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Beschnittene seltener mit HIV infiziert

Neben der Verwendung von Kondomen als Schutz vor einer HIV-Infektion und partnerschaftlicher Treue gilt die Beschneidung als eine wirksame Prävention. Denn eine Studie belegt: Beschnittene Männer erkranken zwar genauso häufig an bekannten Geschlechtskrankheiten, aber sie stecken sich deutlich seltener mit HIV an.

Von Martin Winkelheide | 13.08.2006
    Am Anfang, so Thomas Quinn von der Johns Hopkins University, stand die Beobachtung: Die Länder im südlichen Afrika sind besonders stark betroffen von der Aidsepidemie, stärker als viele Länder im Westen des Kontinents.

    "In Westafrika, im Senegal, in Cote d’Ivoire und auch in der Demokratischen Republik Kongo breitet sich das Virus nicht so schnell aus. Aber warum? Wenn Sie die Gründe dafür analysieren, werden Sie immer wieder auf einen Faktor treffen: die Beschneidung. In Westafrika sind besonders viele Männer beschnitten – entweder aus religiösen Gründen oder aus kulturellen. "

    Nun könnte die Beschneidung eines Mannes nur ein äußeres Anzeichen sein für ein weniger riskantes Sexualverhalten. Mit einer Studie in Indien an drei Kliniken für sexuell übertragbare Krankheiten konnte Thomas Quinn diese Hypothese widerlegen. Das Ergebnis der Studie: Beschnittene Männer erkrankten ebenso häufig wie die Unbeschnittenen an Syphilis, Gonorrhoe oder Herpes. Aber sie steckten sich deutlich seltener mit HIV an, aus biologischen Gründen.

    "Beim Geschlechtsverkehr, bei einer Erektion, schiebt sich die Vorhaut des Penis zurück. Die Innenseite der Vorhaut ist mit Schleimhaut überzogen. Die Schleimhaut enthält viele Zellen des Immunsystems. Diese so genannte Langerhans-Zellen kann das Aids-Virus besonders gut infizieren. Wenn Sie einen Mann beschneiden, dann entfernen Sie damit genau diese Zellen - die potenziellen Zielzellen des Aids-Virus. Ein unbeschnittener Mann besitzt die Zellen noch. Wenn er Sex hat mit einer HIV-positiven Frau, dann ist sein Risiko sich anzustecken höher - wegen der Schleimhaut. Er besitzt neun Mal mehr Zielzellen für HIV als ein beschnittener Mann. "

    Eine Beschneidung schützt aber nicht zu 100 Prozent vor einer Ansteckung. Denn die für HIV empfänglichen Langerhans-Zellen befinden sich auch im Harnleiter. Welche Bedeutung der biologische Schutzmechanismus der Beschneidung haben kann, das sollte eine Studie in Südafrika zeigen. In einer Region, in der die Beschneidung bislang unüblich war.

    Über 3000 unbeschnittene junge Männer aus dem Bezirk Orange Farm in Südafrika nahmen an der Studie teil. In Orange Farm ist jeder dritte Erwachsene HIV-infiziert. Die Studienteilnehmer wurden zwei Gruppen zugelost: die einen wurden beschnitten, die anderen blieben unbeschnitten.

    "Nach 21 Monaten hatten sich in der Gruppe der Unbeschnittenen 45 Männer mit HIV angesteckt. Von den Beschnittenen waren es nur 15. Das Ergebnis war so eindeutig, dass sich die Forscher entschlossen, die Studie abzubrechen. Die Beschneidung hat einen Schutz-Effekt von 75 Prozent. Sie müssen sich das klar machen: Die Beschneidung hat eindeutig sieben von zehn HIV-Infektionen verhindert. "

    Eine groß angelegte Studie in Uganda zeigte vergleichbare Ergebnisse. Aber bei der Beschneidung handelt es sich um einen operativen Eingriff mit Risiken.

    "Bei vier von Hundert Männern gab es Probleme: Blutungen, Schmerzen. Es ist kein harmloser Eingriff. Aber 96 Prozent der Männer hatten keine Probleme. Insgesamt waren fast alle Männer zufrieden. Als sie befragt wurden, sagten 98 Prozent: Ja, wir sind froh, beschnitten zu sein. "

    Einfacher als Erwachsene, so Thomas Quinn, ist es, Jungen direkt nach der Geburt zu beschneiden.

    "Die Jungen profitieren von der Beschneidung natürlich erst, wenn sie erwachsen sind. Aber bei Babys ist der Eingriff aus medizinischer Sicht etwas unproblematischer. Auf jeden Fall sollten die Jungen beschnitten werden, bevor sie geschlechtsreif sind. Also spätestens mit 13 oder 14 Jahren. Je später die Beschneidung – desto heftiger sind die Schmerzen. "

    Thomas Quinn ist überzeugt davon: Die Beschneidung von Jungen wird bald schon als eine Präventionsmaßnahme von offizieller Seite empfohlen werden – zumindest für das südliche Afrika und einige asiatische Länder.

    "Heute schon entscheiden sich viele Mütter in Botswana für die Beschneidung ihrer neugeborenen Söhne. Das war früher undenkbar. Sie wissen: die Beschneidung hilft, ihre Kinder vor HIV zu schützen. "

    Die Kehrseite aber, so Thomas Quinn von der Johns Hopkins University: Männer, die sich haben beschneiden lassen, wissen, dass sie besser geschützt sind.

    "Ein Ergebnis der Studien macht uns wirklich Sorge: Viele Männer, die beschnitten wurden, glaubten, riskantes Verhalten würde sie nicht gefährden. Das ist schlecht. Wer mit mehr Partnern Sex hat als vor der Beschneidung, dessen Risiko ist auch höher, sich anzustecken. Die Beschneidung schützt niemals zu 100 Prozent. Man muss trotzdem vorsichtig sein. Das heißt: Wir brauchen weiterhin eine gute Aids-Aufklärung. "