Schülerin: Da stehen ganz viele Wörter drin!
Lehrerin: Wer weiß noch was dazu?
Schüler: Das ist nach dem Alphabet geordnet.
Deutschunterricht in einer dritten Grundschulklasse in Wermelskirchen bei Köln. Schreibt man "kennenlernen" zusammen? Wie wird "Bäcker" getrennt? Wie viele F's gibt es in "Schifffahrt"? Fragen, die die 8jährigen mit Hilfe eines Wörterbuchs zu lösen versuchen. Und sie kennen jede Menge schwierige Wörter.
Kinder: Xylophon. Weil, da merkt man nicht so das H. Hört man nicht so das H.
Donnerwetter. Weil da ja auch doppelte Buchstaben kommen.
Konstruieren. Das ist eigentlich schwer zu schreiben.
Eines der Probleme: Die richtige Trennung von längeren Wörtern. Im Zuge der Rechtschreibreform kommt dabei eine alte Methode wieder zu neuen Ehren: Rhythmisches Klatschen gibt den Kindern einen Hinweis darauf, an welcher Stelle ein Wort getrennt werden kann.
Mit der neuen Rechtschreibung, sagt Klassenlehrerin Silke Lindhorst, sei es leichter geworden, den Kindern die Grundregeln der Orthografie beizubringen.
Ich glaube für die Kinder ist das keine große Umstellung, ich glaube für die Erwachsenen ist das schwierig, weil die vorher richtig schreiben gelernt haben, für die Kinder, die lernen dann andere Regeln und gewöhnen sich auch erst mal daran. Einiges ist bestimmt einfacher geworden, weil es logischer geworden ist.
Wir haben jetzt einige Jahre danach gearbeitet in der Schule, ganz abgesehen von dem finanziellen Aspekt, jetzt wieder alle Bücher neu anzuschaffen, finde ich das sinnvoll und weniger verwirrend, vielleicht müsste man es den Erwachsenen noch mal erklären, damit die sich auch damit anfreunden können.
Zufriedenheit an der Basis, aber Rumoren in den oberen Etagen. Während die Umstellung in den Schulen problemlos vollzogen wurde, haben sich Schriftsteller und etliche Medienmacher auf die Reform eingeschossen und würden sie am liebsten zu Fall bringen. Ihre Hauptvorwürfe: unlogische Neuerungen, keine Vereinfachungen für die Schüler, mehr Ausnahmen als zuvor und eine obrigkeitsgeleitete Reformwut. Einer der vehementesten Kritiker ist der Kulturjournalist Thomas Steinfeld. Er hält die Rechtschreibreform für die "dümmste aller Bildungsreformen".
Wir haben seit dem 1. August 1999 keine einheitliche Rechtschreibung mehr, das ist die eigentliche Leistung der Reform.
Steinfeld war bis Ende der 90er Jahre Feuilleton-Chef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er sich 1998, zwei Jahre nach Verkündung der Reform, für eine Rückkehr zu den alten Rechtschreibregeln einsetzte. Steinfeld erinnert sich.
Wir mussten sehr schnell die Erfahrung machen, dass es die Einheit der deutschen Schriftsprache nach der Reform nicht mehr gibt. Das sehe ich ja täglich an den hereinkommenden Manuskripten, an den Artikeln, die wir bearbeiten, an den Agenturmeldungen, die wir übernehmen. Nach einem Jahr haben wir gesagt: Das ist uns alles zu doof, das machen wir nicht mehr mit, wir kehren zur alten Rechtschreibung zurück.
Heute ist Steinfeld leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Kein Wunder also, dass die SZ Mitte September ebenfalls ankündigte, die Rechtschreibreform rückgängig zu machen. Mit ihm Boot der Reformverweigerer sitzen außerdem der Springer-Verlag mit seinem Boulevard-Blatt Bild und das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Übermorgen wird die Bild am Sonntag erstmals wieder in alter Rechtschreibung erscheinen, Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust will in wenigen Wochen nachziehen.
Jede Redaktion, wir auch, haben uns im Grunde unsere eigene Version der Rechtschreibreform gemacht. Die ZEIT hat eine eigene gemacht, im Grunde haben alle Redaktionen eine eigene Rechtschreibung. Es ist jetzt höchste Zeit, bevor dieser Unsinn verbindlich wird, diese staatlich verordnete Legasthenie aufzugeben.
Mit ihrer PR-Aktion wollen die Medienmacher gezielt die Kultusminister der Länder unter Druck setzen. Die treffen sich nämlich Mitte Oktober in Mettlach im Saarland. Eigentlich wollten sie auf ihrer Sitzung die verbindliche und bundesweite Einführung der neuen Rechtschreibung zum nächsten Schuljahr beschließen. Doch der vor acht Jahren aushandelte Reformkonsens steht schon wieder auf der Kippe. Niedersachsen drohte am vergangenen Wochenende mit dem Austritt aus der Kultusministerkonferenz. Für Ministerpräsident Christian Wulff ist das die letzte Möglichkeit, die von ihm bekämpfte Rechschreibreform noch zu stoppen.
