Dienstag, 23. April 2024

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Berlinale-Direktor Kosslick
"Das Private ist noch politischer"

Auch wenn das Motto "Das Private ist politisch" nichts Neues sei, passe es zur diesjährigen Berlinale. Denn heutzutage sei "eigentlich alles, was wir machen, politisch", sagte der scheidende Berlinale-Direktor Dieter Kosslik im Dlf. Die Filme im Programm griffen dies auf.

Dieter Kosslick im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 07.02.2019
    Berlinale-Direktor Dieter Kosslick auf den 67. Internationalen Filmfestspielen in Berlin, 2017, bei der Premiere des Films "Logan".
    Konsumentscheidungen seien "politisches Handeln", sagte der scheidende Berlinale-Direktor Kosslick im Dlf (dpa-Zentralbild)
    Dirk-Oliver Heckmann: Sein Markenzeichen: sein Hut und sein roter Schal. Seit 2001, also seit 18 Jahren, ist er untrennbar mit den Internationalen Filmfestspielen in Berlin verbunden: Dieter Kosslick. Heute beginnen die letzten Festspiele unter ihm als Direktor. Vor uns steht ein Festival mit über 400 Filmen, 17 davon konkurrieren um den Goldenen und die Silbernen Bären. Ich konnte vor dieser Sendung mit Dieter Kosslick sprechen, und ich habe ihn zuerst gefragt: Nach 18 Jahren eröffnen Sie heute Ihre letzte Berlinale. Was ist das für ein Gefühl?
    Dieter Kosslick: Es ist ganz komisch. Es ist auch nicht sehr viel anders als in den letzten Jahren. Ich bin nur weniger aufgeregt. Irgendwie fühle ich mich so ganz cool.
    Heckmann: Wie kommt’s?
    Kosslick: Ich weiß auch nicht. Erstens sind wir sehr gut vorbereitet, es ist alles fertig. Es wird aber kommen, es wird ein komisches Gefühl werden, wenn die ganzen Leute über den Roten Teppich gehen, mich umarmen und sagen, ja, das war doch ganz toll, und so. Das kriege ich ja jetzt schon mit, wenn ich hier durch die Straßen laufe in Berlin.
    Heckmann: Auch ein bisschen Erleichterung dabei?
    Kosslick: Ja. Natürlich fällt da auch eine große Last von einem. Sie dürfen nicht vergessen, das ist zwar ein superschöner Job, aber der ist auch ziemlich stressig. Und 18 Jahre lang im Stress zu sein und ich will ja auch nicht verschweigen, dass ich ehrgeizig war. Und wenn Sie ehrgeizig sind, dann sind Sie natürlich in Konkurrenz mit anderen. Wenn Sie es einfach so laufen lassen, dann kann Ihnen das ja egal sein. Ja, ja, es ist auch Erleichterung dabei. Vielleicht ist es das, das Gefühl, das ich gerade habe.
    "Das Private ist noch politischer"
    Heckmann: Gucken wir mal auf die diesjährige Berlinale, Ihre letzte sozusagen. Das Motto dieses Jahr ist "Das Private ist politisch", ein alter 68er-Spruch. Gab es nichts Neueres?
    Kosslick: Nein, eigentlich nicht. Außer, man müsste diesen Satz im Komparativ sagen. Eigentlich müsste man sagen, das Private ist noch politischer. Aber er passt auch zur diesjährigen Berlinale. Nicht nur wegen dem Programm, über das wir vielleicht gleich reden, sondern auch zu unserer Retrospektive über deutsche Filmemacherinnen. Denn dieser Satz, so wird gesagt, stammt von Helke Sander, und ihr Film "Redupers" läuft auch bei uns in der Retrospektive, und sie wird auch da sein. Und heute, muss ich sagen, ist eigentlich alles, was wir machen, politisch. Der Konsum ist politisch, welches Auto wir fahren, ist politisch, was wir essen ist politisch. Wie wir uns anziehen – ob Sie ein T-Shirt zu 50 Cent anziehen oder eines für 15 Euro, was mit Bio-Baumwolle und wo die Leute richtig bezahlt werden –, das ist ein politisches Handeln. Da müssen Sie sich entscheiden. Und in unserem Programm haben wir Filme, die dazu passen, nämlich über Kinder, über Familien, über Familienzusammenhänge, über staatliche und kirchliche Institutionen, die Kinder missbrauchen. Also irgendwie passt das, dieser alte Spruch ist ziemlich neu.
