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Berge, Wasser und Worte

"Über allen Gipfeln ist Ruh'", so schrieb es damals Johann Wolfgang von Goethe. Für Leukerbad hoch oben in den Schweizer Bergen gilt das allerdings nur bedingt. Denn hier im Wallis findet seit 15 Jahren ein außergewöhnliches Literaturfestival statt.

Hubert Winkels im Gespräch mit Rainer B. Schossig | 05.07.2010
    Rainer B. Schossig: Vor 20 Jahren wollte man ein internationales Superbad werden in Leukerbad im schweizerischen Wallis. Aber als dies mit vielen Schulden scheiterte, besann man sich reuig auf die Literatur. Einmal im Jahr ist Leukerbad nun ein Stelldichein für Leser und Autoren unter dem Motto "Berge, Wasser und Worte". Am vergangenen Wochenende fand das Leukerbadner Literaturfestival zum 15. Mal statt. Zwei Dutzend Autorinnen und Autoren waren gekommen, nicht nur deutschsprachige, sondern auch aus anderen europäischen Ländern und dazu natürlich viele Gäste, darunter auch Hubert Winkels von unserer Literaturredaktion im Deutschlandfunk. Herr Winkels, Sie waren ja gerade eben noch in Klagenfurt, nun also gleich in Leukerbad. Was ist denn der besondere Charme von Leukerbad?

    Hubert Winkels: Na ja also es ist erst mal die Tatsache, dass es sich um ein 1500-Seelen-Dorf in wiederum – fällt mir gerade erst die Zahlengleichheit auf – 1500 Meter Höhe handelt, und rund um diesen kleinen Ort schießen die, fast senkrecht, die Felsen noch mal über 1000 Meter in die Höhe. Zweimal fährt man auch mit einer Gondel auf diese Höhe und von da sieht man dann auf das Matterhorn und auf die Vier-, Viereinhalbtausender.

    Schossig: Wunderbar.

    Winkels: Also das ist eine grandiose Landschaft und allein das macht natürlich auch dieses Literaturfestival sehr speziell und besonders und für fast jeden sehr angenehm.

    Schossig: Die Auswahl der Lesenden ist, wie sich das ja in der Schweiz wohl gehört, recht polyglott. Unter den diesjährigen Gästen waren unter anderem Autoren aus Italien, Ungarn, Ukraine, Albanien. Ja wie wird das gemacht, Herr Winkels, damit das auch ein Hör- und Verständnisvergnügen bleibt?

    Winkels: Es gibt ganz wunderbare, bizarre Ereignisse, zum Beispiel ein Bestsellerautor in der Schweiz, Pedro Lenz, ich wusste nicht, dass das ein wirklicher Bestseller ist, der schreibt auf Berner Dialekt Schwyzerdütsch. Da verstehen Sie, selbst wenn Sie Schwyzerdütsch verstehen würden, gar nichts mehr, aber klingt bezaubernd gut. Und der hat zum Beispiel abwechselnd mit dem Lyriker Raphael Urweiler, einem Freund aus Bern, gelesen, aber der hat das nicht übersetzt, sondern andere Teile des Werks gelesen, so dass sich das immer fortgearbeitet hat und Sie immer eine Leerstelle hatten, die Sie nicht verstanden haben. Und solche kleinen, witzigen Einfälle produziert das Festival am Laufenden Band.

    Schossig: Und es gibt ja auch seit einigen Jahren so eine Art regelmäßiges Übersetzerkolloquium dort. Hat das unter anderem solche Alleinstellungsmerkmale, so spielerische?

    Winkels: Dieses Übersetzerkolloquium findet tatsächlich in Leuk statt, was noch mal 1000 Meter tiefer ist in dem nächsten Ort, und die kommen dann allerdings, die ganzen Teilnehmer, hoch. Dieses Jahr war es Rolf Lappert mit seinem Roman, der dann bearbeitet wird mit Übersetzern aus vielleicht zehn Ländern. Da gibt es eine Kooperation eben mit Leuk, aber auch mit den Rilkestätten in Wallis, wo so verschiedene Festivals und Ereignisse ein Netzwerk bilden. Man muss auch dazu sagen, dass dieser Ort eine berühmte Thermalquelle hat, die sehr viele Hotelpools speist, öffentliche Schwimmbäder speist, also Sie haben bestimmt 20, 25 Schwimmbäder in diesem Ort und zum Teil vom Allerschönsten mit riesigen Terrassen mit diesem Bergblick, so dass Sie immer wandeln können zwischen der Idee: Ich tue etwas ganz Gesundes für meinen Körper und anschließend etwas zumindest Gutes für meinen Geist.

    Schossig: Man hört immer wieder Schwärmen von den schönen Plätzen, wo gelesen wird: in Leukerbad, im alten Sankt-Lorenz-Bad, im alten Bahnhof, also alles sehr alt, im Römisch-Irischen Bad, in alten Thermen und so weiter, sogar auf dem Gebirgspass. Ja ist das nicht ein bisschen mehr Eventkultur als Literatur?

    Winkels: Ja bei diesem Ereignis schon. Man fährt dann nachts um 23:30 Uhr zum Gemmipass hoch, 2500 Meter Höhe, dann ist oben ein Lagerfeuer und in so einem Glasgebäude hoch über Leukerbad, wo es von oben fast wirkt wie Los Angeles, liest man dann bis eins, halb zwei. Das hat schon, wenn man will, etwas Eventhaftes, aber es hat ganz viele Dimensionen. Unter anderem weiß man sehr genau: Der Gemmipass war einer der entscheidenden Pässe für die Norddeutschen, die nach Italien wollten. Also die großen Kavaliersreisen und so, die mussten nicht nur da, aber sehr, sehr viele da rüber. Und damals gab es bekanntlich, im 18, 17., 18., 19. Jahrhundert, keine Seilbahn und die mussten tatsächlich über diesen Pass laufen. Und an der Stelle, wo der tiefste Einschnitt ist, ist eben jetzt auch dieser Lesungsabend und man weiß, dass Goethe zum Beispiel auf einer Sänfte auf seiner Reise nach Italien über diesen Pass getragen worden ist und ein …

    Schossig: … er flog übers Tiroler Gebirg, wie er so schön sagt …

    Winkels: … ja, das ist aber noch mal schräg woanders. Also er muss verschiedene Berge überqueren und Arthur Conan Doyle und viele andere sind auch über diesen Pass getragen worden, muss man sagen, von den Einheimischen. Und diese Idee, dass das eine Schnittstelle zwischen Nord und Süd ist, andererseits aber auch zwischen Frankreich – Sie können sozusagen durch ein breites, breites Tal, ohne noch einen weiteren Berg zu überqueren, von da, man hat das Gefühl, runterrutschen bis zum Mittelmeer, wenn Sie so wollen. Das ist ein grandioser Ort, wo sich auch sozusagen Kulturen und Sprachen mischen.

    Schossig: Ist nun Leukerbad noch ein Geheimtipp oder ist es schon eine wichtige Station auf dem Weg der verschiedenen Literaturnotwendigkeiten?

    Winkels: Na ja, es hat sich wirklich etabliert und es kommt eigentlich jeder dahin, der eingeladen worden ist. Ob berühmt oder reich oder ein jüngerer Autor, es gehört eigentlich zum guten Ton, ein Wochenende in Leukerbad verbracht zu haben.

    Schossig: Ja, danke an Hubert Winkels für seinen Blick auf das diesjährige Internationale Literaturfestival von Leukerbad.