Bei keinem anderen Thema hab ich soviel Ignoranz der Beteiligten erlebt. Es gab von Anfang an keine Bereitschaft bei bestimmten eingesetzten Experten, auch darüber nachzudenken, es bei der bisherigen Fortschreibung der deutschen Sprache zu belassen. Diese Experten haben sich dann verselbständigt und wollten am Ende ein Lebenswerk schaffen, dass angeblich dazu führen würde, dass die Deutschen besser mit ihrer Rechtschreibung klarkämen. Und da kann man doch nun heute wirklich sagen: Dies ist überhaupt nicht erreicht worden.
Wulffs Ausstiegsdrohungen sorgen bei der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, der rheinland-pfälzischen Schulministerin Doris Ahnen, für Verwunderung.
Das Kerngeschäft der Kultusministerkonferenz ist die Sicherung von Qualität im Bildungswesen sowie von Vergleichbarkeit gegenseitiger Anerkennung und Mobilität, das sind ausgesprochen wichtige Aufgaben, und insofern kann ich diesen spektakulären Schritt von Herrn Wulff überhaupt nicht verstehen.
Zwar hält Doris Ahnen einerseits an dem beschlossenen Zeitplan der Kultusministerkonferenz zur verbindlichen Einführung der neuen Regeln im nächsten Sommer fest. Andererseits setzt sie sich leicht, aber unübersehbar von der neuen Rechtschreibung ab, indem sie die inhaltliche Verantwortung für die neue Rechtschreibung weit von sich weist.
Die Rechtschreibreform ist nicht von Ministerinnen und Ministern, die da gesessen haben und sich die Worte überlegt haben und auch nicht primär von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Sekretariats entwickelt worden, sondern von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Ich meine, dass sich die Rechtschreibreform im Grunde bewährt hat, vor allem lernt eine Vielzahl von Schülerinnen und Schülern, seit Anfang 1990 danach, darüber hinaus müssen wir sicherlich die Einheitlichkeit im deutschsprachigen Raum insbesondere auch mit Österreich und der Schweiz berücksichtigen, und in sofern ist aus meiner Sicht der Weg, den wir gegangen sind, vernünftig.
Einer, der sich mit dem organisatorischen und inhaltlichen Vorlauf der Reform gut auskennt, ist Karl Blümel. Im Hauptberuf ist er Stadtschulrat in Wien, nebenher leitet er aber auch die so genannte Zwischenstaatlichen Kommission, die die Regularien der Rechtschreibreform zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgehandelt hat.
Also, für Österreich kann ich das mit prozentiger Sicherheit sagen, dass wir lange, bevor die Rechtschreibreform in Kraft getreten ist, also vor 1996, in hunderten Veranstaltungen an Schulen, in der Öffentlichkeit waren, und das heftig diskutiert haben. Also, es ist nicht so, dass da ein paar sich im geheimen Kämmerchen hingesetzt hätten und das jetzt schnell zusammengestellt hätten, sondern dem sind lange, lange Jahre - ich selbst verbringe seit 30 Jahren etwa meine Freizeit mit der Rechtschreibreform - da hat es immer wieder lange Diskussionen unter Einbeziehung aller Leute, die sich dafür interessieren, gegeben.
Für die neu aufgeflammte Diskussion in Deutschland hat Karl Blümel kein Verständnis. Den deutschen Bildungspolitikern empfiehlt er Standhaftigkeit.
Irgendwann muss eine Entscheidung getroffen werden, und man muss auch dazu sagen: Es ist unmöglich, eine Rechtschreibung zu finden, die es allen Recht macht.
In einer 13. Klasse:
Also mir ist es eigentlich ziemlich egal, ob die Verlage jetzt ihre Bücher in neuer oder in alter Rechtschreibung rausgeben, wenn man sie versteht, dann versteht man sie und wenn man sie nicht versteht, dann versteht man sie eben nicht, da macht die Rechtschreibung keinen Unterschied, denke ich.
Juliane: Ich merke da ehrlich gesagt keinen Unterschied zwischen, also ich weiß nicht genau was die Unterschiede zwischen alter und neuer Rechtschreibung ist, ich schreibe das immer irgendwie und meistens ist es dann richtig, das einzige was mir auch aufgefallen ist, ist mit dem ss und dem scharfen s, aber das andere fällt mir nicht auf.
Fabian: Ich weiß eigentlich noch immer nicht, ob ich Fluss mit ss oder ß schreibe, keine Ahnung.
Annika: Als ich gehört habe der Duden soll vielleicht auch wieder zurückgehen, da habe ich mir gedacht, oder die Lexikas, das es eigentlich wieder Geldmacherei ist, dass Sachen wieder neu gekauft werden müssen.
Schülerinnen und Schüler eines Deutsch-Leistungskurses am Kölner Lessing-Gymnasium. Sie waren gerade auf die weiterführende Schule gewechselt, als Mitte der 90er Jahre plötzlich die alte Rechtschreibung nicht mehr galt und sie umlernen mussten. Schwierigkeiten habe es dabei jedoch kaum gegeben.
Jenny: Ich kann mich jetzt nicht mehr ganz genau daran erinnern, wann die jetzt eingeführt wurde, ich weiß nur, dass wir ein zwei Stunden mal grob alles durchgesprochen haben und seither wurde es uns überlassen, wie wir schreiben wollen am besten immer nach der neuen Rechtschreibung, aber sonst war es offen.
Inga: Wir haben vielleicht eine Stunde dazu verwendet überhaupt die neue Rechtschreibung durchzugehen, deswegen hat man das gar nicht so richtig mitbekommen und die Unterschiede, die hat man einfach so durchs Lesen, sich selber beigebracht.
