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Besuch im Menschenmuseum

Zwei sehr unterschiedliche Deutungen menschlichen Desasters und möglicher Auswege aus der Krise bieten Staffan Valdemar Holms Inszenierung von Ibsens "Peer Gynt" und Kevin Rittbegers Fortschreibung von Voltaires "Candide".

Von Karin Fischer |
    Peer Gynt und seine Mutter Aase treffen im Museum aufeinander. Die beweglichen Wände sind mit großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien behängt, wobei die hellen Grautöne überwiegen. Eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst, gegenüber im K20 oft zu sehen. Dieser Theaterabend, so scheint es, ist ein Gang durchs Menschenmuseum, auch wenn sich erst sehr spät erschließt, was Regisseur Staffan Valdemar Holm und seine Bühnenbildnerin Bente Lykke Moller mit diesem abstrakten Setting wollten. Doch Abstraktion und ein großer Kunstwille ziehen sich durch die ganze Inszenierung, in der Welten aufeinanderprallen, als die Dorfgesellschaft ganz in Schwarz, bäuerliche Festtagskleidung vom Beginn des 19. Jahrhunderts, die Frauen mit Kopftuch, die Männer in steifen Hüten, zum Hochzeitsfest zusammenlaufen.

    Es sind aber keine Welten, die hier entstehen, nur Sprechflächen in Schwarz-Weiß. Eine stocksteife Gesellschaft, deren Gesetz und Freiheit der ritualisierte Tanz und das Gebetbuch sind. Die Trolle gleichen dieser Gesellschaft übrigens aufs Haar, nur ergänzt durch dicke Brillen und lange Schwänze. Die schwedische Choreografin Jeannette Langert hat ihnen ein aberwitziges Grimassenballett ins Gesicht erfunden, das später nur noch von der Beinpantomime der vollverschleierten Anitra in der Wüste übertroffen wird. Wie es überhaupt hinreißend funkelnde Szenen aus Sprachwitz und Körpertheater einzelner Spieler zu sehen gibt. Doch letztlich strandet Staffan Valdemar Holm irgendwo zwischen Witz und theatraler Pose, zwischen performativer Lust und Kunstlogik.

    In seiner Welt der überdeutlichen Zeichen - Solveig trägt einen grünen Kranz im Haar - ist Peer konsequent als Außenseiter inszeniert. Olaf Johannessen, rein äußerlich eine perfekte Mischung aus Daniel Craig und David Bennent, blond, barhäuptig und im Norwegerpullover, hat von geiler Egomanie bis zu spitzbübischer Koketterie und Gewalt alle einfachen Männer-Mittel drauf.

    Die Frauen, die er sich nimmt, sind Teil eines aus verletztem Stolz und phantasmagorischer Selbstüberschätzung gespeisten Testosteronprogramms, das dann, brutaler und ökonomisch effizienter, mit Sklaven, Kaffee, Gold in Afrika und der neuen Welt fortgesetzt wird. Dieser Mann erreicht viel, nur nie sich selbst. Er bleibt undeutlich wie die Grautöne der Fotografien an der Wand. Soweit die einfache Botschaft des häufig zelebriert und zäh wirkenden dreieinhalbstündigen Abends. Ibsens Verse und die überdeutliche Artikulation aller Beteiligten sind sicher bewusstes Gegenprogramm zum Alltagston zeitgenössischer Inszenierungen. Jede Emotionalität wird so aber erstickt. Im zweiten Teil wird der Abend leichter, abwechslungsreicher, verschmitzter auch. Und wartet mit einer umwerfenden Schlussszene auf. Endlich passiert etwas! Und nicht weniger als die Umdeutung der süßlichen Versöhnung bei Ibsen.

    Am Abend vorher, im Kleinen Haus, war zu besichtigen, was Staffan Valdemar Holms Stärken als Intendant ausmachten: Spielformen zuzulassen, die nicht seine sind, die am Schauspielhaus so noch nicht zu sehen waren, und die Bühne damit anzudocken an aktuelle Diskurse. Kevin Rittberger hat ein interessantes Experiment gemacht, auch eine Art "Überschreibung" eines alten Textes. Er fängt an, wo Voltaires "Candide” aufhört, auf dem Acker am Bosporus. Eine kleine Gruppe, die - nur eben heute - auch schon alles gesehen hat, Krieg, Vergewaltigung, Menschenhandel, Ausbeutung, und die versucht, dem etwas entgegenzusetzen, neue Wege zu finden. "Candide - Acting in Concert” bezieht dabei das offene, suchende Verfahren des Düsseldorfer Künstlers Christian Jendreiko aufs Theater. Autor und Regisseur Kevin Rittberger hat keinen Text, sondern ein "Aktionslibretto” verfasst, das eine Mischung ist aus Selbstverständigungsbotschaften, Gesellschaftsanalyse, Re-Enactment und gemeinsamem Musizieren.

    Zwischendurch bleibt Raum und Zeit für einen wunderschönen Tanz von Derwischen, bei dem allein die weit schwingenden Röcke der Seele Flügel zu verleihen scheinen. Rittbergers Botschaft lautet: Schluss mit dem Zynismus! Plädieren wir für eine neue Arg-Losigkeit.
    Zwei Besichtigungen menschlichen Desasters, menschlicher Destruktion und möglicher Auswege aus der Krise also in Düsseldorf. Wobei die im Kleinen Haus wesentlich mehr zu denken gibt.