    Heckmann: Herr Kosslick, Sie haben ja kurzfristig noch eine Doku über ein Geheimarchiv im Warschauer Ghetto ins Programm genommen und dazu sämtliche AfD-Mitglieder eingeladen, die kostenlos, auf Ihre Kosten sozusagen, rein dürfen. Weshalb haben Sie das gemacht? Sind für Sie AfD-Mitglieder nahe bei Nazis?
    Kosslick: Ich habe das spontan gemacht während der Pressekonferenz, weil am Abend vorher hatte ich diesen Film in einem Kino vorgestellt. Das war ja am Tag der Eröffnung auch von Auschwitz, diesem Gedenktag. Ich habe den da vorgestellt vor vielen jüdischen Menschen und auch jüngeren Leuten im Wedding im City Kino. Und irgendwie kam mir das in den Kopf, als ich da oben stand und da referiert habe vor diesen vielen Journalisten, dass das doch eigentlich eine Superidee ist, vor allen Dingen vor Leuten, die diese Zeit, in der diese Menschen zu Tode geprügelt, erschossen, umgebracht, gequält und gefoltert worden sind, so eine Zeit abtun, das war nur ein "Vogelschiss der Geschichte". Und da habe ich gedacht, nee, also wenn ich jetzt noch was tun kann, dann tue ich das jetzt. Und dann habe ich das gesagt. Also, das war jetzt nicht eine lange Strategie. Aber sie haben sich angemeldet und sagen, sie kommen und gucken sich diesen Film an.
    Heckmann: Wer denn?
    Kosslick: Ja, so AfD-Menschen, die mir dann geschrieben haben. Und sie sind eigentlich auch alle meiner Meinung, also das ist ganz interessant. Da werden wir sehen, was am Montag passiert.
    Heckmann: Eine Frage: Sieben der 17 Filme, die um den Goldenen Bären jetzt konkurrieren, sind von Frauen. Immer intensiver, Herr Kosslick, wird ja über Quoten diskutiert, in der Politik, aber auch in der Kultur, auch auf Filmfestivals. Was halten Sie von der Forderung nach einer Quote?
    Kosslick: Eine Quote – ich war ja mal Pressesprecher der Leitstelle Gleichstellung der Frau in Hamburg. Das war die erste Stelle, die sich darum kümmern musste, dass wenigstens beim Staat Gleichberechtigung herrscht. Von daher habe ich eine lange Erfahrung mit diesem Thema. Ich finde eine Quote blöd. Aber um dahin zu kommen, um dieses Ziel zu erreichen, braucht man offensichtlich eine Quote, weil es nicht freiwillig geht. Und deshalb muss man immer noch diese Quotierung unterschreiben und sich dafür einsetzen. Sonst machen die das nicht.
    Heckmann: Haben Sie aber nicht gemacht.
    Kosslick: Bitte?
    Heckmann: Haben Sie aber nicht eingeführt.
    Kosslick: Ich unterschreibe das jetzt während der Berlinale, da gibt es eine weltweite Initiative, die man da unterschreibt. Witzigerweise haben Cannes und Venedig, die großen Festivals der Frauen, die haben das schon unterschrieben. Jetzt kommen wir mit immerhin sieben Frauen im Wettbewerb. Das hat keines der A-Film-Festivals in den letzten fünf Jahren geschafft. Die Initiative heißt ja "50:50 2020", und wir sind schon nahe dran.
    Heckmann: Nahe dran – aber Sie würden jetzt nicht dafür plädieren, eine Quote einzuführen bei der Berlinale in Zukunft?
    Kosslick: Na, das ist ja dann. "50:50 2020" ist eine Quote. Das unterschreibe ich dann da. Es kommt drauf an, ob meine Nachfolger, die aber darüber Bescheid wissen, ob die das dann auch so sehen. Jedenfalls meine Nachfolge ist ja schon quotiert, 50:50.
    Heckmann: Das stimmt. Und wie sehen die das? Wissen Sie das?
