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Bildgeber gegen Krebs

Die Visualisierung des Körperinneren als dreidimensionale Computergrafik wird ein immer wichtigeres Hilfsmittel für Mediziner. Lungentumore lassen sich in naher Zukunft von innen bestrahlen, weil ein Navigationssystem der Sonde den Weg dahin weist. Hirnchirurgen bekommen mit mechanischen Wellen Werkzeuge an die Hand, verdächtiges Gewebe im Kopf per Computer virtuell "vorzufühlen" und dadurch Tumore einzuschätzen, bevor sie operieren.

Von Maximilian Schönherr | 04.12.2005
    Eigentlich war ich gar nicht scharf darauf, eine Operation zu beobachten. Und nun bin ich im OP und halte mein Mikrofon in die Runde der Chirurgen, die sich über einen offenen Bauch hermachen.

    Es fing vor einigen Monaten mit einem Kongress in Stuttgart an. Da trafen sich Spezialisten für Computeranimation und referierten über Special Effects in neuen Fernsehfilmen. Ich hatte kurzzeitig genug vom perfekten digitalen Feuer und Wasser und ging in einen kleinen Nebenraum, wo mir etwas wenig Perfektes entgegenstrahlte - ein auf die Wand projizierter roten Klumpen. Der Redner, ein großer weißhaariger Mann vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg erklärte, das sei ein Versuch gewesen, eine Standardleber in 3D darzustellen - ein sinnloser Versuch, denn nach Leber sah dieses Gebilde nicht aus. Wir lernen daraus: Es gibt keine Standardleber. Jeder Mensch, erzählte Hans Peter Meinzer, hat seine eigene Leber. Und weil es leider keine Eine-für-alle-Leber gibt, braucht jede Leber, die wir operieren müssen, ihre eigene Vorbereitung in 3D. Zustimmung.

    Später berichtete der Physiker von einem Navigationssystem für Bestrahlungssonden, was seine Abteilung für medizinische und biologische Informatik entwickelt hat. Er zeigte den im Computer dreidimensional nachgebildeten Lungenflügel eines Patienten, der sich beim Atmen natürlich bewegte. Der dunkel markierte Tumor bewegte sich mit jedem Atemzug etwa 10 Zentimeter noch und runter. Bestrahlt man den Tumor von außen, wie das heute üblich ist, so bestrahlt man in Wirklichkeit vor allem intaktes Gewebe um den Tumor herum. Hans Peter Meinzer lotst die radioaktive Probe jetzt mit seinem 3D-Naviationssystem über die Luftröhre von innen direkt an den Tumor, wo sie ihn und nur ihn zerstört. Applaus im Publikum auf dieser Special-Effects-Veranstaltung im Frühjahr in Stuttgart, wo der Physiker ein Exot war. Er schloss mit Bildern, die eher eine Suppe grauer Pixel glich. Das, meinte Meinzer, was Sie hier nicht sehen, was aber in diesem Computertomogramm irgendwo drin steckt, das ist die Bauchspeicheldrüse.

    Hier sind die Chirurgen dabei, sich den Weg zu der realen Bauchspeicheldrüse dieser realen Frau zu machen. Ich stehe leicht erhöht auf einem Podest, beuge mich über den Kopf der Patienten und beobachte, wie der leitende Chirurg, Helmut Friess, mit unzählig vielen kleinen Schnitten, Verklebungen, Titanklammern hier, Fäden da, sich den Weg zu diesem sehr tief im Bauch liegenden Organ freimacht, der Bauchspeicheldrüse. Das Pankreas, wie dieses Insulin spendende Organ bei Medizinern heißt, liegt unter dem Magen, hinter dem Darm, zwischen Milz und Galle, eigentlich ganz hinten im Bauch, direkt an der Wirbelsäule.

    Fünf Stunden wird die Operation dauern. Puls und Blutdruck der Patientin sind stabil. Trotz der vielen Schnitte, mit denen sich der Chirurg vorarbeitet, fließt praktisch kein Blut. Er kennt seinen Weg zu diesem versteckten Organ. Er kennt ihn auch aus den 3D-Grafiken, die ihm Hans Peter Meinzer geliefert hat. Präzisionsarbeit.