So einfach und unspektakulär kann die Umstellung der Rechtschreibung offenbar bewerkstelligt werden. alles eine Frage des Alters? Denn während die Schüler die aktuelle Debatte kaum zur Kenntnis nehmen, wehren sich vor allem die etablierten Kulturschaffenden gegen jede Änderung. Dafür hat auch Deutschlehrerin Gabriele Deylitz kein Verständnis, obwohl sie zugibt, mit der Umstellung erheblich größere Schwierigkeiten als ihre Schülerinnen und Schüler gehabt zu haben.
Das war für mich gar nicht so einfach, denn ich musste ständig nachschlagen, im Duden nachschlagen, in verschiedenen Wörterbüchern, das muss ich heute noch, weil ich manchmal gar nicht weiß, hast du noch die alte Rechtschreibung im Kopf oder ist das die neue? Wenn ich Schülerarbeiten nachgucke, muss ich mich ständig vergewissern, es ist sehr zeitaufwändig und nicht gewinnbringend, also ich fand die alte Rechtschreibung nicht schwieriger als die neue, muss ich sagen.
Trotzdem kann die Pädagogin dem Regelwerk auch Positives abgewinnen.
Es gibt eine Veränderung, die ich ganz sinnvoll fand, also die einheitliche Regelung, dass nach kurzen betonten Vokalen Doppel-S steht, nach langen Vokalen scharfes S, ich fand, dass konnte man sich ganz gut merken und das war vielleicht eine Erleichterung, aber alles andere: ob man nun Ortografie mit f schreibt, oder das schöne ph beibehält, das aus dem Griechischen kommt oder das mit th schreibt, dann zeigt man schon noch, dass man ein bisschen gebildet ist, wenn man das weiß, aber was soll's, also ich finde das alles nicht so wichtig.
Mehr Gelassenheit also fordert Gabriele Deylitz von allen Beteiligten. Doch die ist weit und breit nicht in Sicht. Weil einige Verlage jetzt das Rad zurückdrehen und die Reform blockieren, droht eine missliche Situation: mehrere Rechtschreibungen existieren nebeneinander. Matthias Wermke, Leiter der Duden-Redaktion und damit gewissermaßen oberster Hüter der deutschen Orthografie, findet das allerdings gar nicht so schlimm.
Wir sind in der Tat in einer Umbruchsituation, in der es ganz selbstverständlich ist, dass wir ein Rechtschreib-Gemenge aus alten und neuen Schreibungen oder womöglich aus Miss-Schreibungen haben. Das ist eine Phase, die sicherlich noch einige Jahre anhalten wird. Schon deshalb, weil sich viele Ältere nicht so ohne weiteres von heute auf morgen auf eine neue Rechtschreibregelung umstellen werden. Und das muss ja auch gar nicht sein.
Verbindliche Regeln hält Deutschlehrerin Gabriele Deylitz trotzdem für sinnvoll.
Eine einheitliche Rechtschreibung ist einfach wichtig, um festzustellen, was jemand meint, wenn er etwas schreibt, wenn jeder so schriebe wie er wollte, dann gäbe es also sehr sehr große Verständnisprobleme und ich denke Sprache, Schrift ist ja ein Kulturgut, das alle haben sollten, über das verfügen sollten und das schafft einfach eine Einigung auch unter den unterschiedlichsten Benutzern einer Sprache, in sofern finde ich das wichtig.
Was mich wundert ist, dass die Deutschen so viel Aufhebens um ihre Rechtschreibung machen, ich denke die Engländer hätten viel mehr Grund dazu, die englische Rechtschreibung ist sehr schwierig, die französische ist auch relativ schwierig und die machen gar keine Anstalten irgend etwas zu verändern also für mich wird da sehr viel Bohai um eine Sache gemacht, die eigentlich so schwierig gar nicht ist.
Auch wenn die Schüler die Umstellung nicht großartig bemerken, sehen sie doch, dass es Verwirrung mit den unterschiedlichen Schreibweisen geben könnte. Die 18jährige Annika:
Annika: Ich finde für die Deutschen ist es relativ egal, aber wenn man jetzt als Ausländer die Sprache lernen soll, dann kriegt man halt vier verschiedene Vokabeln für ein Wort und man darf sie alle benutzen und findet keine Regelung.
Ein Deutschkurs in einer Kölner Sprachenschule. 13 junge Ausländer aus allen Teilen der Erde sitzen in einem Klassenzimmer und kämpfen allmorgendlich mit den Fallstricken der deutschen Sprache.
Lehrer: Es kann mit sch geschrieben werden, aber erlaubt ist ch.
Verwirrtes Schweigen und fragende Blicke bei den Kursteilnehmern. So viele Optionen, und sogar für die Ausnahmen gibt es feste Regeln. Kursleiter Wolfgang Habel sieht darin durchaus eine Besonderheit der deutschen Sprache.
Die Deutschen sind besonders regelversessen. Das hat so zu sein! Das ist immer so gewesen! Dafür gibt es die oder jene Regel, darauf möchte man nicht verzichten.
Strenge Regeln – typisch deutsch? So falsch sei diese Gleichstellung gar nicht, meint der Hamburger Sprach- und Erziehungswissenschaftler Heiko Balhorn.
