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Biblis
Vom AKW- zum Tourismusstandort?

Am Freitag geht es im Kanzleramt um Biblis. Darum, ob der Bund oder das Land Hessen möglicherweise hohe Schadenersatzzahlungen leisten muss, die RWE bei der Abschaltung des Atommeilers gerichtlich durchsetzen will. Der Biblis-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages befragt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Von Ludger Fittkau | 05.11.2015
    Luftaufnahme des RWE-Atomkraftwerks Biblis bei Biblis am Rhein
    Im AKW Biblis gingen mehrere hundert Arbeitsplätze verloren, viele Menschen verließen auf der Suche nach neuen Jobs den Ort (dpa / picture-alliance / Thomas Muncke)
    Seit genau zwei Jahren ist Felix Kusicka Bürgermeister der Gemeinde Biblis. Der freundliche 52-jährige Schnurrbartträger und gelernte Maschinenbauingenieur ist parteilos. Bei der für ihn erfolgreichen Bürgermeisterwahl in dem südhessischen Kernkraftwerk-Standort mit knapp 9.000 Einwohnern war er allerdings von der CDU nominiert worden.
    Dass morgen die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel im Kanzleramt von einem hessischen Landtags-Untersuchungsausschuss zu den rechtlichen Fehlern bei der Abschaltung des Atomkraftwerks in seiner Gemeinde befragt wird, lässt Kusicka jedoch ziemlich kalt:
    "Ich betrachte das relativ entspannt. Ich denke, da sollen sich die Behörden in Bund und Land einigen, wer letztlich die Verantwortung in Bund und Land zu tragen hat."
    Die Verantwortung nämlich für die unterdessen von Gerichten festgestellten juristischen Fehler bei der Abschaltung des AKW Biblis nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima im März 2011.
    Mehrere hundert Arbeitsplätze verloren
    Felix Kusicka ist froh, dass er damit nichts zu tun hat. Er muss stattdessen erfinderisch sein, um die Folgen der AKW-Abschaltung für Biblis abzufedern. Denn im AKW gingen mehrere hundert Arbeitsplätze verloren, viele Menschen verließen auf der Suche nach neuen Jobs den Ort.
    Seitdem er im Amt ist, zerbricht sich Kusicka den Kopf, wie er der die Strukturkrise, von der Biblis nach der Abschaltung des Kraftwerks getroffen wurde, bewältigen kann. Hilfe kommt dabei auch von der EU, die Biblis ohne den Atommeiler als besonders förderungswürdig einstufte.
    "Biblis ist sicherlich erst einmal in ein Loch gefallen, aber aus dem Loch klettern wir langsam wieder heraus."
    Noch heute steht manche Wohnung leer, in der früher Kernkraftwert-Mitarbeiter und ihren Familien lebten. Kusicka ist froh, dass seit einiger Zeit, neue Menschen wieder nach Biblis ziehen. Denn seit das Kernkraftwerk Vergangenheit ist, ist es die Lage, die für viele auf einmal attraktiv wird: Die Ballungsräume Rhein-Main und Rhein-Neckar sind für Berufspendler schnell zu erreichen - und auch beliebte Erholungsgebiete sind nicht weit:
    "Sei es die Bergstraße, sei es der Pfälzer Wald. Und alles innerhalb einer Stunde erreichbar. Ich glaube, besser kann man eigentlich nicht mehr liegen."
    Ladenlokale und Wohnungen stehen leer
    Das dachte sich auch Sabrina Köcher, als sie gleich neben dem Rathaus von Biblis die alteingesessene Buchhandlung "Lesezeit" übernahm.
    "Und dachte das wäre eine schöne Möglichkeit, mich selbst zu verwirklichen, meine Familie unter einen Hut zu kriegen mit Arbeit. Und ich bereue das auch nicht, dass ich den Schritt gemacht habe und das auch die Buchhandlung weiter lebt."
