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Besetzen statt Besitzen

Wohnen ist teuer - erst recht in London. Zahlreiche Studenten haben in der englischen Hauptstadt nun einen Ausweg gefunden: "Squatting". Statt sich eine Wohnung zu mieten, wird einfach ein Haus besetzt. Dabei geht es nicht nur darum, eine billige Bleibe zu finden.

Von Stephan Scheuer |
    Über einhundert Jahre ist das Haus in London alt. Einige Fensterscheiben sind kaputt und es riecht modrig. Die Blümchentapete ist vermutlich seit den 60er-Jahren nicht mehr gewechselt worden. Kein Wunder, denn das Gebäude war zuletzt über Jahre unbewohnt. Doch seit wenigen Wochen ist wieder Leben eingekehrt: Vier Studierende wohnen jetzt hier.

    Doch Yamuna und ihre Freunde zahlen keine Miete. Sie haben das Haus besetzt. "Squatting" wird diese Art des Wohnens in England genannt. In einer so teueren Stadt wie London gewinnt es grade unter den Studierenden immer mehr Anhänger. Schließlich kostet selbst ein Platz im Studentenwohnheim hier schnell über 600 Euro im Monat. So erging es auch Yamuna, als sie vor einem halben Jahr das erste Mal in ein besetztes Haus zog. Doch nun ist "Squatting" für die 24-Jährige aber mehr als nur günstiges Wohnen geworden:

    "Zum ersten Mal, seit ich nicht mehr bei meinen Eltern in London lebe, war wohnen für mich wie ein Geschenk. Es ist eine Aufgabe: Wir besetzen etwas. Ich habe das Gefühl eine wirkliche Beziehung zu meiner Wohnung zu haben, anstatt nur Geld dafür zu bezahlen. Ich habe es besetzt und deshalb muss ich mich auch darum kümmern."

    Verschaffen sich die Squatter gewaltlos Zugang zu einem unbewohnten Gebäude, braucht der Eigentümer einen Gerichtsbeschluss, um sie loszuwerden. Doch das dauert mindestens einen Monat. So lange dürfen sie dort wohnen und weder die Polizei noch der Eigentümer darf sie vertreiben, denn Squatter sind nach dem Strafrecht keine Einbrecher und damit sind Polizei und Eigentümer erst einmal die Hände gebunden.

    Die Nachbarin von Gegenüber hofft, dass die vier Besetzer noch lange bleiben dürfen. Die ältere Dame freut sich über die vier Studierenden. Seit 30 Jahren wohnt sie bereits in der Gegend und hat viele Leute kommen und gehen sehen. Doch die vier Neuen seien eine willkommene Bereicherung für die Straße:

    "Sie sind sehr nette Leute. Sie sind leise und kümmern sich um das Haus. Wir haben früher ganz andere Erfahrungen mit Squattern gemacht. Die hatten jeden Abend eine große Party und haben ganz Italien eingeladen."

    Die Eigentümer der Häuser sind allerdings oft nicht so glücklich über die Eindringlinge. Wenn sie verhindern wollen, dass Besetzer überhaupt eindringen können und das nötige Geld dazu haben, dann wenden sie sich an Unternehmen wie Camelot Property. Die Sicherheitsfirma hat sich auf Gebäudeschutz gegen Squatting spezialisiert. Durch die Wirtschaftskrise habe man in London besonders viel zu tun, sagt Geschäftsführer für Großbritannien John Mills. Er betont, man richte sich so vorwiegend gegen organisierte Squatterbanden und kaum gegen Studierende, die auf der Suche nach einer billigen Bleibe seien und erklärt das Konzept:

    "Wir lassen dort einfach Leute einziehen. Dadurch wird es zu ihrem zuhause. Das Gebäude wird dann benutzt und ist geschützt vor Besetzern. Wir erheben dafür etwa ein Drittel der normalen Miete."

    Hat der Besitzer wieder eine Verwendung für seine Immobilie, müssen die Leute wieder ausziehen. So wohnen sie zwar billiger, wissen aber nie genau wie lange sie bleiben dürfen. Für Yamuna und ihre Freunde hätte das nichts mehr mit Squatting zu tun. Erst das Besetzen macht für sie den Reiz aus - auch wenn sie am Ende vertrieben werden.