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Berufsschulen
Viele Azubis sind unzufrieden

Zu praxisfern, veralteter Lernstoff, unmotivierte Lehrer: Eine Umfrage der TH Köln hat ergeben, dass nur wenige Azubis mit der Berufsschule zufrieden sind. Ihre Forderung: Eine engere Verzahnung von Betrieben und Schule und mehr Fortbildungen für Lehrer.

Von Benedikt Schulz | 04.11.2016
    Im BMW-Werk in Leipzig erklärt der Ausbilder für Industrie-und Fertigungsmechaniker Enrico Horn (r) den angehenden Fertigungsmechanikern Henry Lange (l) und Chris Themel an einer CNC-Drehmaschine die Fertigung von Kunsthülsen.
    Topnoten für praktische Ausbildung, dafür Kritik an den Berufsschulen: Das belegt eine neue Studie der TH Köln. (picture alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch)
    Gruppenarbeit im Fach Prüfungstechnologie: Die rund 20 Schülerinnen und Schüler machen eine Ausbildung zum Werkstoffprüfer und sind im zweiten Lehrjahr. Zurzeit sind sie zweimal die Woche im Berufskolleg Kartäuserwall in Köln. Mancher von ihnen wäre allerdings lieber im Betrieb, etwa Lukas Göring.
    "Manchmal ja, muss ich ehrlich sagen, weil an manchen Tagen sind Themen da, wo ich denke, okay, hab ich nach 5 Minuten verstanden, was mach ich jetzt die nächsten anderthalb Stunden? Da kann ich auch produktiver arbeiten, da geht auch die Zeit schneller rum."
    Eine Sichtweise, die offenbar verbreitet ist, wie die Studie der TH Köln zeigt, für die rund 1.300 Azubis befragt wurden. Hauptkritikpunkt: die fehlende Abstimmung der Unterrichtsinhalte mit der Tätigkeit im Unternehmen.
    "Letztendlich hat es viel damit zu tun, dass Unterricht zu praxisfern ist. Und ich glaube, dass man hier mit einem modernen Personalmanagement und mit einem Zusammenrücken der Lernorte viel erreichen könnte."
    Mehr Kooperation zwischen Betrieben und Schule gewünscht
    Christian Ernst ist Professor für Berufsbildung und Personalmanagement an der TH Köln und hat die Befragung durchgeführt und ausgewertet. Ein Zusammenrücken der Lernorte – das heißt: mehr Kooperation zwischen Betrieben und Schule, betriebliche Ausbilder in den Unterricht und vor allem: Lehrer in die Betriebe.
    "Die Effekte sind natürlich, dass man die Lebenswirklichkeit des Anderen besser versteht, ich glaube, Ausbilder sind manchmal auch weit weg von Berufsschullehrern und dem Unterricht dort, umgekehrt Berufsschullehrer, die die Lebenswirklichkeit der Azubis nicht wirklich greifen können."
    Dass Unterrichtsinhalte mehr mit dem Alltag im Betrieb zu tun haben sollen ist allerdings oft vor allem eine Forderung der Betriebe selbst, die konkrete Wünsche an die Schule haben, meint Karl-Josef Löllgen, Schulleiter des Kölner Berufskollegs. Da will etwa ein Unternehmen, dass seine Azubis die Anwendung einer bestimmten Software lernen – die aber möglicherweise nur für die Azubis dieses Unternehmens relevant ist. Er fragt: wie praxisnah kann die Forderung nach mehr Abstimmung zwischen Betrieben und dem Lernort Berufsschule sein?
    "Dieses Berufskolleg ist ein kleines Berufskolleg und trotzdem kommen im Moment mehr als zwölfhundert aktive Betriebe hierher, bei der Vielzahl halte ich es im Moment eher für schwierig, wenn wir sehr feindifferenziert inhaltlich Zusammenarbeit erreichen wollen."
    Und dass Lehrer Betriebe besuchen, das gibt es auch jetzt schon, aber: Die personelle Ausstattung der Berufsschulen erlaubt keine regelmäßigen Praktika ihrer Lehrer – wenn die das nicht in der Freizeit machen sollen, das weiß auch Christian Ernst:
    "Sicherlich müsste man hier auch an eine Aufwertung insgesamt denken, was die finanzielle Ausstattung betrifft, also Materialien, Ausstattung, Personal. Man muss natürlich auch sehen, dass Berufsschule es an bestimmten Stellen auch nicht leicht hat."
    Vieles liegt im Argen
    Gerade was den Unterricht angeht liegt offenbar vieles im Argen – viele der Befragten haben die Motivation der Lehrer kritisiert und damit die Qualität des Unterrichts. Teilweise Zustimmung von Azubi Lukas Göring:
    "Ja, muss ich ganz klar sagen, also ich finde manchmal, dass der Lehrstoff nicht so wirklich aktuell ist, weil manche Lehrer nicht wirklich auf Fortbildungen gehen und wirklich auf dem Stand wo sie studiert haben das auch nur weiterlehren und sich nicht weiterentwickeln."
    Klar ist: Oft können Berufsschulen mit technologischen Entwicklungen der Arbeitswelt, vor allem der Digitalisierung nicht mithalten. Betriebe sind da oft weiter. Bei aller Praxisnähe und Anbindung des Lehrstoffs an die betrieblichen Bedürfnisse gibt Schulleiter Löllgen allerdings eines zu bedenken: die Aufteilung in Praxis im Betrieb und Theorie in der Schule ergibt weiterhin Sinn:
    "Sicherlich aus dem Gesichtspunkt, dass sehr viele Betriebe, auch kleine Handwerksbetriebe, sehr spezialisiert sind, sich nicht ne Nische, aber bestimmte Produktions- und Arbeitsbereiche erschlossen haben. Aber der Anspruch von der Gesellschaft ist ja, junge Menschen für ein lebenslanges berufliches Lernen vorzubereiten und dafür steht im Endeffekt Berufsschule."