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Bilderberg-Konferenz
"Für eine geheime Weltregierung reicht es nicht"

Die sogenannte Bilderberg-Konferenz, die zurzeit in Österreich stattfindet, gleiche einem "Schulausflug von Erwachsenen", sagte der Amerikanistik-Professor Thomas W. Gijswijt im DLF. Die Teilnehmer dürften sich zwar als Teil einer Welt-Elite fühlen, nicht aber einer Weltregierung.

Thomas W. Gijswijt im Gespräch mit Peter Kapern | 12.06.2015
    Protest gegen die Bilderberg-Konferenz in Tirol
    Protest gegen die Bilderberg-Konferenz in Tirol (afp)
    Bei dem seit 1954 jährlich stattfindenden Treffen gehe es um "Einfluss auf internationale Meinungsbildung", sagte Gijswijt. Der Historiker hat mehr als 50 Jahre alte Protokolle der Bilderberg-Konferenz untersucht. So sei damals die europäische Integration ein wichtiges Thema gewesen, und die Konferenz habe wohl Einfluss auf die Entstehung der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, den Vorläufer der Europäischen Union, gehabt. Konkrete Beschlüsse seien allerdings nicht gefasst worden, so Gijswijt.
    Das Treffen habe indirekt Einfluss auf politische Entscheidungen durch die Netzwerke, die dort geknüpft würden. Für eine geheime Weltregierung, für das Verschwörungstheoretiker die Bilderberg-Konferenz halten, reiche es aber nicht. Die Teilnehmer haben laut dem Tübinger Geschichtswissenschaftler von Beginn an Geheimhaltung sehr ernst genommen. Deshalb gelange so wenig über das Treffen an die Öffentlichkeit. "Sie wissen, wenn ich darüber rede, werde ich nicht mehr eingeladen." Als Teilnehmer dürfe man sich "wichtig fühlen".
    Gijswijt: Greenpeace und Amnesty fehlen
    Die Bilderberg-Konferenz von 140 Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Militär hat gestern in Österreich begonnen. Bis Sonntag wollen die Experten und Entscheider aus 22 Ländern in einem Luxushotel in Buchen informell über "Themen von globaler Relevanz" beraten, teilte der Veranstalter mit. Die Bilderberg-Konferenz wurde 1954 gegründet, um den Dialog Europas mit Nordamerika zu fördern. Der Name wurde vom ersten Tagungsort, dem Hotel de Bilderberg in Oosterbeek in den Niederlanden, übernommen.
    Gijswijt kritisierte im Deutschlandfunk, dass in diesem Jahr zu wenige Vertreter der Zivilgesellschaften, wie beispielsweise Greenpeace oder Amnesty International, und stattdessen "schon eher Wirtschaftsbosse" eingeladen wurden

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Wie, Sie haben noch nie von der Bilderberg-Konferenz gehört? - Da haben Sie's: Das ist nur ein weiterer Beweis dafür, wie erfolgreich die Bilderberger die ganze Welt ganz im Geheimen kontrollieren. Also worum geht's jetzt? - 1954 eröffnete Prinz Bernhard der Niederlande eine Konferenz, zu der einflussreiche Personen aus der Wirtschaft, der Politik, den Medien und dem Militär eingeladen waren, Personen aus Europa und Nordamerika. Sie sollten die Gelegenheit haben, als Privatleute und hinter verschlossenen Türen Themen der Zeit zu diskutieren, und zwar in aller Offenheit, weshalb die Öffentlichkeit ausgesperrt blieb. Das Ganze fand statt in einem niederländischen Hotel, de Bilderberg, und daher hat die Konferenz ihren Namen. Seit gestern wird sie zum 64. Mal veranstaltet, in Österreich in Telfs-Buchen. So weit, so unspektakulär.
    Die Tatsache aber, dass sich dort viele der Mächtigen der Welt treffen, ohne dass der Rest der Welt erfährt, was dort hinter verschlossenen Türen geschieht, diese Tatsache nährt Verschwörungstheorien, und diese Verschwörungstheorien, die stellen gewissermaßen das zweite Leben der Bilderberg-Konferenz dar. Dort werden, folgt man den einschlägigen Foren im Internet, künftige US-Präsidenten ausgesucht, deutsche Kanzlerkandidaten müssen sich einer Gesichts- und Gesinnungsprüfung unterziehen, der Euro wurde dort beschlossen, der Jugoslawien-Krieg auch und manches mehr.
    Kurzum: Auf unserer Erde geschieht eigentlich nichts von Gewicht, was nicht von dieser geheimen Weltregierung Namens Bilderberg-Konferenz bewilligt ist. Das zumindest glauben weltweit viele zigtausend Menschen, die sich an den Online-Debatten über Bilderberg beteiligen. Die Bilderberg-Konferenz gibt aber nicht nur Stoff für Spekulationen und Verschwörungstheorien ab, sondern auch für handfeste wissenschaftliche Forschung, und der in Tübingen lehrende Historiker Thomas Gijswijt, der hat sich damit beschäftigt. Guten Morgen.
