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Bildungsmisere in Deutschland:

Der Auftrieb an Presse- und Interessenvertretern am Dienstag Abend war enorm: In Berlin stellte die KMK, die Kultusministerkonferenz, die von ihr in Auftrag gegebene PISA-Ergänzungsstudie zur Leistungsfähigkeit deutscher Schüler vor. Etliche Teilergebnisse waren zwar schon im Vorfeld durchgesickert und heiß diskutiert worden, aber das fand die KMK-Präsidentin, Thüringens Bildungsministerin Dagmar Schipanski, eigentlich gar nicht so schlecht.

Armin Himmelrath und Nina Magoley |
    Endlich hat Bildung den Stellenwert, der ihr nach unserer Auffassung, nach Auffassung der KMK gebührt. Bildung ist eben kein Thema für kleine Expertenrunden, die in politischen Hinterzimmern tagen - nein, die Schulbildung gehört zu den wichtigsten Aufgaben eines Landes. Und es ist daher richtig, dass das schlechte internationale Abschneiden Deutschlands dieser Diskussion ein besonderes Gewicht verleiht und das Megathema Bildung jetzt im Vordergrund steht.

    Allerdings: Mit den Ergebnissen können und wollen die Bildungsminister der Länder nicht zufrieden sein. Denn PISA-E differenziert nur das, was die internationale Vergleichsstudie PISA schon im vergangenen Dezember offenbarte: Deutsche Schüler sind in den Naturwissenschaften und in Mathematik wie auch im Leseverständnis noch nicht einmal internationaler Durchschnitt. Dass es dabei erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern gibt, belegt die gestern vorgestellte Untersuchung. Dagmar Schipanski:

    Mit Sorge und Aufmerksamkeit registrieren wir die Niveauunterschiede der Schüler zwischen den einzelnen Ländern wie auch die aufgezeigten Unterschiede, die sich aus sozialen Ungleichheiten ergeben. Beide stellen eine zentrale Herausforderung für das zukünftige bildungspolitische Handeln dar, das eine nachhaltige Reduzierung dieser Unterschiede in den bildungs- und Qualifizierungschancen der heranwachsenden Generationen anstreben muss. Solche Unterschiede zu vermindern erfordert gemeinsames Handeln der Länder, aber nicht Einheitsrezepte, die den unterschiedlichen strukturellen Gegebenheiten und Problemlagen der Länder nur Rechnung tragen.

    Im Klartext: Die 16 Landesminister wollen sich zwar auf eine grobe Richtung zur Verbesserung der Schulen verständigen, jede weitergehende Einmischung in ihre Kompetenzen verbitten sie sich aber energisch. Dabei legen die Ergebnisse der Studie eigentlich nahe, dass der Handlungsbedarf in den verschiedenen Ländern höchst unterschiedlich ausgeprägt ist. Befragt wurden 50 000 Schüler im Alter von 15 Jahren. Beim Leseverständnis zeigten Schüler in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland die besten Leistungen. In Mathematik sind auch Thüringen und Schleswig-Holstein vorne dabei, in den Naturwissenschaften Thüringen und Rheinland-Pfalz. Die letzten Plätze im nationalen Vergleich nehmen in allen drei Kategorien die Länder Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Bremen ein. Im internationalen Vergleich freilich pendeln alle Bundesländer rund um den OECD-Durchschnitt, lediglich Bayern kann sich in einzelnen Bereichen mit Staaten wie Schweden oder Österreich messen und sich etwa in der Lesekompetenz auf dem zehnten Platz behaupten. Doch das ist nur eine theoretische Platzierung, schließlich wird die Bundesrepublik international nur mit ihren Durchschnittsleistungen gewertet. Jürgen Baumert, der am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung die PISA-Untersuchungen leitet, warnt deshalb vor übereilten Schlüssen. Deutsche Schüler würden nicht dadurch besser, dass nun flächendeckend das bayerische Modell kopiert werde.

    Der erste wichtige Befund ist, dass der Bezugspunkt für die Weiterentwicklung von Schulen und Unterricht in allen Kompetenzbereichen primär im Ausland liegt und nicht im Vergleich der Bundesländer in der Bundesrepublik. Dies gilt insbesondere für die erfolgreichsten Bundesländer, denn ihre Herausforderung ist es, sich mit den besten und stärksten OECD-Staaten zu vergleichen, um dann im nächsten Schritt wirklich Partner an vorderster Front zu werden.