    Helmut Friess:
    "3D-Daten werden immer wichtiger, weil sie uns helfen, bestimmte Tumoren an der Bauchspeicheldrüse und anderen Organen vor der Operation besser darzustellen."

    Allkemper:

    " Dreidimensionale Bilder zu machen, heißt immer, etwas weglassen. Ich kann nicht immer alles auf einmal zeigen, ich muss mir den Weg freimachen. Wenn ich eine Leber oder Niere darstellen will, muss ich die Bauchwand, die davor ist, und Gefäßstrukturen wegnehmen. Muss sie erst identifizieren, definieren und dann dem Computer sagen: Nimm jetzt Dichtewerte, die in der und der Region liegen, und rechne die zu diesem Modell. Und dabei ist es immer so, dass ein bestimmte Form der Interpolation erfolgt."

    Tolxdorf:
    " Man möchte natürlich, bevor man schneidet, wissen, was einen erwartet."

    Im Klinikalltag gibt es eine tiefe Freundschaft zwischen den Radiologen und den Chirurgen. Ein Chirurg wird nur höchst ungern einen Bauch öffnen, ohne sich vorher ein Bild gemacht zu haben, was er darin vorfinden wird. Dieses Bild liefert der Radiologe, der Strahlenheilkundler, der, der die Heilung anbahnt, indem er zunächst einmal sagt: Ich habe auf meinem Strahlenbild etwas Verdächtiges gesehen. Die Strahlenbilder waren früher klassische Röntgenaufnahmen, die auf Negativen ausbelichtet wurden. Heute sind es vor allem in einem großen Ring aufgenommene Röntgenbilder, so genannte Computertomogramme oder CTs, und zunehmend die Magnetresonanztomogramme. Sie sind - im Unterschied zum CT - unschädlich, zeigen hervorragend Weichteile an, weisen jedoch nicht die Schärfe von CTs auf. Magnetresonanztomogramme werden auch Kernspin oder MRT genannt. In jedem Fall liefern diese Maschinen keine räumlichen Repräsentationen des Körperinneren, sondern flächige Bilder.

    Hans Peter Meinzer:
    " Bis jetzt ist die Radiologie sehr zweidimensional orientiert. Man macht zwar einen Haufen Schichtserien, die werden aber als Einzelbilder in den Lichtkasten gehängt und dort von den Radiologen begutachtet. Die Radiologen sind oft aufgrund ihrer Ausbildung in der Lage, sich aus vielen Schichtbildern eine dritte Dimension vorzustellen, während die Chirurgen, die nachher tatsächlich den Körper öffnen müssen, sich da wesentlich schwerer tun. Deswegen denken wir, wenn wir ihnen geeignete dreidimensionale Darstellungen zeigen können, dass sie was lernen. Die Hoffnung ist, sie vor der Operation so mit der dreidimensionalen Topographie im Körperinneren vertraut zu machen, dass sie sich vorstellen können, was sie erwartet."

    Das ist Hans Peter Meinzer, der Mann, dessen gescheiterter Versuch, eine Standardleber in 3D darzustellen die Anwesenden bei seinem Vortrag auf der Spezialeffekte-Konferenz in Stuttgart so verblüfft hat. Da sehen sich die Lebern in allen Anatomieatlassen so ähnlich, und doch ist jede Leber so grundsätzlich eigen aufgebaut. Jetzt sitze ich Hans Peter Meinzer in seinem Büro im Deutschen Krebszentrum gegenüber. Wir haben einen fantastischen Blick auf Heidelberg. Auf dem Tisch liegen verschiedene Körperteile aus Kunststoff herum, unter anderem ein sehr verbogener Ausschnitt aus einer Wirbelsäule: Von meiner Mutter, sagt Meinzer. Die Wirbelsäule wurde aus 3D-Daten gegossen. Hans Peter Meinzer ist der deutsche Pionier der 3D-Visualisierung des Körperinneren. Er ist Physiker, war früher kurzzeitig mal Lehrer, liebt Musik von Rick Wakeman. Seine Abteilung für medizinische und biologische Informatik entwickelt laufend neue Verfahren, und zwar nicht, wie manche Kollegen das tun, als Trockenversuch auf dem Papier, sprich im Rechner. Die Chirurgen arbeiten im Gebäude gegenüber, nur einen Steinwurf entfernt, in zwei Operationstrakten, rund um die Uhr. Und sie lieben die Bilder "vom Meinzer". Der Chirurg kann nicht nur vor der OP am Computer durch den Körper hindurchfahren, also die Leber sehen, als Hülle, und den Darm als Wurst...