    Doch überschwänglich wirkt die Jung-Unternehmerin nicht, denn im Ortskern von Biblis steht noch manches Ladenlokal leer. Auch dafür macht Sabrina Köcher die Stilllegung des Atommeilers verantwortlich:
    "Ich denke schon, dass das einen relativ großen Einschnitt gegeben hat. Aber ich denke auch, dass sich das so nach und nach wieder gibt."
    Sicher, es fehlen Sabrina Köcher noch Angebote für junge Leute. Diskotheken oder Jugendkneipen gibt es nicht in Biblis - schließlich zog es bis zur Abschaltung die Menschen vor allem zur Arbeit. Der Ort ist der Buchhändlerin daher noch immer zu verschlafen. Da haben selbst die Touristen, die viel Zeit zum Lesen, die neben dem abgeschalteten AKW oder am Badesee Halt machen.
    "Durchreisende mit dem Wohnmobil. Wir haben auch am See ganz viele Ferienwohnungen, wo den Sommer über viele Auswärtige sind, die dann hier reinschauen, Lesestoff."
    Noch kämpft allerdings mancher Bewohner von Biblis auch viereinhalb Jahre nach der Abschaltung des AKW noch mit den Folgen. Die kleinen Hotels, in denen früher Monteure logierten, die im Kraftwerk zu tun hatten, haben noch an den Einbußen zu knabbern, berichtet Bürgermeister Kusicka. Und auch ist die Neuvermietung von Wohnungen, in den früher Kraftwerksmitarbeiter wohnen, ist bis heute nicht so einfach, erzählt Claire Fischer auf dem Parkplatz vor dem Rathaus:
    Dadurch ist auch die Vermietung sehr schwer. Ich habe eine Dachwohnung zu vermieten, nicht zu groß. Und ich habe große Schwierigkeiten gehabt, die zu vermieten. Und die ist neu renoviert, nicht ein altes Ding.
    Südhessen als Region boomt
    Doch weil in den umliegenden Gemeinden der boomenden Region Südhessen inzwischen Höchstpreise verlangt werden, hat man in Biblis Hoffnung, das Leerstände bald wieder ganz passé sein werden-
    Biblis weist nun auch Neubaugebiete aus, erzählt der Bürgermeister:
    "Ich bin sicher, dass wir gute Chancen haben. Allein, wenn ich mir den Preisspiegel angucke von der Bergstraße rüber ins Ried. Selbst bei der Niedrigzinsphase, die wir im Moment haben, ist das schon ein entsprechendes Argument, Biblis wieder in die Auswahl aufzunehmen."
    Sorgen, das gibt Felix Kusicka offen zu, macht ihm der Atommüll, der auf dem Kraftwerksgelände gelagert wird. Was ist, wenn die Endlagersuche noch ewig dauert? - fragt er sich. Und könnten nicht Zwischen-Lagerstätten wie in Biblis einfach irgendwann von der Gesellschaft vergessen werden?
    "Wenn man mal die letzten Jahreswerte hört, so sprechen wir teilweise schon über 2130. 2150 von einer Betriebsbereitschaft. Das heißt, dass sind Dimensionen, die weit, weit über ein Menschenleben hinausgehen. Das ist die große Sorge, die die Menschen hier in der Umgebung auch haben, dass die Diskussion sich endlos ziehen wird."
    Das ist also die Botschaft des Bürgermeisters von Biblis an die Politiker von Land und Bund, die morgen im Kanzleramt über die Fehler bei der Abschaltung des AKW nach Fukushima diskutieren: Bitte nicht nur in die Vergangenheit schauen, sondern auch die Zukunft nicht vergessen. Aus Sicht der Biblis ist das vor allem die Endlagersuche. Denn aus den gut überstandenen Jahrzehnten mit dem laufenden AKW sollen nicht automatisch Jahrhunderte mit dem Atommüll werden.