Wer nämlich mit h schreibt ist dämlich. Das ist natürlich ganz sicher nicht richtig, aber es zeigt auch, wie wir die Rechtschreibung verstehen. Nämlich als Instrument, mit dem auch Kinder gedemütigt werden, also assoziiert werden mit Dummheit. Wir haben eine Orthografie, die das Lesen erleichtert; die Konstanz der Schreibung und die Präzision der Regeln machen es möglich, dass der Leser - an den wir uns ja wenden, wenn wir schreiben - schnell den Sinn erfasst.
Dieser sinnvolle Gebrauch von Regeln gehe aber in Deutschland einher mit einer fast schon religiösen Verklärung formeller Vorschriften. Heiko Balhorn findet diese strenge Regelauslegung gerade im Schulunterricht völlig unangemessen.
Die Frage, welche Bedeutung Regeln haben, ist eindeutig zu beantworten. Wir können den Kindern nicht die Regeln sagen und dann schreiben sie richtig. Sondern sie schreiben und entwickeln dabei intuitiv in einem eigen-aktiven Prozess die Regeln, denen sie folgen, die sie dann - wie auch wir Erwachsenen - häufig gar nicht mehr kennen, gar nicht formulieren können. Also, explizite Regeln habe ne ganz kleine Bedeutung.
Weniger dogmatisch und eher spielerisch sollte mit Rechtschreibregeln nicht nur im Schulunterricht umgegangen werden, sondern auch in der öffentlichen Diskussion, meint der Erziehungswissenschaftler.
In der Öffentlichkeit sind es aber gerade diese Regeln, die derzeit heiß diskutiert werden. Ob sich Kultusminister von der hitzig geführten Debatte auf ihrer Tagung Mitte Oktober beeindrucken lassen, ist ungewiss. Und wenn es nach dem Vorsitzenden der Zwischenstaatlichen Kommission, Karl Blümel ginge, dann wäre ohnehin klar, dass es beim vorgesehenen Zeitplan bleibt und die Regeländerungen Mitte 2005 verbindlich werden. Denn Reformbedarf gebe es noch immer:
Das entscheidende Kriterium war, dass seit dem letztgültigen Regelwerk, das 1901 bzw. 1902 erlassen wurde, sich ein ziemlicher Wildwuchs an Regeln, Ausnahmen, Unterregeln ergeben hat, so dass es notwendig war, das wieder einmal anzupassen, so dass jemand, der die Regeln kann, mit größter Wahrscheinlichkeit auch richtig schreibt und nicht damit rechnen muss, dass 40 Prozent Ausnahmeregelungen sind.
Blümel hofft, die Minister mit einer Doppelstrategie zu überzeugen: Einerseits will er die zahlreichen orthografischen Ausnahmen radikal zusammenstreichen, andererseits die Rechtschreibung aber auch liberaler gestalten. Dahinter steckt die Einsicht, dass Sprache lebt und sich verändert.
Wenn es sinnvoll ist, wenn es möglich ist, etwas nicht genau festzulegen, dann haben wir diese Möglichkeit offen gelassen. Im Sinne einer Weiterentwicklung der Orthografie, so wie es ja in vielen Bereichen seit eh und je geschieht. Das heißt, man bietet zwei Möglichkeiten, die beide an sich richtig sind, und die Schreibgemeinschaft entscheidet dann in Laufe der Zeit, welche der beiden die bevorzugte Schreibung ist.
Für diese Strategie gebe es bereits überzeugende Beispiele:
Gerade bei Fremdwörtern gibt es keinen Punkt, wo man sagen kann: So wird das jetzt geschrieben. Sondern das ist eine reine Entwicklungssache: Je stärker ein Wort in die deutsche Sprache integriert wird, desto stärker passt es sich auch an die deutsche Schreibung an. Denken sie an die Entwicklung des Wortes Büro: Das ist ursprünglich natürlich Bureau geschrieben worden. Aber je länger es im Deutschen verwendet wurde, desto stärker ist es in der Schreibung an deutsche Schreibung angepasst worden. Und heute schreibt jeder Büro: Mit ü und o.
Alles eine Frage der Gewohnheit. Karl Blümel hofft, dass auch die Kultusminister sich längst an die neue Rechtschreibung gewöhnt haben und bei ihrer Tagung im Saarland fest zu den vereinbarten Reformen stehen. Denn trotz aller Widerstände sieht der Wiener Stadtschulrat Erfolge bei seinem Reformprojekt, zumal in den anderen deutschsprachigen Ländern Österreich und Schweiz die Änderungen im Regelwerk überhaupt nicht in Frage gestellt werden.
Im Wesentlichen beginnt sich die neue Rechtschreibung in der Öffentlichkeit durchzusetzen.
Karl Blümel weiß aber auch, dass Politiker unter dem Druck der öffentlichen Diskussion mitunter zu schnellen Meinungswechseln neigen. Entsprechend gespannt schaut Blümel auf die bevorstehende Entscheidung der deutschen Kultusminister – wie auch Deutschlehrerin Gabriele Deylitz, die zwar hofft, dass die neuen Regeln weiter gültig sind, die aber auch eine komplette Rücknahme der neuen Rechtschreibregeln für möglich hält.
Das wäre der Lacherfolg des Jahrhunderts, es ist so viel Geld, so viel Arbeit, so viel Zeit, so viel Mühe investiert worden, auch so viel Grips im Grunde genommen, wenn man im Nachhinein erklärt, das war alles nichts, das ist die Blamage.
