
"Guten Abend." - "Abend" - "Haben Sie eine Zigarette?" - "Ja, Marlboro Light"
Eine Zigarette in einer Bar - einmal mehr entzündet sich im Kino mit dem Glimmstengel auch eine große Schicksalsgeschichte.
Ein Mann hat seinen Zug verpasst. Er geht völlig erschöpft und aufgewühlt ins Bistro gegenüber dem Bahnhof. Dort lernt er eine Frau kennen. Sie sind sich sympathisch, verstehen sich, lassen sich treiben, schlendern durch die menschenleeren Straßen der schlafenden Stadt bis zum Morgen, es ist sein Geburtstag. Er heißt Marc, sie Sylvie und wird gespielt von der irrlichternden Charlotte Gainsbourg, einer Darstellerin, der man alles zutraut; jeden Abgrund, jede Leidenschaft. Dann bringt sie ihn zum Zug. Kein Kuss, kein Telefonnummerntausch, aber eine Verabredung, in Paris, am nächsten Freitag.
"Sehen wir uns wieder? Jardin des Tuileries, nächsten Freitag, 18 Uhr? Am besten tauschen wir unsere Nummern aus." - "Ich werde da sein."
Man ahnt da schon, ganz sachte zwischen den Bildern, wie es kommen muss, denn das Kino ist eine Schicksalsmaschine.
Dumme Zufälle verändern das Leben
Denn durch dumme Zufälle verpasst Marc den Termin, nur wir Zuschauer wissen, dass sie lang gewartet hat, enttäuscht abreist und damit beider Leben ändert. Ein paar Tage später reist Sylvie nach Amerika. Kurz darauf begegnet Marc Sophie. Und wieder wissen nur wir, dass es sich um Sylvies Schwester handelt, gespielt von Chiara Mastroianni. Im Kino küssen sie sich, verlieben sich, sind glücklich.
"Wie heißen Sie noch mal?" - "Sophie. Ich habe mich verliebt."
Der Franzose Benoît Jacquot ist im französischen Gegenwartskino der Regisseur der Leidenschaften, des Begehrens und des Wahnsinns im Alltag. Sein Kino ist faszinierend-unberechenbar, immer wieder geht es um die Notwendigkeit des Unerwarteten, um kleine, unscheinbare Augenblicke, in denen sich alles ändert.
So ist auch sein neuer Film eine mitunter ironische, in jedem Fall aber kluge Reflexion über die dramaturgische Sprache des Liebesfilms.
In "3 Herzen" versetzt Jacquot seine Zuschauer in die südfranzösische Provinz, nach Valence. Dort begegnen wir zwei Schwestern und ihrer Mutter, letztere gespielt vom französischen Superstar Catherine Deneuve. Ein Matriarchat, die Männer wirken wir Eindringlinge, Randfiguren, Störenfriede. Doch jetzt ist Sylvie weit weg und Sophie frisch verliebt.
Und schnell dreht sich die Schicksalsmaschine namens Kino, das Kraftwerk der Gefühle und ein Spiel aus Liebe und Zufall. Marc und Sophie heiraten und da taucht natürlich die Schwester auf.
Dass sich ein Mann zufällig in zwei Schwestern verliebt, das muss man nicht für realistisch halten, kann es gekünstelt finden, aber es ist eben Kunst.
Emotionaler Realismus
Sie konfrontiert uns in diesem Fall mit einer mitreißenden Konstellation, in der es nicht um statistische Wahrscheinlichkeit geht, aber um emotionalen Realismus.
Und auf dieser Ebene funktioniert der Film hervorragend: Immer wieder wird herzschlaghafte, dräuend-drohende Musik eingesetzt, als Mittel der Überhöhung, der Distanzierung von der Realität - fast wie im Horrorfilm.
Das ist immer sinnvoll. Denn die drei Herzen des Titels sind nicht nur die der drei Liebenden, es ist auch das kranke Herz des Mannes, das schnell in drei Teile zerbrechen kann, an dem Dilemma, in dem er steckt.
Zwar hat Marc keine Schuld, solange er nichts weiß von der dummen Schicksalslaune. Dann aber verrät er in gewissem Sinn beide Schwestern.
"Sophie ist der Mensch, der mir am meisten auf der Welt bedeutet. Wenn die davon erfährt, sterbe ich."
"3 Herzen" ist einerseits ein sehr ernsthafter Film, der emotional, aber trotzdem realistisch und klug danach fragt, wo noch Platz ist für Leidenschaft, Geheimnis und Romantik in einer Zeit, in der das Leben durchmedialisiert ist, und soziale Netzwerke den Menschen alle Geheimnisse nehmen.
Zugleich ist dies in der Figur des vom belgischen Komiker Benoît Poelvoorde gespieltem, vor allem anfangs etwas spießigem Steuerbeamten Marc eine existenzielle Studie über die Vielfalt der Möglichkeiten und die Folgen verpasster Chancen im Leben.
"3 Herzen" ist auch packendes Gefühlskino, ein unglaublich guter Film über die universale Macht der Liebe und über das Drama, das sich entfesselt, wenn Amour fou gegen Pragmatismus steht. Zugleich ist dies ein sehr französischer Film: Es wird viel gegessen, es wird viel geredet, es wird viel geliebt. Existentialistisch, hedonistisch und leidenschaftlich.