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Big Brother Awards 2019
Die größten Daten-Kraken des Jahres

Der Datenschutzverein "digitalcourage" verleiht jährlich die "Big Brother Awards" an Unternehmen und Institutionen, die den Datenschutz aus Nachlässigkeit oder bewusst stiefmütterlich behandeln. Unter den unfreiwilligen 'Gewinnern' ist 2019 auch ein vielgelobtes Medienprojekt.

Von Wolfgang Noelke | 08.06.2019
Die Jury der Big Brother Awards steht auf einer Bühne in der Bielefelder Hechelei
Die Big Brother Awards werden bereits zum 19. Mal verliehen (Wolfgang Noelke )
Ein Preisträger ist diesmal sogar ein Freund der Veranstalter, der Verantwortliche für die in "Zeit Online" erschienene Serie "Deutschland spricht". Das vielgelobte Medienprojekt brachte Menschen unterschiedlichster politischer Richtungen miteinander ins Gespräch.
Leider liegen deren politische Ansichten jetzt auf Google-Servern in den USA und waren auch nicht vor Werbetrackern geschützt. Dies bedenkt die Big-Brother-Jury mit dem Negativpreis in der Kategorie Verbraucherschutz.
In einem Labor wird eine Blutprobe in einem Röhrchen hochgehalten. 
Die Firma Ancestry wirbt mit der Verlockung, anhand einer Blutprobe weltweit Verwandte zu ermitteln (imago images / Westend61 / Andrew Brookes)
Verwandtensuche mit unabsehbaren Folgen
Den Big Brother der Kategorie Biotechnik erhält die Münchner Niederlassung der Firma Ancestry. Die wirbt mit der Verlockung, anhand einer Blutprobe weltweit Verwandte zu ermitteln. Mögliche Folgen, genetische Profile einer unbekannten Zahl fremder Unternehmen zu offenbaren, beschreiben Rena Tangens von "digitalcourage" und der Künstler "padeluun":
"Wenn man diesem Ancestry Human Diversity Project zustimmt, kommen sogenannte 'mitwirkende Partner' ins Spiel, und die Partner befinden sich 'in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern, und dabei kann es sich um akademische Einrichtungen, sowie Non-Profit-Organisationen, gewinnorientierte Unternehmen und Regierungsbehörden handeln'. Das ist quasi alles. Und das bedeutet, dass da zum Beispiel auch Pharma-Firmen dazugehören."
"Da könnte zum Beispiel auch ein Versicherungskonzern anfragen. Und dann sagt man: 'Da ist schon Herzinsuffizienz oder sowas zu befürchten.' Also setzen sie mal die Prämie höher."
Zu Big-Brother-würdigen Sammlern und Verwertern biometrischer Daten gehört nach Ansicht der Jury auch das Aachener Unternehmen "PRECIRE", das anhand einer Analyse menschlicher Stimmen Persönlichkeitsprofile erstellen will. Je nachdem, wie Teilnehmende bestimmte Fragen beantworten, soll zum Beispiel deren eventuelle Eignung als Führungskraft ermittelt werden. Referenz für die angebliche Sprachanalyse seien Zufallsfunde, auf YouTube veröffentlichter Reden von DAX-Managern. Dies sei unwissenschaftlich und vermutlich auch rechtswidrig urteilte die Jury und vergibt den Big-Brother für Kommunikation nach Aachen.
"Menschen zu überwachen, ist ein komplett falscher Ansatz"
Unverständlich sei auch das Bestreben des "Technical Committee CYBER" beim Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen "ETSI", den sicheren Internetschlüssel eTLS zugunsten polizeilicher Überwachung zu schwächen:
"Die Herangehensweise, Menschen zu überwachen, ist ein komplett falscher Ansatz. Wir müssen immer unterscheiden zwischen Ermittlung und Überwachung. Also, ein Polizist ist kein Überwacher, ein Polizist ist ein Ermittler! Manchmal kann er auch ein Überwachungsinstrument einsetzen, aber dann sehr gezielt. Aber in dem Moment, wo ich die gesamte Bevölkerung unter Überwachung setze, Beispiel Vorratsdatenspeicherung, ist es ein Überwachungsstaat."
Die hessische Polizei erprobt bereits eine zum Überwachungsstaat passende US-Spionagesoftware namens "Palantir". Diese verknüpfe nach CIA-Vorgaben:
"Komplexe Bewegungs- und Kontaktbilder, Beziehungsgeflechte und Personendossiers sowie Anomalien und Verhaltensmuster. Auch bloße Kontakt- oder Begleitpersonen, Zeugen, Hinweisgeber oder Geschädigte können dabei ins Visier der Fahnder geraten, auch wenn sie nur in loser oder zufälliger Verbindung mit mutmaßlich Verdächtigen stehen."
Dafür erhält der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) den Big Brother Award der Kategorie "Behörden und Verwaltung".
Erschütternde, aber wichtige Arbeit
Ähnliche Methoden der Arbeitnehmer-Überwachung beschreibt heute Abend auch der Arbeitsrechtler Professor Doktor Peter Wedde. Die Initiatorin des Negativpreises, Rena Tangens plante ursprünglich nur die Hälfte der heute inzwischen 19. Veranstaltung. Doch:
"Zum einen finden wir tatsächlich jedes Jahr wieder so viele Nominierungen, die es wert sind, darauf hinzuweisen. Und zum anderen bekommen wir so viele Rückmeldungen von Leuten, die sagen, ihr müsst das unbedingt weitermachen! Das ist so wichtig! Und Leute, die aus der Veranstaltung rausgehen und völlig erschüttert sind."