Lehrerin: Wer weiß noch was dazu?
Schüler: Das ist nach dem Alphabet geordnet.
Deutschunterricht in einer dritten Grundschulklasse in Wermelskirchen bei Köln. Schreibt man "kennenlernen" zusammen? Wie wird "Bäcker" getrennt? Wie viele F's gibt es in "Schifffahrt"? Fragen, die die 8jährigen mit Hilfe eines Wörterbuchs zu lösen versuchen. Und sie kennen jede Menge schwierige Wörter.
Kinder: Xylophon. Weil, da merkt man nicht so das H. Hört man nicht so das H.
Donnerwetter. Weil da ja auch doppelte Buchstaben kommen.
Konstruieren. Das ist eigentlich schwer zu schreiben.
Eines der Probleme: Die richtige Trennung von längeren Wörtern. Im Zuge der Rechtschreibreform kommt dabei eine alte Methode wieder zu neuen Ehren: Rhythmisches Klatschen gibt den Kindern einen Hinweis darauf, an welcher Stelle ein Wort getrennt werden kann.
Mit der neuen Rechtschreibung, sagt Klassenlehrerin Silke Lindhorst, sei es leichter geworden, den Kindern die Grundregeln der Orthografie beizubringen.
Ich glaube für die Kinder ist das keine große Umstellung, ich glaube für die Erwachsenen ist das schwierig, weil die vorher richtig schreiben gelernt haben, für die Kinder, die lernen dann andere Regeln und gewöhnen sich auch erst mal daran. Einiges ist bestimmt einfacher geworden, weil es logischer geworden ist.
Wir haben jetzt einige Jahre danach gearbeitet in der Schule, ganz abgesehen von dem finanziellen Aspekt, jetzt wieder alle Bücher neu anzuschaffen, finde ich das sinnvoll und weniger verwirrend, vielleicht müsste man es den Erwachsenen noch mal erklären, damit die sich auch damit anfreunden können.
Zufriedenheit an der Basis, aber Rumoren in den oberen Etagen. Während die Umstellung in den Schulen problemlos vollzogen wurde, haben sich Schriftsteller und etliche Medienmacher auf die Reform eingeschossen und würden sie am liebsten zu Fall bringen. Ihre Hauptvorwürfe: unlogische Neuerungen, keine Vereinfachungen für die Schüler, mehr Ausnahmen als zuvor und eine obrigkeitsgeleitete Reformwut. Einer der vehementesten Kritiker ist der Kulturjournalist Thomas Steinfeld. Er hält die Rechtschreibreform für die "dümmste aller Bildungsreformen".
Wir haben seit dem 1. August 1999 keine einheitliche Rechtschreibung mehr, das ist die eigentliche Leistung der Reform.
Steinfeld war bis Ende der 90er Jahre Feuilleton-Chef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er sich 1998, zwei Jahre nach Verkündung der Reform, für eine Rückkehr zu den alten Rechtschreibregeln einsetzte. Steinfeld erinnert sich.
Wir mussten sehr schnell die Erfahrung machen, dass es die Einheit der deutschen Schriftsprache nach der Reform nicht mehr gibt. Das sehe ich ja täglich an den hereinkommenden Manuskripten, an den Artikeln, die wir bearbeiten, an den Agenturmeldungen, die wir übernehmen. Nach einem Jahr haben wir gesagt: Das ist uns alles zu doof, das machen wir nicht mehr mit, wir kehren zur alten Rechtschreibung zurück.
Heute ist Steinfeld leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Kein Wunder also, dass die SZ Mitte September ebenfalls ankündigte, die Rechtschreibreform rückgängig zu machen. Mit ihm Boot der Reformverweigerer sitzen außerdem der Springer-Verlag mit seinem Boulevard-Blatt Bild und das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Übermorgen wird die Bild am Sonntag erstmals wieder in alter Rechtschreibung erscheinen, Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust will in wenigen Wochen nachziehen.
Jede Redaktion, wir auch, haben uns im Grunde unsere eigene Version der Rechtschreibreform gemacht. Die ZEIT hat eine eigene gemacht, im Grunde haben alle Redaktionen eine eigene Rechtschreibung. Es ist jetzt höchste Zeit, bevor dieser Unsinn verbindlich wird, diese staatlich verordnete Legasthenie aufzugeben.
Mit ihrer PR-Aktion wollen die Medienmacher gezielt die Kultusminister der Länder unter Druck setzen. Die treffen sich nämlich Mitte Oktober in Mettlach im Saarland. Eigentlich wollten sie auf ihrer Sitzung die verbindliche und bundesweite Einführung der neuen Rechtschreibung zum nächsten Schuljahr beschließen. Doch der vor acht Jahren aushandelte Reformkonsens steht schon wieder auf der Kippe. Niedersachsen drohte am vergangenen Wochenende mit dem Austritt aus der Kultusministerkonferenz. Für Ministerpräsident Christian Wulff ist das die letzte Möglichkeit, die von ihm bekämpfte Rechschreibreform noch zu stoppen.
Bei keinem anderen Thema hab ich soviel Ignoranz der Beteiligten erlebt. Es gab von Anfang an keine Bereitschaft bei bestimmten eingesetzten Experten, auch darüber nachzudenken, es bei der bisherigen Fortschreibung der deutschen Sprache zu belassen. Diese Experten haben sich dann verselbständigt und wollten am Ende ein Lebenswerk schaffen, dass angeblich dazu führen würde, dass die Deutschen besser mit ihrer Rechtschreibung klarkämen. Und da kann man doch nun heute wirklich sagen: Dies ist überhaupt nicht erreicht worden.