    Jetzt kommt es darauf an, sagt der Bildungsforscher, die Studie genau zu interpretieren und so die Schwächen der einzelnen Ländern zu analysieren. Baumert geht jedoch davon aus, dass manche Zusammenhänge für alle Bundesländer gelten:

    Ein Land, das erfolgreich im Lesebereich ist, ist tendenziell auch erfolgreich in der Mathematik und den Naturwissenschaften. Dies weist darauf hin, dass die Unterschiede oder die Ursachen für Unterschiede zwischen den Bundesländern primär, aber nicht ausschließlich in den gesellschaftlichen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen der Länder der Bundesrepublik zu suchen sind. Wir haben große Differenzen, alle sind vertraut mit dem West-Ost-Gefälle, aber dies sind nicht die einzigen Unterschiede. Auch zwischen den alten Ländern oder innerhalb der neuen Länder gibt es Strukturunterschiede, die für Bildungsergebnisse wahrscheinlich nicht unbedeutend sind.

    Genau um diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Länder aber dreht sich seit Bekannt werden der ersten Auswertungen der politische Streit. Schneidet Bayern nur deshalb so gut ab, weil dort noch nicht einmal jeder fünfte einer Jahrgangsstufe das Abitur macht? Haben Nordrhein-Westfalen, aber auch Bremen und andere Länder mit großen städtischen Ballungsräumen wirklich schwierigere Sozialverhältnisse, die die Resultate drücken? Und lässt sich die Trennung in CDU-CSU-regierte Länder mit guten Ergebnissen und SPD-regierte Länder mit schlechten Ergebnissen wirklich aufrecht erhalten? Schließlich spiegelt die Studie mehr als ein Jahrzehnt an Bildungsgeschichte wider. Und da stellt sich die Frage, ob für die Ergebnisse in Hessen oder im Saarland die aktuelle CDU-Regierung oder die frühere SPD-Regierung verantwortlich ist. Viel Spielraum also für Interpretationen und Wahlkampfgeplänkel. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Dagmar Schipanski, kann solchen parteipolitischen Scharmützeln derzeit nur wenig abgewinnen.

    Wir haben keine Bildungsolympiade veranstaltet, Sinn war auch nicht, Gewinner oder Verlierer zu ermitteln, sondern es geht darum, voneinander zu lernen und den Wettbewerb voranzutreiben.

    Schipanskis Appell an das Gemeinschaftsgefühl der 16 Landesminister verhallte freilich ungehört. Hans Zehetmair, CSU-Wissenschaftsminister in Bayern, sieht sich eindeutig auf der Siegerseite und will mit seinem Stolz auch nicht hinter dem Berg halten:

    Als wir vor in der KMK vor knapp 5 Jahren den Beschluss gefasst haben, dass wir diese PISA-Studie machen, nachdem wir ja in der Zeit schon mit der TIMMS-Studie befasst, da musste jeder wissen, dass angenehme und unangenehme Dinge herauskommen. Und ich halt auch gar nix davon, jetzt Verwässerungsfabrik zu machen und so zu tun, als wäre das alles eigentlich recht nett und schön und wir kriegen das schon hin. Wir sind als Hochschulminister es gewohnt, dass wir die Rankings wollen, dass im Bereich der Hochschulen immer wieder auch rauskommt, wer wo schlecht ist, und wer sich nach der Decke strecken muss, besser zu werden. Nur in der Schule müssen die politischen Rahmenbedingungen enger gefasst werden, ob auch in Zukunft in gleicher Weise ist eine eigene Frage, die sich aufwirft, und dass damit natürlich die politische Verantwortung in direkterer Form sich jeweils ergibt.

    SPD-Minister Jürgen Zöllner, der im nationalen Vergleich mit Rheinland-Pfalz gar nicht so schlecht abgeschnitten hatte, wollte das jedoch nicht unwidersprochen stehen lassen.

    Ich halte die Art und Weise, wie von einigen in der öffentlichen Diskussion dieses Thema dieser Studie behandelt worden ist, für unverantwortlich. Unverantwortlich in dem Sinne, dass man die Teilveröffentlichung von Teilen von Listen letzten Endes dazu benutzt, die Überlegenheit eines Systems A gegenüber einem System B zu begründen, weil das zwangsläufig dazu führen muss, dass das, wozu wir uns auf den Weg gemacht haben, eine sachliche Diskussion um das Optimieren des Details und das Ineinanderpassen der verschiedenen Maßnahmen, verhindert wird. Und in Kenntnis dessen, dass Vergleiche immer hinken: Es ist eine Illusion zu glauben, dass man die beste Nationalmannschaft dadurch gewinnt, indem man guckt, wer am weitesten schießt und am schnellsten rennt - dazu gehört mehr.

    Beste Nationalmannschaft? Reinhard Loske, bildungspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, registriert das landespolitische Gezänk der Wissenschaftsminister mit Unverständnis.

    Ich glaube, wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen nur darüber zu diskutieren, wer in der 2. Liga dritter und wer achter wird, sondern wir sollten gemeinsam bestrebt sein wieder aufzusteigen in die erste Liga, und momentan hab ich ein bisschen die Sorge, dass es quasi nur noch den innerdeutschen Vergleich gibt und die internationale Perspektive hinten runterfällt, das wäre schlecht.

