", damit die Fantasie nicht mit ihm durchgeht. Danach jedoch gibt es – quasi als Belohnung – durchaus verblüffende Erkenntnisse:

    "Natürlich sehen Pflanzen nicht in Bildern. Pflanzen können nicht zwischen einem Mann mittleren Alters mit einer Brille und einem lächelnden kleinen Mädchen mit brauen Locken unterscheiden. Aber sie nehmen auf vielfältige Weise Licht wahr – auch solche Farben, die wir uns nicht einmal vorstellen können. So sehen Pflanzen ultraviolettes Licht und auch Infrarotlicht. Pflanzen wissen, ob das Licht von links, rechts oder oben kommt. Und sie wissen, wie lange das Licht geleuchtet hat."

    Bevor sich’s dann der Leser fragt, tut’s der Wissenschaftler:

    "Kann man das alles nun als Sehfähigkeit der Pflanze bezeichnen? Was ist denn Sehen überhaupt für uns?"

    Chamovitz schärft unseren Sinn für die Sinne und rekapituliert – bevor er sich den Pflanzen zuwendet – erst einmal, wie das alles bei uns funktioniert. Dabei werden für viele Leser Erinnerungen an lange zurückliegende Biologiestunden wach, auch Darwin lässt grüßen. Schnell wird klar, dass sehen, riechen und fühlen bei Pflanzen anders verstanden werden muss als bei uns. Sie haben nun mal kein Gehirn, deshalb ist die sinnliche Erfahrung bei Pflanzen und Menschen zwangsläufig unterschiedlich. Andererseits erreichen Pflanzen teilweise eine Sensibilität, von der wir nur träumen können.

    Daniel Chamovitz jedenfalls hat in seinem wissenschaftlich fundierten Buch genügend sachdienliche Hinweise und Erkenntnisse zusammengetragen, um die Einsicht zu fördern, dass Pflanzen beileibe keine sinnlosen Wesen sind. Sie erkennen den Unterschied zwischen hell und dunkel, nehmen die Gerüche in ihrer Nähe wahr und wissen, wann sie berührt werden. Ja, sie besitzen sogar die Fähigkeit, vergangene Ereignisse zu behalten und diese Information zu einem späteren Zeitpunkt abzurufen. Wer wissen will, wie das genau funktioniert, sollte seine Aufmerksamkeit diesem erhellenden Buch zuwenden, das seine Leser übrigens auch mit ein paar sehenswerten YouTube-Clips ins Bild setzt. Schade nur, dass die in den Fußnoten aufgeführten Links zu diesen Clips zwangsläufig aus langen, meist kryptischen Zahlen-/Buchstabenkombinationen bestehen. QR-Codes für die Scan-App von Smartphone oder Tablet wären komfortablere Wegweiser für neugierige Leser. Dennoch lohnt sich der Ausflug ins Netz. Denn hier demonstriert die Cuscuta Pentagona, eine dünne orangefarbene Kletterpflanze, ihren bemerkenswerten Orientierungssinn. Und die weltbekannte Venusfliegenfalle verschlingt sogar gnadenlos einen kleinen Frosch.


    Daniel Chamovitz: Was Pflanzen wissen
    Hanser Verlag, 208 Seiten, 17,90 Euro