Wulffs Ausstiegsdrohungen sorgen bei der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, der rheinland-pfälzischen Schulministerin Doris Ahnen, für Verwunderung.
Das Kerngeschäft der Kultusministerkonferenz ist die Sicherung von Qualität im Bildungswesen sowie von Vergleichbarkeit gegenseitiger Anerkennung und Mobilität, das sind ausgesprochen wichtige Aufgaben, und insofern kann ich diesen spektakulären Schritt von Herrn Wulff überhaupt nicht verstehen.
Zwar hält Doris Ahnen einerseits an dem beschlossenen Zeitplan der Kultusministerkonferenz zur verbindlichen Einführung der neuen Regeln im nächsten Sommer fest. Andererseits setzt sie sich leicht, aber unübersehbar von der neuen Rechtschreibung ab, indem sie die inhaltliche Verantwortung für die neue Rechtschreibung weit von sich weist.
Die Rechtschreibreform ist nicht von Ministerinnen und Ministern, die da gesessen haben und sich die Worte überlegt haben und auch nicht primär von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Sekretariats entwickelt worden, sondern von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Ich meine, dass sich die Rechtschreibreform im Grunde bewährt hat, vor allem lernt eine Vielzahl von Schülerinnen und Schülern, seit Anfang 1990 danach, darüber hinaus müssen wir sicherlich die Einheitlichkeit im deutschsprachigen Raum insbesondere auch mit Österreich und der Schweiz berücksichtigen, und in sofern ist aus meiner Sicht der Weg, den wir gegangen sind, vernünftig.
Einer, der sich mit dem organisatorischen und inhaltlichen Vorlauf der Reform gut auskennt, ist Karl Blümel. Im Hauptberuf ist er Stadtschulrat in Wien, nebenher leitet er aber auch die so genannte Zwischenstaatlichen Kommission, die die Regularien der Rechtschreibreform zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgehandelt hat.
Also, für Österreich kann ich das mit prozentiger Sicherheit sagen, dass wir lange, bevor die Rechtschreibreform in Kraft getreten ist, also vor 1996, in hunderten Veranstaltungen an Schulen, in der Öffentlichkeit waren, und das heftig diskutiert haben. Also, es ist nicht so, dass da ein paar sich im geheimen Kämmerchen hingesetzt hätten und das jetzt schnell zusammengestellt hätten, sondern dem sind lange, lange Jahre - ich selbst verbringe seit 30 Jahren etwa meine Freizeit mit der Rechtschreibreform - da hat es immer wieder lange Diskussionen unter Einbeziehung aller Leute, die sich dafür interessieren, gegeben.
Für die neu aufgeflammte Diskussion in Deutschland hat Karl Blümel kein Verständnis. Den deutschen Bildungspolitikern empfiehlt er Standhaftigkeit.
Irgendwann muss eine Entscheidung getroffen werden, und man muss auch dazu sagen: Es ist unmöglich, eine Rechtschreibung zu finden, die es allen Recht macht.
In einer 13. Klasse:
Also mir ist es eigentlich ziemlich egal, ob die Verlage jetzt ihre Bücher in neuer oder in alter Rechtschreibung rausgeben, wenn man sie versteht, dann versteht man sie und wenn man sie nicht versteht, dann versteht man sie eben nicht, da macht die Rechtschreibung keinen Unterschied, denke ich.
Juliane: Ich merke da ehrlich gesagt keinen Unterschied zwischen, also ich weiß nicht genau was die Unterschiede zwischen alter und neuer Rechtschreibung ist, ich schreibe das immer irgendwie und meistens ist es dann richtig, das einzige was mir auch aufgefallen ist, ist mit dem ss und dem scharfen s, aber das andere fällt mir nicht auf.
Fabian: Ich weiß eigentlich noch immer nicht, ob ich Fluss mit ss oder ß schreibe, keine Ahnung.
Annika: Als ich gehört habe der Duden soll vielleicht auch wieder zurückgehen, da habe ich mir gedacht, oder die Lexikas, das es eigentlich wieder Geldmacherei ist, dass Sachen wieder neu gekauft werden müssen.
Schülerinnen und Schüler eines Deutsch-Leistungskurses am Kölner Lessing-Gymnasium. Sie waren gerade auf die weiterführende Schule gewechselt, als Mitte der 90er Jahre plötzlich die alte Rechtschreibung nicht mehr galt und sie umlernen mussten. Schwierigkeiten habe es dabei jedoch kaum gegeben.
Jenny: Ich kann mich jetzt nicht mehr ganz genau daran erinnern, wann die jetzt eingeführt wurde, ich weiß nur, dass wir ein zwei Stunden mal grob alles durchgesprochen haben und seither wurde es uns überlassen, wie wir schreiben wollen am besten immer nach der neuen Rechtschreibung, aber sonst war es offen.
Inga: Wir haben vielleicht eine Stunde dazu verwendet überhaupt die neue Rechtschreibung durchzugehen, deswegen hat man das gar nicht so richtig mitbekommen und die Unterschiede, die hat man einfach so durchs Lesen, sich selber beigebracht.