    Meinzer:
    " Wir können nämlich in Organe, die er nur von außen sieht, hineinsehen. Wir können ihm sagen: Wenn Sie diese Leber öffnen, werden Sie nach 2 Zentimetern jenes Gefäß sehen und dann dieses Gefäß und dann den Tumor finden, und der wird hinter diesem liegen, und wenn Sie den Tumor herausnehmen wollen, werden Sie dieses Gefäß verletzen, was bedeutet, dass diese ganze Leberhälfte nicht mehr versorgt ist. Also muss man möglicher Weise etwas mehr herausnehmen. Es geht also über die Visualisierung hinaus. Wir können ihm planen helfen, im Vorfeld und intra-operativ.

    Auf dem Bildschirm können wir nur zeigen, was am Tag vorher aufgenommen wurde. Also, man geht am Tag vorher in ein CT oder in einen Kernspin, man gewinnt Bilder, und die kann man dann, geeignet aufbereitet, dem Operateur zeigen. In dem Moment, wo der anfängt, einzugreifen, verschiebt sich sehr viel, denn meistens dreht es sich um Weichteile wie Leber, Pankreas. Und dem können wir mit unseren heutigen Techniken noch nicht hinterher. Wir sind dabei, das zu tun, aber der Aufwand ist gigantisch. Ich muss nämlich wissen, wie liegt z.B. eine Leber, wie schneidet der jetzt, wie zerfällt die in zwei Hälften, wie verzerrt sich dieses Soft Tissue. Ich muss wissen, wo er steht, wo die Leber liegt, wie er sein Skalpell hält, wo er es hat, ich muss wissen, wie er schaut. Das heißt, das zusätzliche Problem, was jetzt auftaucht, heißt Navigation. Ich muss permanent einen Überblick über den gesamten OP-Situs behalten. Und das ist schwierig. "

    Die Leber ist ein bemerkenswertes Organ. Entnimmt man eine halbe Leber von einem Spender und implantiert sie in den Empfänger, wachsen in beiden Patienten die halben Lebern innerhalb einiger Wochen zur vollen Größe heran. Die Operation gilt jedoch als höchst gefährlich, weil die Leber nur ganz bestimmte Schnitte verträgt. Ein falscher Schnitt, und der Spender kann sterben.

    Meinzer:
    " Deswegen muss man das Verschenken von halben Lebern sehr genau planen. Und das können wir. Wir können dem Chirurgen den optimalen Schnitt durch eine individuelle Spenderleber eines gesunden Menschen zeigen, und ihm sagen, du musst sie so und so halbieren und diese Hälfte bei dem Spender lassen, die andere bekommt der Empfänger. Der schwerere Partner muss die größere Hälfte bekommen. Man muss sich beim Teilen an gewisse Gefäße halten, die vier Gefäßbäume in der Leber müssen beim Spender und Empfänger funktionieren. Und das können wir denen so zeigen, dass sie sich trauen."

    Die Bilder von der Leber und anderen inneren Organen, die Hans Peter Meinzer, aber auch Kollegen wie Heinz-Otto Peitgen vom Centrum für Medizinische Diagnosesysteme und Visualisierung in Bremen produzieren, zeigen nicht nur die Organe, sondern auch die Blutgefäße mit feinsten Verästelungen, dargestellt in Blau und Rot. Der praktische Nutzen für die Chirurgie liegt auf der Hand, aber halten die Chirurgen die Farben und die 3D-Kamerabewegungen, mit der sie im Computer durch die Leber hindurchfahren können, für Schnickschnack?

