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Bildungsgerechtigkeit "nur eine verkommene Floskel"

Studierende für ihre Belange sensibilisieren, möchte Moska Timar, die soeben in den Vorstand des studentischen Dachverbandes fzs gewählt wurde. Ein großes Thema bleibt, "die Studierbarkeit der Studiengänge" weiter zu verbessern.

Moska Timar im Gespräch mit Lothar Guckeisen | 03.09.2010
    Lothar Guckeisen: "Wir starten hoch motiviert in eine arbeitsreiche Amtszeit." Das Zitat stammt nicht von einem Politiker, sondern von einer Studentin. Sie heißt Moska Timar, studiert Sozialökonomie an der Uni Hamburg, und sie ist neu im vierköpfigen Vorstand des studentischen Dachverbandes fzs. Seit gestern ist sie offiziell im Amt. Frau Timar, Glückwunsch zu Ihrer Wahl und wie war der erste Tag?

    Moska Timar: Der erste Tag war ganz gut. Also er fing ruhig an, wir haben uns im Vorstand zusammengesetzt und sind die verschiedenen Themengebiete durchgegangen und haben so ein bisschen unsere Agenda für das nächste Jahr festgelegt.

    Guckeisen: Das würden wir natürlich gern erfahren, was hat es auf sich mit dieser Agenda, die arbeitsreiche Amtszeit? Welche Themen meinen Sie damit konkret?

    Timar: Das sind im Prinzip die Themen, die ja auch im Bildungsstreik thematisiert worden sind. Das ist zum einen, die Studierbarkeit der Studiengänge weiter voranzutreiben, dafür zu sorgen, dass ausreichende Master-Kapazitäten sichergestellt sind, die Studienfinanzierung, dass das bedarfsgerecht ausgestaltet ist, mehr Mitbestimmung für die Studierenden. Und all solche Dinge, dass die Studiengebühren natürlich wieder zum Thema werden und so weiter und so fort. Das ist eine Fülle von Dingen.

    Guckeisen: Sie haben weitere Proteste auch angekündigt gegen Studiengebühren. Da fragt man sich natürlich, jetzt, nachdem im größten Bundesland, NRW, die Gebühren wieder abgeschafft werden, meinen Sie, dass Sie da noch ausreichend Studierende mobilisieren können dafür?

    Timar: Das ist natürlich immer die Frage, ob man Studierende dazu mobilisieren kann. Aber die Erfahrungen haben uns gezeigt, dass es immer sinnvoll ist, Studierende für ihre Belange zu sensibilisieren. Und da ist es natürlich auch sinnvoll, im nächsten Jahr wieder das Thema anzugehen, das ist ganz klar.

    Guckeisen: Ein gutes Beispiel ist ja auch das Thema Bologna, die vergangenen Studentenproteste haben das ja auch als Thema auf die Agenda gehoben. Man hat den Eindruck, sie haben durch die Proteste auch Politik und Hochschulen zum Umdenken gebracht. Aber wie ist das aus Ihrer Sicht mit dem Handeln, wird jetzt auch danach gehandelt, spüren Sie da was?

    Timar: Na ja, das Problem ist, dass so was oder Bildungsgerechtigkeit sehr schnell zu einer Floskel verkommt. Natürlich muss gehandelt werden. Also es gab viele Erfolge, es ist zumindest in den Köpfen der Politiker eingepflanzt worden, dass da was passieren muss, dass da was ist, was schiefläuft. Es gab eine Bologna-Konferenz, es gibt jetzt Diskussionen darüber, wie die Dinge studierbarer gemacht werden können. Aber es ist nicht genug. Also wir müssen auch noch weiterkämpfen, müssen zusammen weiterkämpfen, damit überhaupt etwas erreicht wird. Denn oft ist es nur eine verkommene Floskel. Wir wollen auch Bildungsgerechtigkeit mit Konzepten, die dahinterstehen, die dann auch umgesetzt werden.

    Guckeisen: So, wie werden im nächsten Jahr viel noch von Ihrem Verband hören. Kommen wir mal zu Ihrer Person, was hat Sie eigentlich motiviert, sich zur Wahl zu stellen?

    Timar: Na ja, ich war an meiner Hochschule seit dem ersten Semester aktiv, habe eine Hochschulgruppe gegründet, war dort in diversen Gremien auch aktiv. Ich wurde dann gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, für den fzs-Vorstand zu kandidieren. Und das konnte ich mir sehr gut vorstellen, weil ich der Meinung bin, dass man Universität nicht isoliert voneinander betrachten kann. Es ist ein bundespolitischer Trend, der dort vor sich geht. Studierendenschaften haben alle mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Und da war der fzs als Dachverband die mögliche Plattform, dort was zu bewegen.

    Guckeisen: Was bedeutet das, wenn man da jetzt im Vorstand sitzt, wie viel Zeit nimmt das eigentlich in Anspruch?

    Timar: Ach, es ist eigentlich ein Vollzeitjob. Also man betreut Ausschüsse, man fährt in die verschiedenen Bundesländer zu den verschiedenen ASten, ist immer erreichbar, also wirklich abschalten geht da natürlich nicht. Also, wir nehmen unsere Sache sehr ernst. Und dementsprechend stecken wir da auch sehr viel Zeit rein. Also ich kann das jetzt noch nicht einschätzen, ich weiß nur, dass mein Kalender für den September sehr, sehr voll ist, jetzt schon.

    Guckeisen: Und Sie stehen kurz vor dem Abschluss des Bachelor-Studiums, haben Sie mir vorher erzählt.

    Timar: Genau.

    Guckeisen: Können Sie das zeitlich miteinander koordinieren?

    Timar: Na ja, ich habe mir vorgenommen, meinen Bachelor jetzt so weit abzuschließen. Ich habe meine Bachelor-Arbeit noch nicht ganz fertig geschrieben, das muss nebenher laufen.

    Guckeisen: Insgesamt ist das hochschulpolitische Engagement der Studierenden eher gering. Das wird auch immer damit begründet, dass man sagt, na ja, das kriegt man nicht mehr so ganz miteinander überein, zu viel im Bachelor und so weiter – sehen Sie das auch so oder würden Sie sagen aus der Erfahrung, die Sie jetzt machen, nein, es geht doch?

    Timar: Na ja, also man muss schon sagen, dass die Bedingungen an den Hochschulen es nicht unbedingt hergeben, dass man sich gut für hochschulpolitische Belange einsetzen kann. Das ist zum einen das strenge Bachelor-Master-Korsett, dann auch die finanzielle Lebensrealität vieler Studierender, die neben der Universität auch jobben müssen. Und das Gefühl, dass eine echte Mitbestimmung fehlt. Also, um sich hochschulpolitisch zu engagieren, ist meistens noch ein Privileg und es ist systemisch bedingt, dass es nicht so einfach möglich ist. Also es nicht so, dass es kein Interesse gibt. Es ist meistens einfach den Studierenden nicht möglich, sich über ihr Studium hinaus und nach dem Nebenjob auch noch um hochschulpolitische Belange zu kümmern.

    Guckeisen: Und Sie versuchen es aber trotzdem. Da wünsche ich Ihnen viel Spaß bei Ihrer Arbeit und auch Erfolg in Ihrem neuen Amt. Besten Dank für das Gespräch!