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Berlinale
Filmische Perspektiven Ost und West

Die Retrospektive der Berlinale blickt in diesem Jahr auf das deutsche Filmjahr 1966: Filme, die sich damals kritisch mit dem DDR-Alltag auseinandersetzten und deswegen nicht ausgestrahlt wurden, werden im direkten Vergleich zu Filmen aus dem Westen desselben Jahres gezeigt.

Von Josef Schnelle | 16.02.2016
    Berlinale-Kino Friedrichstadtpalast am Samstagvormittag, 13. Februar 2016, im Vordergrund das Berlinale-Logo
    Berlinale-Kino Friedrichstadtpalast am Samstagvormittag, 13. Februar 2016 (Deutschlandradio / Annette Bräunlein)
    Die diesjährige Retrospektive der Berlinale widmet sich einem deutsch-deutschen Thema. Eine bunte Auswahl von Filmen aus dem Jahre 1966 aus Ost und West soll einen wichtigen Wendepunkt der deutschen Filmgeschichte vor 50 Jahren beleuchten. Eine besondere Rolle spielte dabei das ostdeutsche staatliche Filmstudio DEFA. Noch 1965 hatten die SED-Oberen sich mit der Kultur und vor allem auch mit dem Film beschäftigt und entdeckt, dass in vielen Filmen eine kritische Haltung zum Alltag in der DDR eingenommen wurde. So kam es zu einer regelrechten Kampagne gegen die Filmemacher. Ralf Schenk vom Vorstand der heutigen DEFA-Stiftung, die das filmische Erbe der DDR betreut und die Retrospektive unterstützt, erläutert was damals im Einzelnen geschah:
    "Diese Filme wurden nach und nach beerdigt. Das heißt: Man brach Dreharbeiten ab. Man brach Endfertigungen ab. Sodass von 20 geplanten Spielfilmen, die die DEFA 1966 ins Kino bringen wollte, nur ganze neun ins Kino kamen. Elf wurden verboten. Einer nämlich -"Spur der Steine" - der berühmteste - wurde nach kurzer Laufzeit wieder aus den Kinos herausgenommen. Es war für die Filmproduktion der DDR ein desaströses Jahr, dieses Jahr '66."
    Keine gänzlich unbekannten Werke
    Die DEFA-Stiftung wird in diesem Jahr noch eine Auswahl der damals verbotenen Filme in digitalisierten Fassungen ins Kino bringen und auch als DVD-Sammlung herausbringen. Zunächst aber konnte man die Filme auf der Retrospektive in der Zusammenschau zu sehen und sie werden später im Jahr noch vom Museum of Modern Arts in New York vorgeführt. Das ist nur möglich, weil die Filme überraschenderweise erhalten geblieben sind. Nur einem denkwürdigen Zufall und der Achtlosigkeit der Zensurbehörden ist das zu verdanken:
    "Das Interessante ist ja, dass diese Filme nach ihrem Verbot nicht vernichtet worden sind. Man hätte sie auch verbrennen können oder sonst wie vernichten können. Sondern sie wurden mit sämtlichen Materialien, die es dazu gab, im staatlichen Filmarchiv der DDR gelagert. Dort lagen sie bis zum Jahr 1989 bis in die Wendemonate und bis zum Mauerfall."
    Die in Berlin gezeigten Filmwerke sind also nicht gänzlich unbekannt. Schon im Jahr nach dem Mauerfall wurden sie im Rahmen des Forums des jungen Films einer interessierten Öffentlichkeit erstmals gezeigt. Die Retrospektive in diesem Jahr zeigt sich aber dem großen Ganzen verpflichtet und zeigt die Verbotsfilme in direktem Vergleich zu den Filmen des Neuen deutschen Films aus dem Westen. Da sieht man etwa das Jugenddrama "Mahlzeiten" von Edgar Reitz in der Zusammenschau mit der antisozialistischen Arbeiterkomödie "Spur der Steine" von Frank Beyer, den umstrittenen Abtreibungsfilm "ES" von Ulrich Schamoni neben dem authentischen Berlinfilm nach einem Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase "Berlin um die Ecke".
    Schlöndorff erläutert seinen Weg zum Film
    Vollgepackt ist der Veranstaltungssaal des Filmmuseums, als Wolfgang Kohlhaase und Volker Schlöndorff zum gemeinsamen Gespräch über das Jahr 1966 antreten. Der Höhepunkt der Retrospektive. Schlöndorff zeigt seinen Erstlingsfilm "Der junge Törless" mit dem er in Cannes seinen ersten großen Erfolg erzielte. Und er erläutert eindrucksvoll, warum er Filmemacher geworden ist:
    "Was da noch für ein Geist ist in den Schulen, haben wir das ja alle erlebt. Und das endlich zur Sprache zu bringen. Also nicht jetzt gleich einen Film über Auschwitz zu machen und auch nicht über die Weiße Rose. Aber einen Film zu machen über die Nazis, die alle noch in allen Ämtern saßen und die wir als 15-/16-jährige natürlich sofort gerochen haben und gesagt haben. Eigentlich können wir uns mit dieser Gesellschaft nicht abfinden. Es ging nicht drum "Papas Kino ist tot" sondern "Diese Gesellschaft ist tot" und das muss jetzt endlich aufgearbeitet werden."