    Meinzer:
    " Das tun sie sehr gern. Die gucken sich sehr gern dreidimensionale Darstellungen, wenn's geht mit Schatten und Bewegung an, weil da ein Verstehen im Kopf stattfindet. Sie prägen sich die individuelle, für diesen Patienten zutreffende Topologie ein. Das ist eine wunderbare Vorbereitung für einen chirurgischen Eingriff."

    Die tollen Bilder der 3D-Abteilung basieren auf den 2D-Bildern, die die Radiologen mit ihren Tomographen angefertigt haben. Gegen Meinzers oder Peitgens bunte Lebergefäß-Filme sehen die CTs der Radiologen alt und grau aus. Diese Informatiker, die hier auf dem Klinikgelände eigentlich gar nichts zu suchen haben, stehlen ihnen die Schau!

    Meinzer:
    " Es sind mir schon solche Sachen passiert. Wir haben einmal drei Wochen lang keine Bilder aus der Radiologie bekommen. Und dann hat sich herausgestellt, dass der Hintergrund der war, dass wir unsere 3D-Visualisierungen direkt den Chirurgen gezeigt haben, und da fühlten sich die Radiologen übergangen. Und ich glaube, die haben sich zurecht übergangen gefühlt, und wir haben den Prozess geändert. Jetzt schicken die Chirurgen ihre Patienten in die Radiologie, die nehmen die Bilder auf, wir kriegen die Daten, wir schicken die Daten an die Radiologen zurück, und die präsentieren die Daten im Rahmen ihrer normalen Präsentation im Rahmen der OP-Planung den Chirurgen. Das macht Sinn. Es ist unbedingt nötig, dass es ein Dreisprung ist: Es gibt die Chirurgen, die Radiologen und uns Informatiker, und nur zu dritt werden wir was hinkriegen."

    Eine schon ein paar Jahre alte Geschichte, die Hans Peter Meinzer in Heidelberg erzählt. Inzwischen besitzen die Radiologen selbst Computer und Software, mit der sie die Schichtbilder innerhalb weniger Minuten nach Aufnahme in den drei Raumachsen durchfahren können. Besonders für die junge Radiologengeneration gehört diese Diagnosetechnik zum Alltag. Für Thomas Allkemper von der Radiologie der Universitätsklinik Münster etwa. Er führt mich in einen abgedunkelten Raum, wo drei Kollegen an einem Bildschirm kleben. Ich erkenne in der unscharfen, grauen Grafik ein Gehirn von der Seite, mit einer kleinfingergroßen dunklen Region, darüber eine sehr hellen, verästelten Struktur. Ein Schlaganfall, sagt Thomas Allkemper. Die Kollegen nicken betroffen. Die dunkle Struktur, erfahre ich, ist ein Hinweis auf Multiple Sklerose bei dem Patienten. Es ist eine Patientin, sagt der Arzt. Mein Blick schwenkt vom Bildschirm nach oben. Da sehe ich hinter der Glasscheibe den riesigen Magnetresonanztomographen, aus dem ein Unterkörper herausragt, Blue Jeans und Turnschuhe. Ach, frage ich, wir sehen diesen Schlaganfall gerade in Echtzeit? Na klar, sagt Thomas Allkemper. Die Frau weiß selbst nicht, dass sie einen Schlaganfall erlitten hat? Nein, wir haben es nur vermutet, sagt sein Kollege. Hier ist keine 3D-Visualisierung mehr nötig.

