Dienstag, 23. April 2024

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Benetton-Konzern
"Viel vom Glanz verloren"

Mit seinen provokativen Plakaten habe Benetton die gesamte Werbebranche aufgerüttelt und umgekrempelt, sagte Modejournalist Alfons Kaiser im Dlf. Nun ist Benetton-Mitbegründer Gilberto verstorben. Laut Kaiser ein weiterer Tiefschlag in einer Reihe von Negativ-Ereignissen des Familienkonzerns.

Alfons Kaiser im Gespräch mit Ulrich Biermann | 23.10.2018
    Bildnummer: 50017827 Datum: 10.10.1996 Copyright: imago/Harald Almonat Gegensätzliche Werbeplakate, Objekte; Gegensätze, konträr, Benetton, Nissan, PKW-Werbung, Fahrzeugwerbung, Automobilwerbung, Autowerbung, Auto, brennt, brennend, Straßenwerbung; , quer, Kbdia, Einzelbild, Deutschland, Straße, Verkehr, Symbole; Aufnahmedatum geschätzt
    Benetton-Werbung Mitte der 90er-Jahre: Spiel mit dem Aufeinanderprallen von Realitäten (imago stock&people / Harald Almonat)
    Ulrich Biermann: Er war nicht der Mann der Farben und Muster, er galt er als der Mann der Zahlen, als der Finanzexperte unter den Benettons: Gilberto Benetton. 1965 hatte er das Unternehmen zusammen mit seinen Geschwistern Luciano, Giuliana und Carlos gegründet und zu einem nicht nur nationalen Konzern aufgebaut. Gestern hieß es aus dem Kreis der Familie, dass er nach kurzer Krankheit mit 77 Jahren gestorben sei. Alfons Kaiser sie sind Modefachmann bei der "FAZ" - ein Schreckensjahr für Benetton?
    Alfons Kaiser: Das kann man wohl sagen. Der andere Bruder war ja schon vor wenigen Monaten gestorben und jetzt Gilberto, der für die Firma enorm wichtig war, weil er eben sozusagen die nicht modischen Geschäfte eingeleitet und eingeführt hatte, die in den letzten Jahrzehnten sogar schon die entscheidende Rolle in dem ganzen Konzern spielten.
    "Werbebranche aufgerüttelt und auch umgekrempelt"
    Biermann: Ein Unternehmen, das mit Autobahnraststätten und natürlich auch mit Autobahnen in Italien Geld verdient hat - was zu einem weiteren Schrecken in diesem Jahr geführt hat.
    Kaiser: Genau, denn da kam der Brückeneinsturz von Genua, und da rief man natürlich sofort nach dem Schuldigen und glaubte ihn schnell in der Familie Benetton erkannt zu haben. Die hatten halt, als das Autobahnnetz in Italien privatisiert wurde, zugeschlagen - sie waren auch eine der wenigen Konzerne oder Familien, die es sich überhaupt leisten konnten. Und so gehörten ihnen eben viele Autobahnen und auch Raststätten an Autobahnen. Jetzt muss man natürlich erst mal abwarten, was die Untersuchung überhaupt ergeben. Die Brücke ist jedenfalls schon viel älter, als die Benettons sie besaßen, da kann man natürlich nichts zu sagen über Schuldfragen und Verantwortung. Aber in der Öffentlichkeit hat sich da das seltsame Bild fest gesetzt, dass jetzt die Benettons auch daran schuld seien.
    Biermann: Aber gibt es, was den Schrecken angeht, etwas, womit Benetton ja auch immer gespielt hat - wenn ich an Oliviero Toscani denke, der die Werbekampagne gemacht hat und prägend war von 1982 bis 2004 für Benetton mit seinen Fotografien. Schrecken spielte immer eine große Rolle.
    Kaiser: Ja, das macht das Ganze ja noch gruseliger, noch unangenehmer, noch schrecklicher. Sie haben dann ja im Grunde die gesamte Werbebranche aufgerüttelt und auch umgekrempelt, indem sie eben zum Beispiel das blutige Hemd mit einem Einschussloch eines im Bosnienkrieg gefangenen Soldaten zeigte, dass sie Gesichter zeigten von Männern, die zum Tode verurteilt wurden, oder zum Beispiel ein Gesäß mit der Tätowierung "HIV positiv". Das war damals sogenannte Schockwerbung. Es gab Prozesse darum, auch die Medien haben das natürlich immer wieder aufgegriffen. Das hat zum Image von Benetton damals beigetragen, nach dem Motto: "any reputation is good reputation", sie ins Gespräch gebracht und der Firma geholfen. Aber jetzt, im Nachhinein, muss man natürlich sagen, dass ist alles sehr gruselig. Und noch dazu, dass sie wenige Monate vor dem Brückeneinsturz Oliviero Toscani in der Krise, in der das Unternehmen - zumindest die Bekleidungssparte - sich befindet, wieder engagiert haben, das heißt: Da werden plötzlich alte Geister wieder wach, die man vielleicht lieber hätte schlummern lassen.
    "Viele andere sind Marken einfach heißer"
    Biermann: Und selbst Luciano, der sich selbst aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hatte, der ist auch wieder zurückgekehrt. Was heißt das über Benetton, dass man die alten Recken wieder holen muss?
    Kaiser: Ja, ich glaube das zeigt, dass die wirklich in einer Krise sind, wenn also der 83-jährige Luciano wiederkommen muss, wenn er Oliviero Toscani, der auch in seinen 70ern ist, wieder holen muss, und jetzt – gerade vor wenigen Wochen erst – Jean-Charles de Castelbajac als Chefdesigner verpflichtet hat , der auch vor 50 Jahren schon in der Mode begonnen hat, dann muss man sich natürlich fragen, kann so die Zukunft eines Konzerns aussehen, der sich nicht nur gegen zahlreiche Billigmarken behaupten muss, sondern auch gegen den zunehmendem Konkurrenten online.
    Biermann: Hat das vielleicht auch damit zu tun, dass dieser Slogan, die Marke "United Colors of Benetton" offenbar einfach nicht mehr das ist, wofür Italien derzeit steht?
    Kaiser: Auch das. Zwar versuchen die das jetzt sozusagen mit diesen Bildern von Toscani wieder aufzugreifen, in dem man zum Beispiel Flüchtlinge auf einem Werbeplakat setzt, die sich alle umarmen. Aber diese "United Colors of Benetton" haben natürlich viel von ihrem Glanz verloren, weil seit dem viele andere Werbekampagnen das natürlich ähnlich gemacht haben. Weil viele Marken einfach heißer sind, begehrter sind bei Jugendlichen. Also Benetton, das kann man sich heute kaum noch vorstellen, das war in den 80ern Jahren ungefähr das, was vor 15 Jahren vielleicht H&M war und was vor zehn Jahren Zara war. Das heißt, ein Ort, wo jeder hinging, wo jeder guckte, weil dort die Trends gesetzt wurden. Diesen Nimbus wieder zu erreichen, dieses Image wieder aufzupolieren, das ist extrem schwierig – überhaupt bei Modemarken, und natürlich erst Recht bei einer so großen, die von einer Familie geführt wird, die dann natürlich auch nicht immer einig ist in dem, was sie will.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.