    Thomas W. Gijswijt: Guten Morgen.
    Kapern: Herr Gijswijt, seit gestern tagen wieder die Bilderberger, 140 Teilnehmer aus 22 Ländern. Drei europäische Ministerpräsidenten sind dabei, zwei Finanzminister, Verteidigungsministerin von der Leyen, Dutzende Konzernlenker und Bankenchefs. Muss der Rest der Welt sich vor dieser Zusammenballung der Macht fürchten?
    Gijswijt: Nein, ich glaube nicht. Es ist klar, dass es Grund gibt, dass viele Verschwörungstheoretiker sich interessieren für solche Treffen, aber ich glaube, dass man ganz klar sagen kann, dass das ein interessanter Gesprächskreis ist, aber es hat eher Charakter von einem Schulausflug für Erwachsene, in einem schönen Hotel ein Wochenende zusammen wichtige Sachen diskutieren und ein gutes Glas Wein trinken. Aber es ist ganz klar, dass keine Beschlüsse gefasst werden und dass es keine geheime Weltregierung gibt. Wenn es die gäbe, wäre es eine sehr schlechte, glaube ich. Das dürfen wir anhand der heutigen Weltsituation schon konstatieren.
    "Es werden keine Beschlüsse gefasst"
    Kapern: Wie erforscht man eigentlich als Historiker eine Konferenz, deren Markenzeichen es ist, dass sie hinter verschlossenen Türen stattfindet und nichts nach draußen dringt?
    Gijswijt: Da ist man angewiesen auf vor allem ältere Archive. Es ist so, dass die Bilderberg-Archive selbst in den Niederlanden aufbewahrt werden, und alles, was älter als 50 Jahre ist, ist für jeden einzusehen.
    Die Verschwörungstheoretiker machen sich nicht die Mühe, da hinzugehen. Ich habe es aber schon gemacht und man kann zum Teil auch wortwörtlich die Protokolle dann einsehen, und dann sieht man, dass es zwar sehr interessante Gespräche sind, dass es manchmal hart zur Sache geht, dass es auch, kann man sagen, sicherlich einen Einfluss auf die internationale Meinungsbildung hat, aber dass tatsächlich keine Beschlüsse gefasst werden.
    Kapern: Geben Sie uns doch mal einen Vorgeschmack darauf oder eine Idee davon, was da vor 50 Jahren - jüngere Protokolle konnten Sie ja nicht einsehen - diskutiert worden ist an wichtigen Themen.
    Gijswijt: Ein wichtiges Thema war natürlich die europäische Integration und da, behaupte ich, gibt es schon einen Einfluss auf die Entstehung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, also der Vorläufer der heutigen EU, weil das ein Thema war, das bei verschiedenen Bilderberg-Konferenzen Mitte der 50er-Jahre intensiv diskutiert wurde, wo vor allem die Amerikaner gesagt haben, ihr müsst da weitermachen. Es gab einige wichtige europäische Politiker, die dann später auch die Entscheidung mit getroffen haben, die dort auch bei den Konferenzen da waren.
    Es ist aber nicht so, dass man sagen kann, es gab diese Konferenzen und als direkter Beschluss kam daraus diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hervor. Da gab es natürlich ganz andere politische Prozesse, die da wichtiger waren.
    Ich rede da von indirektem Einfluss, also keine direkten Beschlüsse, aber sicherlich wichtige Gespräche, es werden Kontakte geknüpft, man kann von informellen Netzwerken, transnationalen Netzwerken reden, die sicherlich ihren Einfluss haben. Aber ich glaube, für eine geheime Weltregierung reicht es trotzdem nicht.
    Kapern: Müssen denn Demokratien sich vor informellen Netzwerken in Acht nehmen?
    Gijswijt: Ich glaube, nicht. Wenn man auch die Teilnehmerlisten sich anschaut, dann schaffen die es schon, da ein so gemischtes Publikum hinzubekommen mit auch Oppositionspolitikern, Journalisten sind dabei, und ich glaube, wenn da wirklich was Schlimmes passieren würde, dann würde das sicherlich an die Öffentlichkeit kommen.
    Trotzdem kann man natürlich sagen, es ist etwas problematisch, wenn demokratisch gewählte Politiker da hingehen und nicht erzählen, was sie da machen. Aber ich glaube, im normalen politischen Tagesgeschäft passiert das ja auch ständig. Die Bundesregierung tagt ja auch nicht öffentlich. Also ich glaube, das gehört zur Demokratie, aber ich erwarte schon, dass die Teilnehmer natürlich, wenn da dunkle Geschäfte gemacht werden, das dann auch an die Öffentlichkeit bringen. Aber solche Beispiele haben wir bisher nicht gehabt.