    Anders in einem Notfall. Ein Mann wurde nach einem Unfall in der Uniklinik eingeliefert. Das CT zeigte jede Menge Blut im oberen Bereich der einen Niere. Der Urologe, der die OP ausführen wollte, um die Blutung zu stoppen, fragte Thomas Allkemper, was auf den Bildern Blut und was noch intakte Niere sei. Der Radiologe wusste keine Antwort. Ich brauche mehr Zeit. Die hast du, sagte der Urologe. Er wusste, dass jede Minute, die er dem Radiologen Zeit gibt, die Schichtbilder dreidimensional aufzubereiten, sich anschließend in der Operation auszahlen wird. Thomas Allkemper:

    " Die Geschichte ging so weiter, dass wir angefangen haben, diese Daten in unsere Workstation einzuladen und Maximum Intensity-Projektionen davon anzufertigen. Dadurch, dass man die in allen Raumrichtungen drehen und anschauen kann, bekommt eine bessere Idee, wie die Niere denn da drin gelegen haben kann, wie eine Darmschlinge hier verlaufen kann. Das heißt, man nimmt sich eine Stelle und sagt: Hier ist sicher Darm. Und dann geht man hin, spielt da rum, fährt ständig durch die Schichten durch und verfolgt die und sagt, ach guck mal hier, das läuft hier weiter, das kann nicht Niere sein, weil irgendwo ja auch noch Platz für die Darmschlinge sein muss. Wir haben dann ungefähre Größenabschätzungen geben können und uns die Form der ursprünglichen Niere eingezeichnet und sind dann interaktiv mit dem Urologen, der das in der Nacht operieren wollte, zusammengekommen, und haben gesagt: So scheint das zu liegen und so scheint das zu verlaufen. Er hat mich dann später aus dem OP angerufen und gesagt: Du hattest Recht, das war ganz gut, dass wir das ganz in Ruhe zusammen angeschaut haben. Es war etwas größer als wir zunächst dachten, aber es war nicht so groß. Hat der Patient überlebt? Ja, der hat überlebt. Die eine Niere wurde entfernt, und er kann mit der anderen überleben."

    Die 3D Visualisierung braucht Zeit. Um sich einen grundsätzlichen räumlichen Eindruck über die Ausdehnung der Niere zu verschaffen, haben die Radiologen in Münster etwa eine Stunde gerechnet und geguckt. Mit ein bisschen mehr Zeit lassen sich aus den 3D-Daten dann die schönen Bilder mit Schatten erzeugen, die die Chirurgen so lieben. Vor wenigen Jahren dauerte das noch eine Woche, heute sind die Daten innerhalb 24 Stunden da, wo sie hingehören, beim Patienten.

    Als Nebenprodukt der hochauflösenden Bilder von Blutgefäßen ist unter anderem ein Navigationssystem entstanden, was in Echtzeit, also direkt beim Eingriff funktionieren soll. Oder schon funktioniert?

    Meinzer:
    " Das ist nicht Zukunft. Das ist im Hier und Heute machbar. Es ist noch nicht ein Produkt, aber ich sehe es sehr schnell kommen. Man geht mit einem Katheter oder Bronchoskop in eine Luftröhre oder Blutbahn und schiebt das entlang der verschiedenen Verzweigungen bis zu einem Zielpunkt. Nehmen wir mal an, wir haben einen Tumor, der in der Peripherie der Lunge liegt, und wollen den bestrahlen. Dann könnte man entweder von außen bestrahlen. Da hat man sehr große Probleme, weil sich die Lunge bewegt. Es ist sehr schwer, eine Bestrahlungsquelle der Atmung nachzuführen. Also ist die Idee, von innen über die Luftröhre eine kleine radioaktive Sonde bis in den Tumor vorzuschieben und den Tumor - unter Weiteratmung des Patienten - in angemessener Zeit gemütlich von innen zu zerstrahlen. Jetzt hat der Radiotherapeut, der dieses Objekt von innen anfahren will, ein kleines Navigationsproblem. Da wir aber die Baumstruktur der Bronchien kennen, können wir ihm sehr genau sagen, wo er hinfahren muss, an welcher Verzweigung er abbiegen muss. Es ist wirklich ein Navigationssystem, so etwa wie die Navigation eines Flugzeugs. Das heißt, wir können ihn innerhalb von einer Minute - ich übertreibe ein wenig - an einen beliebigen Platz im Körper hinnavigieren, mit dieser kleinen Sonde. Dann würde man aus dem Rohr, was man vorgeschoben hat, aus dem Katheter, die Navigationssonde herausziehen und durch diesen Kanal eine radioaktive Sonde in den Tumor vorschieben. Es würde uns eine völlig andere Bestrahlungsmethode zur Verfügung stellen: Wir könnten praktisch alle Tumoren von innen anfahren und sind die leidige Bewegung des Körpers durch Atmung und Herzschlag los."

