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Besuchsversuch bei PKK-Chef Öcalan

Vergangenes Wochenende kündigte die türkische Regierung an, noch in diesem Jahr einen neuen Weg zu beschreiten, um den Kurdenkonflikt friedlich beizulegen. Auch der inhaftierte kurdische Rebellenführer Abdullah Öcalan wollte einen Friedensplan vorlegen, doch dazu müsste er mit seinen Anwälten sprechen können.

Von Susanne Güsten | 21.08.2009
    Fünf Uhr morgens am Taksim in Istanbul – um diese Uhrzeit ist es selbst hier auf dem zentralen Platz der sonst so quirligen Millionenstadt noch still. Nur ein Auto wartet mit laufendem Motor, bis der letzte Passagier eingestiegen ist und einen verschlafenen Gruß gemurmelt hat.

    Die Rechtsanwälte von PKK-Chef Abdullah Öcalan sind es, die wie jeden Mittwoch früh zu ihrem wöchentlichen Besuchstermin auf der Gefängnisinsel Imrali aufbrechen. Anwalt Aydin Oruc ist stolz darauf, dass Öcalan in zehn Jahren noch kein einziges Mal vergeblich gewartet hat:

    "Jede Woche fährt jemand hin, zu jedem Termin. Und wenn der Besuchstermin wieder mal verschoben wird von den Behörden, dann fahren wir eben noch mal."

    Denn ob die Anwälte am Besuchstag auch tatsächlich auf die Insel übersetzen können, das hängt immer auch vom Wetter ab. Die Unterhaltung im Auto dreht sich deshalb um Windstärken und Wellengang.

    "Das Meer war gestern ziemlich bewegt."

    Bis Windstärke vier lassen sie uns meist fahren. Ab Windstärke fünf wird es kritisch, obwohl man es nie weiß bei denen."

    Die Rede ist vom Militär, das Öcalan bewacht und die Überfahrt zur Insel kontrolliert. Ob es klappt mit dem Besuchstermin, das erfahren die Anwälte immer erst bei Ankunft in dem Hafenstädtchen Gemlik am südlichen Ufer des Marmara-Meers.

    Bis Gemlik ist es aber noch ein weiter Weg. Unter tiefschwarzem Nachthimmel saust der Renault des Anwaltsteams über die erleuchtete Bosporusbrücke auf die asiatische Seite von Istanbul und windet sich durch das verworrene Netz von Stadtautobahnen seinen Weg aus der Metropole hinaus zum Marmara-Meer. Unterwegs erzählt Anwalt Ömer Günes von dem Gefängnisregime auf der Insel Imrali, wo Abdullah Öcalan von 1000 Soldaten bewacht wird:

    "Imrali untersteht nicht dem Justizministerium, sondern dem Krisenzentrum des Ministerpräsidentenamtes. Es ist das einzige Gefängnis der Welt, in dem nur ein einziger Gefangener lebt. Man kann Imrali mit Guantanamo vergleichen, nur dass es durch die Einzelhaft und Isolation noch härter ist."

    Der Renault erreicht das erste Etappenziel: den Fährhafen am Golf von Izmit, den die Anwälte auf ihrem Weg nach Gemlik überqueren müssen.

    Auf der Überfahrt erzählt Günes, was die Anwälte in Gemlik erwartet:

    "Zunächst werden wir bei der Gendarmerie-Kommandantur durchsucht: mit Metalldetektoren, mit Sprengstoffsuchgeräten und mit Leibesvisitationen. Dann werden wir von Soldaten zum Hafen eskortiert und eingeschifft. 13 solcher Untersuchungen durchlaufen wir an einem Besuchstag: neun auf dem Hinweg zur Insel und vier auf dem Rückweg."

    Zweieinhalb Stunden dauert die Überfahrt vom Militärhafen in Gemlik zur Insel, erzählt Günes, obwohl sie normalerweise in einer knappen Stunde zu schaffen wäre. Denn für die Anwälte hält das Militär nur zwei Seelenverkäufer bereit:

    "Neulich wären wir fast gekentert. Da sind wir mit dem kleineren der beiden Schiffe gefahren, das ist sehr primitiv und in schlechtem Zustand, kaum mehr seetauglich. Als wir schon zehn oder 15 Minuten unterwegs waren, kam plötzlich starker Wind auf. Wenn der Kapitän nicht im letzten Moment scharf abgedreht hätte, wären wir wahrscheinlich gekentert."

    Der Morgen dämmert über dem Marmara-Meer, als die Fähre bei Yalova am südlichen Ufer des Marmara-Meers anlegt.

    Eine letzte Fahrtstunde über eine Bergkette liegt jetzt noch vor den Anwälten, bis sie das Hafenstädtchen Gemlik erreichen.

    Ein letzter Stopp wird noch eingelegt vor Gemlik: eine Frühstückspause an einer Raststätte. Hier gilt es für die Anwälte gut zuzugreifen, denn bis zum Abend gibt es nichts mehr zu essen. Insgesamt fünf Stunden dauert die Überfahrt zur Insel und zurück, eine Stunde das Gespräch mit Öcalan und mehrere Stunden die Durchsuchungen und Wartezeiten in Gemlik. Mitternacht wird es sein, bis die Männer wieder in Istanbul sind – wenn alles gut geht und sie nicht gleich wieder zurückgeschickt werden.