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Beruf Pirat

Sie überfallen Handelsschiffe und erpressen Lösegeld. Vor allem vor der Küste Somalias lauern die Seeräuber auf ihre Beute. Viele treibt die Perspektivlosigkeit im eigenen Land auf das Meer. Einer der Piraten war der 20-jähriger Abdi.

Von Antje Diekhans | 24.04.2010
    Von weitem sieht er durchschnittlich aus. Jeans, lässig nach unten gezogen, T-Shirt, Sonnenbrille im Haar. Ein ganz normaler 20-Jähriger. Aber aus der Nähe schwindet dieser Eindruck. Sein Blick zeigt, dass er anders ist - leere, kalte Augen. Er lebt in Eastleigh, dem Somalier-Viertel in Kenias Hauptstadt Nairobi. Bis vor einigen Monaten war er Pirat. Seinen richtigen Namen will er nicht sagen. Er nennt sich Abdi.

    "Ich bin in Harardhere aufgewachsen. Ich habe mit meinen Eltern zusammengewohnt, in einem einfachen Haus. Ich bin nie zur Schule gegangen."

    Harardhere gilt als Piratenhochburg in Somalia. Von hier brechen junge Männer wie Abdi auf, um große Schiffe zu kapern. Sie schleppen die Frachter in ihre Küstengewässer und geben sie erst wieder frei, wenn Lösegeld geflossen ist.
    Früher war es in Harardhere mal anders. Da lebten die Menschen vom Fischfang. Bevor Europäer und Asiaten mit ihren Flotten kamen, die Netze auswarfen und in den Gewässern nichts mehr übrig ließen.

    "Eigentlich sind alle im Dorf Fischer geworden. Mit den Booten rausgefahren. Als ich größer wurde, habe ich mich ihnen angeschlossen. Eines Tages kam dann aber der Besitzer des Bootes und brachte uns Waffen. Er sagte, wir sollten von jetzt an Jagd auf Schiffe machen. Das würde viel Geld bringen. So fing es für mich an."

    Abdi wirkt unberührt, wenn er das erzählt. Als hätte ihm nur jemand vorgeschlagen, das Boot zu wechseln oder ein anderes Netz zu benutzen. Doch er war von einem Tag auf den anderen Pirat. Eine Waffe in die Hand zu nehmen, machte ihm keine Angst.

    "Ich wusste schon früh, wie man eine Waffe lädt und wie man damit umgeht. Das musste mir niemand mehr zeigen. In unserem Dorf gab es überall Waffen. Ich hatte damit kein Problem."

    Die Bilder, die Abdi schon als Kind gesehen hat, erklären wohl zum Teil seine leeren Augen. In Somalia herrscht Krieg, so lange er lebt. Es ist ein rechtloser Staat. Ein Land im Zerfall, ohne funktionierende Regierung und ohne Justizwesen. Die Gesetze werden hier von Clanführern und radikalen islamischen Milizen gemacht, die zuletzt fast ganz Somalia unter ihre Kontrolle gebracht haben. Wer hier aufwächst, für den ist Gewalt etwas Alltägliches.

    "Seit ich klein war, bin ich es gewohnt, Menschen sterben zu sehen. Als ich drei Jahre alt war, gab es schwere Kämpfe in unserem Dorf. Viele sind erschossen worden. Das sind meine ersten Erinnerungen. Wenn Menschen getötet werden - das bedeutet für mich nichts mehr."

    Auch sein eigenes Leben scheint für Abdi wenig zu zählen. Zumindest war das so, als er zum ersten Mal als Pirat aufs Meer hinausfuhr. Damals war er 17.

    "Ich bin ins Boot gestiegen, darauf eingestellt, jemanden zu töten. Und ich war auch bereit, selbst zu sterben."

    Bei den ersten Angriffen hielt er sich aber noch im Hintergrund, schaute sich von den anderen ab, wie das geht, ein Pirat zu sein. Dann kam der große Tag. Seine Gruppe plante, einen europäischen Frachter zu kapern.

    "Wir waren auf dem Meer. Jemand rief uns an und sagte, das Schiff wäre auf dem Weg. Wir haben darauf zugehalten. Als wir nah genug waren, haben wir geschossen. Die ersten vier sind raufgeklettert. Sie hatten Lautsprecher dabei und haben geschrien: Bewegt euch nicht. Dann sind wir übrigen an Bord gegangen."

    Aus welchem Land das Schiff kam, will Abdi nicht verraten. Nur dass es Lebensmittel, Maschinen und Baumaterialien geladen hatte. Drei Monate hielten er und die anderen Piraten den Frachter samt Besatzung in ihrer Gewalt, bis Lösegeld gezahlt wurde. Angeblich eine halbe Million Dollar.

    "Als wir das Geld hatten, haben wir gestritten, wie wir es aufteilen. Schließlich haben der Anführer und vier andere gesagt: Lasst uns erst mal Mira kaufen. Wir klären das morgen. Aber dann sind sie abgehauen."

    Mira, die weitverbreitete Droge in Somalia, brachte Abdi um seinen Anteil. Berauscht ließ er sich darauf ein, später ausgezahlt zu werden. Doch von dem Geld hat er - so sagt er zumindest - nie etwas gesehen. Abdi war eben ein kleiner Fisch - an den Piratenüberfällen verdienen die big Sharks - die großen Haie - im Hintergrund.
    Aber das war nicht der Grund, weshalb er aussteigen wollte.

    "Meine Eltern haben gedrängt. Sie haben gesagt: Wir beten für dich. Dafür, dass du nie mehr aufs Meer hinausfährst. Und dafür, dass du weggehst und nie nach Somalia zurückkommst."

    Seit rund zehn Monaten ist Abdi jetzt in Eastleigh. Er hat den Absprung ins sichere Nachbarland Kenia geschafft. Doch im Gegensatz zu anderen, die mit dicken Geldkoffern aus Somalia ankommen, muss er sich irgendwie durchschlagen. Er kann kaum Lesen und Schreiben, spricht nur Somali und findet keinen Job.

    "Ich sehe hier die Piraten, die Geld gemacht haben. Aber wir sitzen nicht im selben Boot. Sie sind reich. Ich brauche sie gar nicht anzusprechen. Sie würden mich sowieso ignorieren."

    Abdi - früher von Beruf Pirat - ist gestrandet in Eastleigh. Ohne Geld und ohne Perspektive mit gerade 20 Jahren. Aber seine Augen sehen jetzt etwas anderes als Krieg und Gewalt. Für Abdi ist Eastleigh das Paradies.

    "Hier ist es ganz anders als in Somalia. Hier ist Frieden. Ich habe Ruhe. Ich will hierbleiben für den Rest meines Lebens."