    Durch die 3D-Visualisierung entstehen Forschungsprojekte, an die man vor wenigen Jahren noch nicht einmal gedacht hätte. So untersucht Thomas Tolxdorff an der Berliner Charité das Innere des Körpers mit mechanischen Wellen. Sie sollen Chirurgen bei der Unterscheidung von gut- und bösartigen Tumoren im Inneren des Körpers helfen, bevor sie operieren.

    Tolxdorf:
    " Hier haben wir eine neuartige Methode entwickelt, die das Einstrahlen von mechanische Wellen in den Körper visualisiert und somit eine ganz neuartige Trennung von Gewebeeigenschaften ermöglicht. Das sind mechanische Wellen, die in einer Frequenz von 100 oder 200 Hertz in Form von Vibratoren in den Körper eingestrahlt werden. Sie werden im Magnetresonanz-Tomographen aufgenommen, und es kommt schließlich zu einer Entsprechung einer "Palpation", eines Ertastens des menschlichen Körpers, was normalerweise nur außen möglich ist, dann auch im Inneren. Und bei der Entscheidung, ist es ein gutartiges oder bösartiges Gewebe, ist diese Darstellungstechnik wichtig, um eine Entscheidung treffen zu können, muss überhaupt operiert werden oder nicht?"

    Genial, sage ich zu dem Leiter des Instituts für Medizinische Informatik. Warum macht man das nicht routinemäßig? Weil wir forschen. Wissen die Hirnchirurgen von Ihrer Arbeit? Alle! Und die sind nicht scharf drauf? Doch. Aber das braucht Zeit, sagt Tolxdorff, und die Industrie muss einsteigen. Es gibt viele gute Ideen, aber bis es dafür Maschinen gibt, die dann auch für ein Krankenhaus bezahlbar sind, kann es dauern. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis sich Computertomographen durchgesetzt haben.

    Im Kern hat alles, was Tolxdorff, Meinzer und Co. in ihren Instituten forschen, mit Mustererkennung zu tun. Die Diagnoseverfahren wie die Kernspintomographie liefern genug Daten, ja so viele Daten, dass wir Menschen, die Radiologen, die Chirurgen nur einen kleinen Teil davon sehen und bewerten können. Über 4000 Graustufen pro Bild, von denen unser Auge immer nur ein-, zweihundert unterscheidet. Man rudert also im PC so lange im Graustufenbrei herum, bis eine Struktur aufzutauchen scheint, die der Mediziner kennt. Und Erkennen heißt:

    Tolxdorf:
    " Es wird dem Muster eine Bedeutung zugeordnet. Bei dieser Entscheidung kann die Informatik helfen, indem sie bei der Bestimmung des Gewebes genauere Aussagen machen kann, etwa: Dieses Wellenmuster ist charakteristisch für ein Astozytom im Unterschied zu einem Menignom, was eben gutartig wäre."

    Region Growing heißt der Algorithmus, der dem Computerprogramm sagt: Dieses Muster könnte ein Leberkarzinom sein. Thomas Allkemper beschreibt die Mathematik dahinter:

    " Das heißt, ich setze in eine bestimmte Struktur ein Saatkorn hinein und sage: Lass das wachsen, guck mal in allen drei Raumrichtungen, wo du ähnliche Dichtewerte findest. Und wenn du weiter wächst und merkst, jetzt verlässt du den Dichtebereich, den ich vorgegeben habe, dann hör auf. Dann kommt der wirklich manuelle Teil: Man muss dann eine Maske definieren und sagen: Das nimm bitte wieder zurück. Das ist ein virtuelles Radiergummi, auf denen ich quasi auf meinen Blaupausen, die alle hintereinander gesetzt später einmal ein 3D-Modell ergeben, hingehe und sage: Das gehört nicht mehr dazu, das gehört dazu."