So einfach und unspektakulär kann die Umstellung der Rechtschreibung offenbar bewerkstelligt werden. alles eine Frage des Alters? Denn während die Schüler die aktuelle Debatte kaum zur Kenntnis nehmen, wehren sich vor allem die etablierten Kulturschaffenden gegen jede Änderung. Dafür hat auch Deutschlehrerin Gabriele Deylitz kein Verständnis, obwohl sie zugibt, mit der Umstellung erheblich größere Schwierigkeiten als ihre Schülerinnen und Schüler gehabt zu haben.
Das war für mich gar nicht so einfach, denn ich musste ständig nachschlagen, im Duden nachschlagen, in verschiedenen Wörterbüchern, das muss ich heute noch, weil ich manchmal gar nicht weiß, hast du noch die alte Rechtschreibung im Kopf oder ist das die neue? Wenn ich Schülerarbeiten nachgucke, muss ich mich ständig vergewissern, es ist sehr zeitaufwändig und nicht gewinnbringend, also ich fand die alte Rechtschreibung nicht schwieriger als die neue, muss ich sagen.
Trotzdem kann die Pädagogin dem Regelwerk auch Positives abgewinnen.
Es gibt eine Veränderung, die ich ganz sinnvoll fand, also die einheitliche Regelung, dass nach kurzen betonten Vokalen Doppel-S steht, nach langen Vokalen scharfes S, ich fand, dass konnte man sich ganz gut merken und das war vielleicht eine Erleichterung, aber alles andere: ob man nun Ortografie mit f schreibt, oder das schöne ph beibehält, das aus dem Griechischen kommt oder das mit th schreibt, dann zeigt man schon noch, dass man ein bisschen gebildet ist, wenn man das weiß, aber was soll's, also ich finde das alles nicht so wichtig.
Mehr Gelassenheit also fordert Gabriele Deylitz von allen Beteiligten. Doch die ist weit und breit nicht in Sicht. Weil einige Verlage jetzt das Rad zurückdrehen und die Reform blockieren, droht eine missliche Situation: mehrere Rechtschreibungen existieren nebeneinander. Matthias Wermke, Leiter der Duden-Redaktion und damit gewissermaßen oberster Hüter der deutschen Orthografie, findet das allerdings gar nicht so schlimm.
Wir sind in der Tat in einer Umbruchsituation, in der es ganz selbstverständlich ist, dass wir ein Rechtschreib-Gemenge aus alten und neuen Schreibungen oder womöglich aus Miss-Schreibungen haben. Das ist eine Phase, die sicherlich noch einige Jahre anhalten wird. Schon deshalb, weil sich viele Ältere nicht so ohne weiteres von heute auf morgen auf eine neue Rechtschreibregelung umstellen werden. Und das muss ja auch gar nicht sein.
Verbindliche Regeln hält Deutschlehrerin Gabriele Deylitz trotzdem für sinnvoll.
Eine einheitliche Rechtschreibung ist einfach wichtig, um festzustellen, was jemand meint, wenn er etwas schreibt, wenn jeder so schriebe wie er wollte, dann gäbe es also sehr sehr große Verständnisprobleme und ich denke Sprache, Schrift ist ja ein Kulturgut, das alle haben sollten, über das verfügen sollten und das schafft einfach eine Einigung auch unter den unterschiedlichsten Benutzern einer Sprache, in sofern finde ich das wichtig.
Was mich wundert ist, dass die Deutschen so viel Aufhebens um ihre Rechtschreibung machen, ich denke die Engländer hätten viel mehr Grund dazu, die englische Rechtschreibung ist sehr schwierig, die französische ist auch relativ schwierig und die machen gar keine Anstalten irgend etwas zu verändern also für mich wird da sehr viel Bohai um eine Sache gemacht, die eigentlich so schwierig gar nicht ist.
Auch wenn die Schüler die Umstellung nicht großartig bemerken, sehen sie doch, dass es Verwirrung mit den unterschiedlichen Schreibweisen geben könnte. Die 18jährige Annika:
Annika: Ich finde für die Deutschen ist es relativ egal, aber wenn man jetzt als Ausländer die Sprache lernen soll, dann kriegt man halt vier verschiedene Vokabeln für ein Wort und man darf sie alle benutzen und findet keine Regelung.
Ein Deutschkurs in einer Kölner Sprachenschule. 13 junge Ausländer aus allen Teilen der Erde sitzen in einem Klassenzimmer und kämpfen allmorgendlich mit den Fallstricken der deutschen Sprache.
Lehrer: Es kann mit sch geschrieben werden, aber erlaubt ist ch.
Verwirrtes Schweigen und fragende Blicke bei den Kursteilnehmern. So viele Optionen, und sogar für die Ausnahmen gibt es feste Regeln. Kursleiter Wolfgang Habel sieht darin durchaus eine Besonderheit der deutschen Sprache.
Die Deutschen sind besonders regelversessen. Das hat so zu sein! Das ist immer so gewesen! Dafür gibt es die oder jene Regel, darauf möchte man nicht verzichten.
Strenge Regeln – typisch deutsch? So falsch sei diese Gleichstellung gar nicht, meint der Hamburger Sprach- und Erziehungswissenschaftler Heiko Balhorn.
