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Benzol - das "Asbest der Zukunft"?

Die Kommission der Europäischen Union plant ein strengeres Chemikalienrecht innerhalb der EU. Neu entwickelte Chemikalien sollen danach erst getestet werden auf ihre mögliche Gefährlichkeit für Umwelt und Gesundheit, bevor sie auf den Markt kommen - und das muss genau dokumentiert werden. Und auch Tausende Chemikalien, die bereits im Umlauf sind, sollen nun nachträglich registriert und untersucht werden. Die vor sieben Wochen von der EU-Kommission präsentierten Pläne sollen für einen besseren Gesundheitsschutz sorgen vor unerwünschten Nebenwirkungen von Chemikalien, die beispielsweise zu Allergien und schweren Krebserkrankungen führen können. Die Industrie wehrt sich mit Händen und Füßen gegen dieses neue Gesetz: es sei zu teuer und drohe zu einer Wachstums- und Innovationsbremse zu werden. Wie wichtig neue Wege in der Chemiepolitik sind zum Wohle der Menschen, das zeigt eine neue Studie zur meistgenutzten Industriechemikalie Benzol.

Von Volker Mrasek | 19.12.2003
    Den Preis für den beruflichen Umgang mit dem Krebsgift zahlen viele Arbeitnehmer erst 30 Jahre später. So lange dauert es im Schnitt, bis eine Leukämie ausbricht - die typische Spätfolge einer hohen Benzol-Belastung am Arbeitsplatz.

    Dass Benzol Blut- und Lymphdrüsenkrebs auslösen kann, kam schon vor Jahrzehnten ans Licht. Dennoch wurde in vielen Berufszweigen völlig sorglos mit der Massenchemikalie hantiert. Exponiert waren...

    ...in erster Linie die, die direkt mit Benzol umgegangen sind, in der chemischen Industrie zum Beispiel. Aber auch solche, die Lösungsmittel-Umgang hatten.

    Das waren zum Beispiel Maler, sagt Eberhard Nies, Biologe und Toxikologe beim Berufsgenossenschaftlichen Institut für Arbeitsschutz in St. Augustin bei Bonn. Im Maler-Gewerbe sei es früher gang und gäbe gewesen, ...

    ...dass man nach Beendigung der Schicht einfach in Unkenntnis der gesundheitlichen Wirkung die Hände gewaschen hat in Benzol. Um die Reste der Farben loszuwerden.

    Auch Mechaniker, Schlosser und Tischler waren dem Giftstoff ausgesetzt und gelten heute als Risikogruppen. Bei ihnen häufen sich nun die Leukämie-Fälle. Und genauso die durch Benzol ausgelösten, anerkannten Berufskrankheiten .

    Der Trend ist aufsteigend...

    ...beobachtet Otto Blome vom Hauptverband der Gewerblichen Berufsgenossenschaften. Der Experte für Berufskrankheiten geht davon aus, ...

    ...dass wir zwar nicht eine ähnliche Entwicklung wie bei Asbest zu erwarten haben, aber doch eine erhebliche Entwicklung.

    Nach der Verbandsstatistik wurden 1978 lediglich zwei Leukämie-Fälle entschädigt. In den letzten Jahren waren es schon regelmäßig jeweils 20 bis 30. Doch hinter diesen Zahlen steckt nicht die ganze Wahrheit. Blome ist sicher, dass etliche Leukämie-Erkrankungen nach der ärztlichen Diagnose gar nicht an die Berufsverbände gemeldet werden:

    Der niedergelassene Hausarzt ist sehr kurativ ausgerichtet. Wenn ein Patient mit einer Leukämie bei ihm erscheint, will er helfen! Er stellt gar nicht so sehr die Frage, wo die Leukämie herkommt. Daher ist zu vermuten, dass eine hohe Dunkelziffer besteht.

    Es kommt noch etwas hinzu: Viele gemeldete Krebs-Fälle werden gar nicht als Berufskrankheit anerkannt. Denn bisher herrscht die Meinung vor: Benzol verursacht zwar Leukämien, aber nicht alle Formen von Lymphdrüsen-Krebs - obwohl auch diese, zum Beispiel bei Malern, vermehrt auftreten.

    Experten wie Blome sprechen allgemein von Lymphomen - und hier im besonderen von den so genannten Non-Hodgkin-Lymphomen.

    Ganz konkret: Die Wissenschaft streitet darüber, ob ein Non-Hodgkin’sches Lymphom, was von der Stammzelle ausgeht, vom Knochenmark ausgeht - das wird wohl einheitlich beurteilt, dass das durch Benzol verursacht wird. Aber es gibt auch Non-Hodgkin-Lymphome, die aus der Peripherie heraus entstehen und in das Knochenmark hineinwirken. Dort wird gestritten.

    Es gibt eine neue Studie deutscher Arbeitsmediziner, die zu dem Schluss kommt: Benzol steckt auch hinter jenen Lymphomen, die ihm bisher nicht zugeschrieben werden. Und noch etwas anderes ist der Fachveröffentlichung zu entnehmen. Die derzeit geltenden Richtwerte für Benzol am Arbeitsplatz seien - Zitat:

    ...als mit Abstand zu hoch erkannt.

    Tatsächlich gehört Benzol noch immer zu den meistbenutzten Industriechemikalien. Als Ausgangssubstanz für Synthesen in der Erdöl- und Kunststoffchemie. Aber auch als Lösungsmittel. Stoffexperte Eberhard Nies:

    Die Produktionszahlen nehmen ständig zu. Wir sind im Moment angelangt bei etwa 2,8 Millionen Jahrestonnen allein in Deutschland.

    Die Großindustrie verarbeitet Benzol zwar längst in verkapselten Anlagen. Eine Gefährdung der Arbeiter sei daher weitgehend ausgeschlossen, meint Nies. Doch in Kokereien zum Beispiel tritt das Krebsgift Benzol auch heute noch in der Umgebungsluft auf. Und:

    Ein besonders wichtiger Bereich ist die Verarbeitung von Mineralölprodukten, unter anderem auf Tankstellen. Sie wissen ja, dass auf den Zapfsäulen ein Totenkopf normalerweise zu kleben hat. Und das hat seine Ursache in dem Benzolanteil von bis zu einem Prozent in normalem Benzin.