    Meinzer:
    " Es ist also in dem Sinne kein Auflösungsproblem, sondern ein Wahrnehmungsproblem. Der Mensch kann keine Pixel sehen, der Mensch sieht Objekte. Man schaut etwas an und sieht einen Ball, eine Leber, eine Wolke. Und jetzt kommt mein armer Rechner, und der sieht Pixel und ordnet diese nicht automatisch zu Gruppen zusammen. Und diese Fähigkeit, zusammengehörige Pixel als zusammengehörig zu erkennen, haben wir nicht verstanden. Wir wissen nicht, wie das menschliche Auge diesen kognitiven Prozess durchführt, und deswegen können wir keine Programme dazu im Rechner schreiben."

    Was den Pionier der 3D-Visualisierung am Deutschen Krebsforschungszentrum einerseits wurmt, andererseits eine vorläufige Antwort auf alle Vorwürfe gibt, die sagen: Die Medizin wird durch das, was Ihr da macht, durch Eure Bits und Bytes kälter, unmenschlicher, und mit Euren Echtzeit-Anwendungen wollt Ihr sowieso die Chirurgen durch Roboter ersetzen.

    Meinzer:
    " Ich möchte ausdrücklich sagen: Das hat nichts mit Robotik zu tun. Ich möchte dem Chirurgen schlaue Instrumente in die Hand drücken, Smart Instruments, mit denen er in der Lage ist, Eingriffe zu machen, und falls er sich grob verfährt - nach der Meinung meines Rechners - dass man ihm sagt: Jetzt schalten wir den Laserstrahl mal ab, lieber Kollege. Wenn Sie das trotzdem so machen wollen, dann übernehmen Sie jetzt die Verantwortung, und auch das Kommando über die Maschine. Also die Deutung und die Verantwortung wird immer beim Chirurgen bleiben."

    Helmut Friess, Pankreas-Chirurg:

    " Das Problem an der Bauchspeicheldrüse ist, dass sie von vielen großen Gefäßen umgeben ist, und die große Vene, die das ganze Blut aus dem Darm zusammensammelt und in die Leber ableitet verläuft hinter der Bauchspeicheldrüse, und ohne dieses große Blutgefäß können Sie praktisch nicht leben. Wenn Sie es bei einer Operation verletzen, gibt es natürlich Probleme für den gesamten Dünn- und Dickdarm dieses Patienten, und das ist mit dem Leben nicht zu vereinbaren. Deshalb müssen wir, wenn wir an der Bauchspeicheldrüse operieren, auf diese Gefäße besonders Rücksicht nehmen. Wenn Sie die Bauchhöhle eröffnet haben, können Sie häufig nicht erkennen, ob dieses Gefäß durch den Tumor beeinträchtigt wird, sprich, dass der Tumor bereits in dieses Gefäß hineingewachsen ist und wie weit, oder ob das nicht der Fall ist. Wir kriegen eine Wegbeschreibung und können uns im Vorfeld viel besser orientieren, welche Gefäße in den Tumor mit einbezogen sind."

    Meinzer:

    " Der Pankreas hat sich sehr lange seiner Darstellung entzogen, weil er ein sehr schwaches, kontrastarmes Signal hat. Er springt einem nicht freiwillig aus den Daten ins Auge, es ist sehr neblig. Aber nachdem wir uns jetzt fünf Jahre mit dem Pankreas herumschlagen, haben wir gelernt, wie man ihm beikommt. Wir wissen jetzt, wo er liegt, und wenden die ausgereiften Programme von der Leber "einfach" auf den Pankreas an, und es ist schon ganz nützlich."

