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Berliner Volksbühne
Kongress zur Afrika-Konferenz vor 130 Jahren

Die Berliner Volksbühne hatte zu einem Kongress eingeladen, um sich mit der vor 130 Jahren veranstalteten Afrika-Konferenz auseinanderzusetzen. Dabei sollten nicht nur gängige Klischees über das Afrika vor der Kolonisierung auf den Kopf gestellt werden, sondern auch die Kolonialbewegung im europäischen Geschichtsverständnis neu verortet werden. Doch die geforderte Meinungsvielfalt blieb zum Teil aus.

Von Cornelius Wüllenkemper | 01.03.2015
    Volksbühne in Berlin
    Vor 130 Jahren fand in der Reichskanzlei von Otto von Bismarck die Berliner Konferenz statt, mit der sich der Kongress an der Volksbühne beschäftigte. (imago / Seeliger)
    Um eine fünf Meter hohe Wandkarte scharten sich von November 1884 bis Februar 1885 im Berliner Reichskanzlerpalais 14 Regierungschefs, um die Kolonisierung des afrikanischen Kontinents in geordnete Bahnen zu lenken. Gut fünf Meter hoch war gestern in der Berliner Volksbühne auch die Projektion einer Landkarte des schwedischen Künstlers Nikolaj Cyon, die hypothetische Grenzverläufe in einem Afrika ohne Kolonialgeschichte abbildete. Nach afrikanischer Tradition stand Cyons Karte auf dem Kopf, zeigte Afrika also im Norden und das vergleichsweise winzig erscheinende Europa im Süden, und bildete Jahrtausende alte Seehandelsrouten zwischen Afrika und China ab. Die Afrika-Konferenz der Volksbühne wollte nicht nur gängige Klischees über das Afrika vor der Kolonisierung auf den Kopf stellen. Es ging ebenso um eine Neuverortung der Kolonialbewegung im europäischen Geschichtsverständnis.
    "Wie kann es sein, dass die Europäer immer wieder aus ihrem Kontinent ausreißen, um andere Völker, die Europa keinen Krieg erklärt haben, bei sich zu Hause anzugreifen, auszuplündern, bekehren und belehren zu wollen? Als hätten diese Völker seit Jahrtausenden nur auf das Heil Europas gewartet. Ein machthungriger Islam mit weltweitem Sendungsauftrag ruft zum heiligen Dschihad auf. Wie viel Zeit bleibt uns noch, um den Wettkampf des Herrschens über andere einzudämmen und den Frieden zu retten?"
    Der Politikwissenschaftler und Germanist Prinz Kum'a Ndumbe III, ein Enkel des von deutschen Kolonialisten beraubten und vertriebenen Königs von Kamerun, führte die gewaltsame Inbesitznahme des schwarzen Kontinents auf die christliche Lehre zurück. Die Menschen, die sich die Erde zum Untertan machen, sind weiß und stammen aus dem abendländischen Kulturkreis. Der ghanaische Performance Künstler Bernard Akoi Jackson thematisierte die Schnittmengen zwischen Kolonisierung und christlicher Missionierung differenzierter: In seinem Programm inszenierte er die Kongo-Konferenz als christliche Messe. Afrikas Reichtümer bildete Jackson als Schokolade ab, die gewalttätige Aufteilung des Kontinents inszenierte er mithilfe einer Säge.
    "Die gleichen Leute, die den Glauben eingeführt haben, haben auch den Alkohol und die Versklavung eingeführt. Und damit spiele ich. Die süße Schokolade, die zugleich ein Produkt des Kolonialismus ist. Und dann die Säge, wie eine Spur der Gewalt, die unseren Kontinent erschüttert. Der belgische König Leopold II hat im Kongo grausame Gewalt ausgeübt, und das hat sich in das Gedächtnis vieler Menschen eingebrannt. Wenn sie heute gegeneinander zu den Waffen greifen, dann geschieht das auf dem Hintergrund von dem, was früher passiert ist."
    Kolonisierung als Einübung der europäischen Gewaltgeschichte
    Der Gedanke, dass die Kolonisierung eine Einübung der europäischen Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts war, leitet fast alle Beiträge der Afrika Konferenz. Die kolumbianisch-stämmige Publizistin Rosa Amelia Plumelle-Uribe führte den nationalsozialistischen Rassenwahn in direkter Ableitung auf den Kolonialismus seit Columbus und den Sklavenhandel zwischen Afrika und Süd-Amerika zurück.
    "Wenn der Nazismus sich durchsetzen konnte, dann deswegen, weil er hinter sich viereinhalb Jahrhunderte von Grausamkeit und vor allem der ideologischen Vorbereitung und Konditionierung der Europäer hatte. Sie hat den Europäern einerseits beigebracht, dass es höherwertige und minderwertige Rassen gebe, und anderseits, dass die minderwertigen Rassen auszulöschen seien, eben weil sie minderwertig seien."
    Ein bedenkenswerter Ansatz. Plumelle-Uribes Ausführungen darüber, dass die Gewaltgeschichte der letzten 150 Jahre allein auf die Erfahrung des Kolonialismus zurückgeht, klang auf dem Podium der Volksbühne allerdings weniger nach anthropologischer Kolonialismusforschung als nach einer politischen Propaganda-Rede. Ob und inwiefern die willkürliche Grenzziehung als entscheidende Ursache für Konflikte im heutigen Afrika zu sehen ist, ist im aktuellen Forschungsstand wesentlich umstrittener als landläufig angenommen. Ausschlaggebender als nationale Grenzen ist vermutlich die Unterteilung von ethnischen Gruppen durch die Kolonialherren. Zu diesen und anderen Fragen hätte man in der Volksbühne gerne mehr gehört. Doch die Diskussion über die koloniale Vergangenheit verläuft noch immer schleppend.
    "Deutschland oder bestimmte Kreise in Deutschland tun sich schwer mit der Anerkennung kolonialer Verbrechen und kolonialem Unrecht, da die Debatte um das Wesen des Kolonialismus zum einen eine Debatte um die Entstehung der modernen Welt ist, von der wir sehr viel profitiert haben und immer noch profitieren, und wir wollen weiterhin profitieren und wir wollen das mit gutem Gewissen tun. Es gibt noch einen anderen Grund. Ich nenne sie die Tendenz und den Wunsch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, endlich wieder stolz auf die eigene Geschichte sein zu können."
    So der Hamburger Historiker und Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer. Die Afrika-Konferenz der Volksbühne ließ zum Teil genau die Meinungsvielfalt vermissen, die man auf dem Podium ständig einforderte. Was angesichts der 30 Jahre andauernden, aber darum nicht weniger schuldbeladenen deutschen Kolonialgesichte fehlt, ist eine breite öffentliche Auseinandersetzung, gerade in einem Land, zu dessen Selbstverständnis die Aufarbeitung der eigenen Geschichte zählt.