    "Man darf sich ein b isschen wichtig fühlen"
    Kapern: Was Sie da sagen ist ja doch erstaunlich. Wenn man als Journalist mit Politikern zu tun hat, dann macht man die Erfahrung, dass die, sagen wir mal, ein durchaus ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis haben gegenüber Journalisten. Nur gerade, wenn es um Bilderberg-Konferenzen geht, nicht. Wenn man da einen Teilnehmer fragt, kriegt man nie eine Auskunft. Wie ist das zu erklären?
    Gijswijt: Ja, das ist zu erklären, weil die Geheimhaltung sehr ernst genommen wird. Von Anfang an war ganz klar, wir schaffen es nur, hier wirklich eine offene Debatte zu haben, wenn alle wissen, dass das nicht am nächsten Tag in der "Bild"-Zeitung zu lesen ist. Und die Teilnehmer, die möchten natürlich gerne wieder dahin. Das ist für die wichtig für die Kontakte. Man hört da doch einiges an interessanten Informationen. Und die wissen, wenn ich jetzt da Sachen an die Öffentlichkeit bringe, wenn ich mit Journalisten rede, dann werde ich nächstes Jahr nicht mehr eingeladen.
    Kapern: Also es streichelt das Ego, wenn man eine Einladung zur Bilderberg-Konferenz bekommt?
    Gijswijt: Sicherlich! - Sicherlich! - Man darf sich zu einer kleinen Weltelite dann zählen. Es gibt heutzutage vielleicht ein paar 1.000 Menschen in der Welt, die mal bei einer Bilderberg-Konferenz waren. Man darf sich ein bisschen wichtig fühlen.
    Kapern: Und die Verschwörungstheorien, sind die dann auch Ausdruck eines Neidkomplexes?
    Gijswijt: Das glaube ich nicht. Ich glaube, die kann man eher erklären, dass natürlich die Tatsache, dass da ein Wochenende lang doch relativ einflussreiche Menschen, Wirtschaftsbosse, Menschen aus der Finanzwelt, Politiker sich treffen, natürlich dann gewisse Interessen weckt. Es ist sehr menschlich, wenn etwas geheim ist, dass man auch wissen möchte, was da passiert.
    Die Verschwörungstheoretiker haben da natürlich ganz einfache Erklärungsmuster, um komplexe Prozesse zu erklären, denn die sehen, Anfang der 90er treffen sich die Bilderberger und reden über eine mögliche Europäische Währungsunion und zwei Jahre später wird das beschlossen. Dann ist es für die sehr leicht, da eine direkte Verbindung herzustellen, die es aber so gar nicht gibt.
    Also erstens geheim, zweitens man kann einfache Erklärungsmuster darauf beziehen, und drittens ist es natürlich so, dass relativ viele Wirtschaftsbosse und Finanzmanager hingehen. Viele Verschwörungstheoretiker sehen natürlich vor allem die Rothschilds, die Rockefellers, die Goldman Sachs Leute als die eigentlichen Bestimmer in der Welt, und wenn die sich dort dann treffen auf einer Bilderberg-Konferenz, ist natürlich die Schlussfolgerung, dort werden die eigentlichen Beschlüsse getroffen.
    Mehr Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft wünschenswert
    Kapern: Hätten Sie einen Tipp an die Veranstalter der Bilderberg-Konferenzen, wie sie den Verschwörungstheoretikern gewissermaßen das Wasser abgraben könnten? Oder haben die vielleicht gar kein Interesse daran, weil diese Verschwörungstheorien die Konferenzen noch interessanter machen?
    Gijswijt: Nein, sie mögen das nicht. Ich habe da schon einige Bilderberger gesprochen, die schon ein Interesse daran haben zu zeigen, dass es wirklich keine geheime Weltregierung ist. Ich würde mir wünschen, dass etwas mehr Politiker und auch Vertreter der Zivilgesellschaft eingeladen würden, Amnesty International, Greenpeace, solche Organisationen, Gewerkschaften vielleicht. Das war in den 50er-, 60er-jahren ganz normal. Wenn man aber die Teilnehmerlisten der letzten Jahre sich ansieht, dann sind es doch vor allem Wirtschaftsbosse und Banker, die eingeladen werden, und weniger Politiker.
    Dieses Jahr ist kein einziger Politiker aus Amerika eingeladen und das ist, glaube ich, problematisch. Wenn man zeigen kann, wir haben hier auch Oppositionspolitiker, aus dem Europäischen Parlament sind welche da, und die haben natürlich alle eine demokratische Pflicht, wenn was Schlimmes passiert, das dann auch anzusprechen, das wäre meine Empfehlung.
    Kapern: ... sagt Thomas Gijswijt, der in Tübingen lehrende Historiker, der die Bilderberg-Konferenzen erforscht hat. Herr Gijswijt, danke, dass Sie heute früh Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Tschüss!
    Gijswijt: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.