    Kosslick: Nein, die sehen das wie ich, sonst kann ich das ja nicht unterschreiben. Ich kann das ja nicht für mich jetzt quasi unterschreiben, wenn ich gehe. Das habe ich schon mit denen abgestimmt.
    "Ich habe das immer für eines dieser Geplänkel gehalten"
    Heckmann: Letztes Jahr gab es ja eine Diskussion darüber, dass die Berlinale einen Neustart brauche. Ihre Kritiker warfen Ihnen vor, die Berlinale aufgebläht zu haben, wodurch auch Profil verloren gegangen sei. Worauf sollten Ihre Nachfolger achten?
    Kosslick: Das weiß ich nicht. Das sind ja meine Nachfolger. Die können das ja ganz anders machen. Ich habe das immer für eines dieser Geplänkel gehalten. Wenn Sie mal das wirklich überdenken, was da gesagt worden ist – ich meine, wir hatten 2.000 Stars hier bei der Berlinale, wir hatten die besten Filme. Wir hatten alle Filmemacher, wir hatten die Weltpremieren. Scorsese war hier, die Coen-Brüder. Also ich weiß nicht, was man da dazu eigentlich noch sagen soll, außer dass es natürlich immer schön ist, wenn man einem ans Bein pinkelt, weil dann berichten alle drüber.
    Heckmann: Ein paar Sektionen vielleicht abschaffen oder rückabwickeln.
    Kosslick: Ja, nun, was soll man denn machen? Weniger Zuschauer? Weniger Zuschauer kommen, weniger Geld haben, kleinere Berlinale? Es gibt so viele kleine Filmfestivals, 2.000. Warum gehen die Leute denn nicht dorthin. Bei uns sind 70.000 Jugendliche, die wir bei "Generationen" hatten, hat noch jeder seinen Platz im Kino gefunden. Da hat sich noch nie irgendjemand beklagt, dass er sich nicht zurechtgefunden hat. Das ist eine Handvoll von übersäuerten Kritikern der Berlinale, die das immer behaupten. Vielleicht wird ja die Berlinale kleiner. Wenn Sie 200 Filme zeigen, ist die Berlinale auch noch zu groß, als dass Sie alle Filme sehen können. Ach, ich bin froh, wenn ich das los bin.
    Heckmann: Okay. Dann gucken wir jetzt nach vorn. Worauf freuen Sie sich jetzt, heute am meisten?
    Kosslick: Ich freue mich, dass wir einen schönen Eröffnungsfilm haben, dass alle da sind, dass Hunderte und Tausende von Menschen nach Berlin kommen werden, dass es noch mal ein großes Filmfest werden wird, dass ich stapelweise Zuschriften bekomme, wie schön es war. Das ist ein gutes Gefühl, und ich freue mich, dass es jetzt endlich beginnt und dass wir dann zehn Tage das Kino feiern. Und wenn es nach mir ginge, kämen noch viel, viel mehr Leute zur Berlinale, oder könnten zur Berlinale kommen, und ich würde sie noch viel, viel größer machen. Aber leider ist mir das ja nicht* vergönnt.
    Heckmann: Letzte Frage an Sie, Herr Kosslick: Was haben Sie für Pläne, wenn Sie jetzt erst mal die Berlinale zu den Akten legen sozusagen, als Aktiver?
    Kosslick: Na ja, dann mache ich erst mal nichts und mache das, was alle Leute gern haben wollen, mir eine schöne Zeit. Und wenn ich dann wieder was tun will im Film, kann ich das bestimmt tun. Aber erst mal mache ich das, was ich gern möchte. Ich werde vielleicht studieren, ich werde in meinem kleinen Garten arbeiten und werde mir einfach Zeit nehmen für mich, denn das ist, glaube ich, das Luxuriöseste, was man heute haben kann. Aber erst mal gehe ich fasten, damit ich wieder einen klaren Kopf bekomme und vieles auch hinter mir lassen kann, was ich wirklich nicht mehr haben möchte, zum Beispiel den Stress.
    *Anm. d. Red.: Dieter Kosslick sagte im Interview "Aber leider ist mir das ja vergönnt", das "nicht" wurde von der Redaktion ergänzt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.