    Friess:

    " Das Dilemma ist immer noch da. Wir wünschen uns, dass die Radiologie uns diese Bauchspeicheldrüsen-Tumoren viel schneller erkennen lässt. Die neue 3D-Methode basiert natürlich auf den Daten der Radiologie, also auf den Daten, die in der Computertomographie erfasst werden, diese Daten werden weiter bearbeitet. Aber was uns die 3D-Visualisierung natürlich gibt, ist eine viel bessere räumliche Darstellung vom Tumor [Telefon klingelt] zum verbleibenden Restgewebe und natürlich vom Tumor zu den umliegenden Gefäßen. [Telefon klingelt, "Ja? Ihr habt angefangen? Ja, ist gut, tschüss"]"

    Helmut Friess muss zur nächsten Patientin, einen Stock tiefer. Die letzte Patientin ist nach der fünfstündigen Operation, bei der sie Bauchspeicheldrüse und die Milz verlor, wieder aus der Narkose aufgewacht und guter Dinge. Die nächste Operation wird schwieriger, weil es um die Entfernung eines Teils des Pankreas geht.

    Friess:
    " Die 3D-Visualisierung von Tumoren in der Bauchspeicheldrüse ist heute noch in den Kinderschuhen. Wir können sie hier glücklicherweise mit dem Herrn Meinzer von DKFZ gemeinsam durchführen. Aber wir operieren hier in der Klinik im Durchschnitt 40 bis 50 Patienten mit Bauchspeicheldrüsenerkrankungen pro Monat, und wenn wir die alle zum Herrn Meinzer schicken würden, dann könnte der Herr Meinzer leider keine Forschung mehr machen und dieses System weiterentwickeln, sondern er müsste den ganzen Tag, von Morgens bis spät Abends daran arbeiten, uns all diese Prozesse zu visualisieren."

    Helmut Friess streift den Mundschutz über, zieht die Handschuhe an. Ich nehme mir später in seinem Sekretariat noch die Broschüre des Europäisches Pankreas Zentrums mit. Das hier ist das Europäische Pankreas Zentrum. Auf dem Schreibtisch liegen Entwürfe für ein Logo, was diesen Bereich der Chirurgie künftig zieren soll. Leider sieht die Bauchspeicheldrüse, diese für den Körper so immens wichtige, ja, Bratwurst, nicht so appetitlich aus wie ein Herz oder eine Niere.

    Für Hans Peter Meinzer ist der Sprung erst in den letzten drei Jahren passiert. Seitdem sind die Rechner schnell genug - normale PCs, seitdem gibt es Software, die etwas taugt und auch in Echtzeit stabil läuft. Seitdem liegen die Lebern und Herzen, Lungen und Bauchspeicheldrüsen am Tag nach den Tomographie-Aufnahmen in wunderbaren 3D-Ansichten vor. Mit ein wenig mehr Rechenaufwand erstellen Medizinformatiker auch Bewegtbilder von Lungen und Herzen her. Viele Probleme wie Herzklappen, die zu langsam schließen, sind nur in der Bewegung zu erkennen.

    Gibt's dann überhaupt noch etwas zu tun? Hans Peter Meinzer sieht an der Plastikwirbelsäule seiner Mutter auf dem Tisch vorbei auf das schöne Heidelberg im Abendlicht. Ja, der ganze Unterbauch liegt völlig im Grau. Die Prostata, frage ich? Meinzer nickt.

    " Wirklich sehr schwierig. Und noch zu sehen, wo ist der Tumor innerhalb der Prostata. Also ich sehe da oft, mit meinem ungeübten Auge - da sehe ich nichts."

    Und wenn die auch abgehakt ist - wir dann die Medizininformatik überflüssig, weil die Radiologen die Maschinen haben, die das alles für sie machen?

    Meinzer:
    " Also das, was wir jetzt tun, muss sich aus unseren Labors herauslösen, das muss Routine im Krankenhaus werden. Ich bin auch sicher, dass in 5 Jahren - jetzt sag ich mal so eine Zahl - sich die 3D-Visualisierung in der Radiologie als Standardverfahren etabliert hat. Dann wird man sich gar nicht erinnern mögen, was man da herum überlegt hat an 2D-Schichtserien. Das wird Standard sein, und dieser Teil unserer Forschung wird dann an der Front benutzt werden und nicht mehr bei mir im Labor. Und da sag ich: Gott sei Dank!"