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Bild dir meine Meinung

Heerscharen von Studenten, Bettlern, Punks, Hunden, Junkies und ihren Dealern lagern auf den Trottoirs im Hamburger Schanzenviertel. Und tun so, als wäre auf dem Pflaster der Strand, weil über ihnen die Sonne scheint. Und Roger Willemsen - mitten unter ihnen – sitzt beim Inder und ißt seinen Curry. Ein Zwei-Meter-Mann mit Jacket, blütenweißer Jeans und einem TV-bekannten Gesicht. Mitten im Pulk. Und lächelt. Eine Angewohnheit, die er während unseres ganzen Gesprächs nicht mehr ablegen sollte - auch wenn er über die nicht so erfreulichen Wendungen seiner Karriere spricht. "Ich habe 1991 angefangen, Fernsehen zu machen, 91/92 bin ich gut besprochen worden, und ab `93 werde ich eigentlich kontinuierlich verrissen. Ich habe dann eine Sendung gemacht, die hieß ‘Willemsen, das Fernsehgespräch’, eingeladen war ein Gast, die Sendung dauerte eine Stunde, kein Saalpublikum. Dafür hat es buchtstäblich, glaube ich, eine einzige postive Rezension gegeben. Dann habe ich ‘Willemsens Woche’ gemacht. Eine Sendung vergleichbarer Art wird`s nicht mehr geben. Eine letzte Sendung mit gedolmetschten Gästen, mit Jazz-Musik, die nicht ganz deppert war, eine letzte Sendung, in der Goldhagen selber auftritt. Jenny Elvers über Goldhagen reden zu lassen, da muß man einfach sagen, das ist die Minimalforderung, die ich gestellt habe. Da haben Journalisten mir gegenüber einen größeren Blutrausch als anderen gegenüber, weil ich ihnen natürlich irgendwo näher bin."

Brigitte Neumann |
    Über Willemsen, den Fernsehmann, war in der "taz" zu lesen, er sei ein "Ranschmeißer de luxe". "Bürgermeister im Kaff der Besserwisser" nannte ihn ausgerechnet die "taz". Und im "Spiegel" stand, aus dem "kritischen Stehriesen" Roger Willemsen sei ein "säftelnder Sitzzwerg" geworden. Die Kollegen Printjournalisten lassen sich was einfallen. Und man merkt, es macht ihnen Spaß. Aber: Warum diese Häme? Woraus speisen sich die Vernichtungsenergien? Mit seinem kürzlich erschienenen Buch, der Essay- und Glossensammlung "Bild dir meine Meinung", gibt Willemsen eine der möglichen Antworten. Da ist zu lesen, wie gut, gerne und wie gekonnt er austeilen kann. Das Journalistenleben ist aber auch traurig: So voller Jugend, solange es jung ist, so bieder, wenn es seinen Zenit erreicht, so enttäuscht, wenn es sich endlich im Alkoholismus auflöst. Also bleibt dem in Würde zynisch gewordenen Hamburger Journalisten in der Dämmerung seines Alters oft kein größeres Abenteuer als ein Besuch auf der Reeperbahn, wo er in appetitlicher Nähe zur Halbwelt selbst ein bißchen zum Extremisten wird.

    Willemsen, dessen Karriere mal als Kulturkritiker und Autor süffisant-intellektueller Texte begann, kehrt mit diesem Buch zu den Wurzeln zurück. Die Themen kreisen um das, was er die letzten acht Jahre erlebt und gemacht hat: unzählige Talkshows moderiert, Dokumentarfilme gedreht und eine eigene Fernsehproduktionsgesellschaft aufgebaut. Mittlerweile ist er selbst zum Medienstar geworden und berichtet mit Vorliebe aus dem Innenleben des Betriebs. Da gibt es ein vernichtendes Stückchen über Dieter Bohlen und Thomas Anders – Willemsen nennt ihn nur den "Bei-Bohlen". Da gibt es seitenlange Anwürfe gegen Literaturpapst Hellmuth Karasek, und kleine, gemeine Ekligkeiten gegen den obersten "Spiegel"-Feldherrn Aust, den Willemsen aber seit kurzem wieder Stefan nennen darf. "Ich weiß, daß ich für den Spiegel lange Zeit die Haßfigur gewesen bin, daß es einen ziemlichen Eiertanz gegeben hat, bis ich den Nachruf auf Anna Henkel, die Frau Grönemeyers, schreiben durfte. Nach langer Zeit, wo zwei Leute, nämlich Stefan und ich, über ihren Schatten gesprungen sind, um das zu machen. Aber ich genieße diese Form von Unabhängigkeit, ich glaube nicht, daß man mich auf die Weise totkriegen kann. Ich darf bei Burda im ganzen Konzern nicht genannt werden. Ich darf in "Focus" nicht vorkommen. Ich darf in "Bunte" nicht vorkommen. Was sehr lustig ist, wenn ich mit einer Schauspielerin auf einem Ball bin, und die "Bunte"-Fotographen kommen dann auf mich zu und sagen: Könnte die Dame sich mal abseits stellen. Weil es da eine Hauslinie gibt .. das ist das Schönste, was einem passieren kann, wenn man auf die Weise raus ist aus dem Schrott. Also die "Bunte" ist nun mal Schrott, und darin nicht vorzukommen, das ist wirklich ein Verdienst, wenn man das geschafft hat."

