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Bewusstes Brechen mit dem Erfolgsrezept

Es gibt Musiker, die Kunst machen - wie Phoenix aus Versailles. Das Quartett wollte nie reich und berühmt werden, landete aber mit seinem letzten Album "Wolfgang Amadeus Phoenix" einen globalen Bestseller. Deshalb steuert das neue Werk "Bankrupt!" dem auch bewusst entgegen.

Von Marcel Anders | 20.04.2013
    "Wir versuchen einfach, Musik zu machen. Aber plötzlich werden wir wie Superstars behandelt, woran wir ziemlich zu knabbern haben, weil wir das nicht sein wollen. Und weil unsere Songs nicht in Hockeystadien oder Arenen gehören. Dagegen wehren wir uns. Genau wie Künstler, die auf einmal im Kreisverkehr statt in einer Galerie ausgestellt werden. Das ist der Punkt, an dem wir uns befinden. Eben: Wollen wir wirklich so viel Aufmerksamkeit?"

    Die Antwort ist ein klares Nein, das sich auch in den Songs eines Albums niederschlägt, das sich als stilistische Kehrtwende, als Quantensprung und radikale musikalische Neuerfindung versteht. Wie "Kid A" von Radiohead oder "Achtung Baby" von U2 bricht "Bankrupt!" bewusst mit einer Erfolgsformel, um den Weg für die Zukunft zu ebnen. Und nicht auf einen Sound oder eine Identität festgelegt zu sein.

    "So halten wir es eigentlich schon immer. Also wie David Bowie, der auch ständig versucht, sich neu zu erfinden und mit neuen Hilfsmitteln zu arbeiten. Und mittlerweile haben wir alles Nötige zusammengetragen und wollen da einfach eine interessante Beziehung herstellen. Ähnlich, wie es Yves Klein bei seinen Gemälden tut, in denen er nach dem perfekten Blau sucht. Wir sind genauso. Nur, dass wir nach einer Weile genug vom Blau haben und mehr Rot wollen. Und dann merken: Mischt man Blau und Rot, wird es noch blauer. Das sind die kleinen Abenteuer unseres Lebens."

    Diese Abenteuer haben Phoenix während der zweijährigen Aufnahmezeit auf die Spitze getrieben. Zuerst im New Yorker Studio des mittlerweile verstorbenen Beastie Boy Adam Yauch. Dann mit Produzent Philippe Zdar in Paris-Montmartre. Und mit einem Sound, der nichts mehr mit dem netten Indierock der Vergangenheit zu tun hat. Wo einst Gitarre, Bass und Schlagzeug dominierten, findet sich jetzt ein gigantisches Sammelsurium an sündhaft teuren Instrumenten. Michael Jacksons "Thriller"-Mischpult, aber auch skurrilem Spielzeug, das so lange am Computer manipuliert wird, bis das Ergebnis an den sphärischen, futuristischen Elektropop von Air oder Jean Michel Jarre erinnert.

    "Wir bevorzugen Gegensätze. Sprich: Wenn wir ein wunderbares Instrument verwenden, stellen wir ihm bewusst ein hässliches entgegen. Und wir setzen tolle Arrangements lieber auf einem billigen Synthesizer um, als mit einem teuren Orchester. Von dem lassen wir lieber etwas ganz Simples einspielen. Und das sind Sachen, die wir mögen. Denn nur dabei passiert etwas Magisches – bei der Spannung zwischen unterschiedlichen Polen."

    Was für die Musik gilt, die viele Fans auf eine echte Probe stellen dürfte, setzt sich auch in den Texten fort. Die erweisen sich – wie die erste Single "Entertainment" – als zynische Auseinandersetzung mit dem eigenen Erfolg. Oder - mehr als auf jedem bisherigen Phoenix-Album – mit dem eigenen Mikrokosmos. Dazu zählen das Leben zwischen Paris und Hollywood, das Sänger Thomas Mars als Ehemann von Regisseurin Sofia Coppola führt. Aber auch aktuelle politische Themen wie die Finanzkrise, der Untergang der französischen Bürgerschicht, moderne Städteplanung. Und Erinnerungen an ein Macho-Parfum der 80er-Jahre.

    " "Drakkar Noir" ist schrecklich. Aber es ist Teil unserer Kindheit. Also ehe uns bewusst wurde, dass man bestimmte Dinge einfach ablehnen muss. Und dieses Parfüm gehört dazu. Es ist in Duty-free-Läden erhältlich, die ja die Idee von billig und luxuriös verkaufen. Was irgendwie wieder cool ist."

    Cool. Humorvoll. Künstlerisch. Abenteuerlustig. Das gilt auch für die laufende Welttournee, die das Quartett sowohl durch Clubs, Theatersäle wie Festivals führt. Außerdem wird neuerdings frei improvisiert. Denn was im Studio mit viel Aufwand entstand, erfährt auf der Bühne eine Reduktion auf das Wesentliche. Mit Spielwitz und Spaß – aber ohne doppelten Boden.

    "Wir haben einen Weg gefunden, um alle Instrumente, die auf dem Album auftauchen, live umzusetzen. Und zwar ohne Backingtracks, wie sie die meisten Bands verwenden. Denn dann kann ja nichts schief gehen, weil alles im Vorfeld aufgenommen wurde. Das ist in etwa so, als ob man zum Psychiater geht und von Träumen erzählt, die man in einem Buch gelesen hat. Das funktioniert nicht, sondern man muss sie wirklich träumen. Genau, wie wir alles live spielen und vielleicht auch mal daneben langen. Das müssen die Leute im Publikum spüren. Eben, dass es die schlechteste Show aller Zeiten werden kann. Oder eine richtig gute."