Wer nämlich mit h schreibt ist dämlich. Das ist natürlich ganz sicher nicht richtig, aber es zeigt auch, wie wir die Rechtschreibung verstehen. Nämlich als Instrument, mit dem auch Kinder gedemütigt werden, also assoziiert werden mit Dummheit. Wir haben eine Orthografie, die das Lesen erleichtert; die Konstanz der Schreibung und die Präzision der Regeln machen es möglich, dass der Leser - an den wir uns ja wenden, wenn wir schreiben - schnell den Sinn erfasst.
Dieser sinnvolle Gebrauch von Regeln gehe aber in Deutschland einher mit einer fast schon religiösen Verklärung formeller Vorschriften. Heiko Balhorn findet diese strenge Regelauslegung gerade im Schulunterricht völlig unangemessen.
Die Frage, welche Bedeutung Regeln haben, ist eindeutig zu beantworten. Wir können den Kindern nicht die Regeln sagen und dann schreiben sie richtig. Sondern sie schreiben und entwickeln dabei intuitiv in einem eigen-aktiven Prozess die Regeln, denen sie folgen, die sie dann - wie auch wir Erwachsenen - häufig gar nicht mehr kennen, gar nicht formulieren können. Also, explizite Regeln habe ne ganz kleine Bedeutung.
Weniger dogmatisch und eher spielerisch sollte mit Rechtschreibregeln nicht nur im Schulunterricht umgegangen werden, sondern auch in der öffentlichen Diskussion, meint der Erziehungswissenschaftler.
In der Öffentlichkeit sind es aber gerade diese Regeln, die derzeit heiß diskutiert werden. Ob sich Kultusminister von der hitzig geführten Debatte auf ihrer Tagung Mitte Oktober beeindrucken lassen, ist ungewiss. Und wenn es nach dem Vorsitzenden der Zwischenstaatlichen Kommission, Karl Blümel ginge, dann wäre ohnehin klar, dass es beim vorgesehenen Zeitplan bleibt und die Regeländerungen Mitte 2005 verbindlich werden. Denn Reformbedarf gebe es noch immer:
Das entscheidende Kriterium war, dass seit dem letztgültigen Regelwerk, das 1901 bzw. 1902 erlassen wurde, sich ein ziemlicher Wildwuchs an Regeln, Ausnahmen, Unterregeln ergeben hat, so dass es notwendig war, das wieder einmal anzupassen, so dass jemand, der die Regeln kann, mit größter Wahrscheinlichkeit auch richtig schreibt und nicht damit rechnen muss, dass 40 Prozent Ausnahmeregelungen sind.
Blümel hofft, die Minister mit einer Doppelstrategie zu überzeugen: Einerseits will er die zahlreichen orthografischen Ausnahmen radikal zusammenstreichen, andererseits die Rechtschreibung aber auch liberaler gestalten. Dahinter steckt die Einsicht, dass Sprache lebt und sich verändert.
Wenn es sinnvoll ist, wenn es möglich ist, etwas nicht genau festzulegen, dann haben wir diese Möglichkeit offen gelassen. Im Sinne einer Weiterentwicklung der Orthografie, so wie es ja in vielen Bereichen seit eh und je geschieht. Das heißt, man bietet zwei Möglichkeiten, die beide an sich richtig sind, und die Schreibgemeinschaft entscheidet dann in Laufe der Zeit, welche der beiden die bevorzugte Schreibung ist.
Für diese Strategie gebe es bereits überzeugende Beispiele:
Gerade bei Fremdwörtern gibt es keinen Punkt, wo man sagen kann: So wird das jetzt geschrieben. Sondern das ist eine reine Entwicklungssache: Je stärker ein Wort in die deutsche Sprache integriert wird, desto stärker passt es sich auch an die deutsche Schreibung an. Denken sie an die Entwicklung des Wortes Büro: Das ist ursprünglich natürlich Bureau geschrieben worden. Aber je länger es im Deutschen verwendet wurde, desto stärker ist es in der Schreibung an deutsche Schreibung angepasst worden. Und heute schreibt jeder Büro: Mit ü und o.
Alles eine Frage der Gewohnheit. Karl Blümel hofft, dass auch die Kultusminister sich längst an die neue Rechtschreibung gewöhnt haben und bei ihrer Tagung im Saarland fest zu den vereinbarten Reformen stehen. Denn trotz aller Widerstände sieht der Wiener Stadtschulrat Erfolge bei seinem Reformprojekt, zumal in den anderen deutschsprachigen Ländern Österreich und Schweiz die Änderungen im Regelwerk überhaupt nicht in Frage gestellt werden.
Im Wesentlichen beginnt sich die neue Rechtschreibung in der Öffentlichkeit durchzusetzen.
Karl Blümel weiß aber auch, dass Politiker unter dem Druck der öffentlichen Diskussion mitunter zu schnellen Meinungswechseln neigen. Entsprechend gespannt schaut Blümel auf die bevorstehende Entscheidung der deutschen Kultusminister – wie auch Deutschlehrerin Gabriele Deylitz, die zwar hofft, dass die neuen Regeln weiter gültig sind, die aber auch eine komplette Rücknahme der neuen Rechtschreibregeln für möglich hält.
Das wäre der Lacherfolg des Jahrhunderts, es ist so viel Geld, so viel Arbeit, so viel Zeit, so viel Mühe investiert worden, auch so viel Grips im Grunde genommen, wenn man im Nachhinein erklärt, das war alles nichts, das ist die Blamage.