    Was einmal mehr beweist, daß nicht nur die richtigen Freunde wichtig sind, es kommt auch auf die richtigen Feinde an. Und selbst wenn Roger Willemsen seine Unabhängigkeit genießt: Im deutschen Medienzirkus, dessen schärfster Kritiker er ist, nimmt er gleichzeitig einen wichtigen Platz ein. "Der ist bigott. Der ist insofern bigott, als ich Teil dessen bin, was ich kritisiere. Das führt dazu, daß man denkt, ich bin der Vogel, der sein Nest beschmutzt. Karl Kraus hat mal sehr schön gesagt, er sei der Vogel, den sein Nest beschmutzt, und das bin ich irgendwie auch. Denn man muß auch sagen, der höchste Sachverstand in bezug auf Medien sammelt sich nun mal in den Medien selber, nicht in der Medienpublizistik. Ich finde es ein merkwürdig entfremdetes Denken, wenn man sagt, ein Poltiker darf einen Politiker nicht korrigieren oder kritisieren. Natürlich, gerade Journalisten dürfen Journalisten kritisieren, die das aber in der Regel nicht tun. Sie werden sehr große Mühe haben, Kritik am "Spiegel" zu finden, denn jeder Journalist möchte mal beim "Spiegel" enden und wird sich natürlich seine künftigen Pfründe nicht vergiften. Insofern gehört zum unabhängigen Journalisten auch, daß er sich was scheißt darum, ob er Herrn Aust auf den Schlips tritt oder nicht."

    Nicht unter den Tisch fallen soll, daß Willemsen in seiner Sammlung von Polemiken "Bild dir meine Meinung" auch Aufsätze über das britische Königshaus, germanistische Fachdebatten und Deutschland im Jahre Null der Wiedervereinigung untergebracht hat: "Ossi Normalverbraucher mit seinem parasitären Appetit auf einen westlichen Wohlstand, den er sich, so pochte der Wessi, jedenfalls nicht erarbeitet hatte. Am Anfang hatte es noch seinen Charme, wenn man ihn eine Stunde lang bei McDonalds sitzen sah, auf Bedienung wartend. Auch war der Wohlstand des westlichen Wirtstiers für einige schon fast unfühlbar geworden, andere empfanden ihn als regelrecht bedrückend. Ihn aber jetzt durch die armen Plantagen des Ostens spazierenzufahren, das brachte einfach den Enthusiasmus zurück in den Konsum und befriedigte die ganze Tengelmann-Emphase von "Gut gekauft – gut gelaunt". Den Westbürger so durch den Osten, den Ostbürger durch den Westen streifen zu sehen, das erinnerte unwillkürlich an den Völkerpsychologen Wilhelm Wundt, der festgestellt hat, Zeigebewegungen seien zu kurz geratene Greifbewegungen."

    "Bild dir meine Meinung", eine Sammlung von Willemsen Texten, die fast alle schon mal in irgendwelchen Zeitungen standen, aber von dem Autor frisch überarbeitet wurden, enthält auch einen Beitrag mit dem Titel "Die Veralberung der Armut" – nach dem Motto "Bunte Geschäfte rein / dunkle Gestalten raus". Mein Lieblingsbesinnungsaufsatz. Ursprünglich mal ein Vortrag, den Willemsen vor der Hamburger Obdachlosengesellschaft gehalten hat.

    Was die Medienschelten in dem Buch angeht, so fehlt eigentlich im Anhang das Namensregister. Anders, Aust, Bohlen, Eligmann, Hefner, Karasek, Diana, Kopper, Sander, und viele viele andere mehr. So ein Namensregister hätte hohen Nutzwert für Journalisten, die nach packenden Formulierungen suchen oder für intellektuelle Büttenredner, die ihre Ansprache mit saftigen Bemerkungen über hassenswerte Zeitgenossen anreichern wollen. An so ein Namensregister, sagt Willemsen, hätte er auch schon gedacht. Aber die meisten Promis würden dann in der Buchhandlung nur gucken, ob sie selbst drin vorkommen. Und wenn nicht, kaufen sie es nicht. Jetzt müssen sie`s lesen. Roger Willemsen, der schon mehrere nachdenklich-gallige Werke über den Zustand der Welt, insbesondere der Medienwelt veröffentlicht hat, stellte sich übrigens in seinem 1997 veröffentlichten Buch "Kaff der guten Hoffnung" die Frage: "Macht Fernsehen dumm?" und antwortet: "Ja, und zwar die Macher."