    Auch Renate Hendricks, Vorsitzende des Bundeselternrats und als fünffache Mutter mit reichlich Erfahrung in Sachen Schulwirklichkeit ausgestattet, kann die Positiv-Interpretationen mancher Wissenschaftsminister überhaupt nicht nachvollziehen.

    Das erste Ergebnis ist, dass es kein Bundesland gibt, das sich zurücklehnen kann. Es haben alle die rote Karte bekommen. Und wir müssen alle nachbessern. Auch ein Ranking ändert nichts an der Tatsache, dass alle nachbessern müssen.

    Dass nachgebessert werden muss, merken auch die Betroffenen selber. Die Schülervertreter Justus Ackermann und Özlem Demirel klagen jedenfalls über schlechte Erfahrungen, die sie keineswegs nur auf Nordrhein-Westfalen begrenzt wissen wollen.

    Ackermann: An fast allen Schulen herrscht Lehrermangel. Da muss einfach was getan werden. Überall sagt man als Konsequenz für PISA "Lehrerfortbildung". Es müsste aber eigentlich eine Lehrerneueinstellung geben. Dass genug Lehrer da sind, um erst mal jeden Kurs zu geben, in der vollen Stundenanzahl, dass es Aushilfslehrer gibt, wenn einer mal krank wird, dass das Kollegium vollständig ist. Und dass es einen guten Querschnitt gibt: junge Lehrer, mittlere und alte. Das ist der aller erste Punkt, der dringend mit mehr Geld gemacht werden müsste.

    Demirel: Das ist schon ziemlich viel, was die Lehrer leisten müssen. Klar gibt es da Lehrer, die ihre Schüler vernachlässigen, da nicht nachhaken können. Die müssen ja auch ihren Stoff durchziehen. Es gibt ein Curriculum, wo drin steht, das, das und das muss abgehandelt werden, in diesem Jahr. Und wenn das nicht abgehandelt wird, sind erst mal die Lehrer rechenschaftspflichtig. Und wenn der Lehrer dann mal sagen würde, okay, ich mache das jetzt nicht, und dafür versuche ich jetzt mal, meinen Schülern zum Beispiel den Satz des Pythagoras näher zu bringen, weil sie die Grundidee nicht verstanden haben, das geht einfach nicht. Es geht nicht, weil die Lehrer einfach zu viel Druck haben. Sie haben zu viele Schüler, sie können sich nicht um jeden einzelnen kümmern. Sie haben zu viel Unterrichtsstoff, den sie durchziehen müssen. Es fällt Unterricht aus, die haben nicht genug Unterrichtsmaterialien, also, das ist in ganz Deutschland so.

    Ackermann: Es gibt eine Gruppe, die ist auf jeden Fall aus Frust da unten, weil sie in den Jahren zuvor vielleicht schlecht behandelt wurde, sie wurden einfach benachteiligt. Das kann passieren. Von Lehrern, von Mitschülern, von wem auch immer. Und dann baut sich da ein Frust auf, man hat einfach keine Lust mehr, da groß etwas zu tun. Man will einfach nur bis zur Zehn und abgehen, Mittlere Reife, Abitur und weg damit. Andere, bei denen ist es Faulheit. Die könnten wesentlich besser sein, wenn sie sich anstrengen würden Und es gibt eine Gruppe, die es nicht besser kann. Die sich zwar bemühen, die es wollen, aber die es einfach nicht können.

    Für den Erziehungswissenschaftler Walter Thomann waren die PISA-E-Ergebnisse ebenfalls keine Überraschung. Thomann leitet an der Wuppertaler Universität das Institut für Schulforschung und Lehrerbildung. Außerdem war er zwischen 1991 und 1994 in Brandenburg an der Neukonzeption der Lehrerausbildung und am Wiederaufbau des brandenburgischen Schulsystems beteiligt. Die PISA-Studie, konstatiert Walter Thomann, gehe mit ihrer Frage etwa nach dem Leseverständnis letztlich an der Lebenswirklichkeit der heutigen Kinder und Jugendlichen vorbei.

    Die Umwelt verlangt von den Kindern in den Städten gar nicht mehr, dass sie lesen können müssen. Sind alles nur noch Bilder, Comics. Und wo soll die Anforderung oder wo soll die Motivation für Lesen herkommen?

    Die Schuld jetzt auf eine falsch konzipierte Studie zu schieben, sei jedoch ein Trugschluss, so Walter Thomann. Er sieht die Pisa-Ergebnisse vielmehr als Ansporn für eine bessere, kreativere Schulwirklichkeit.

    Wenn es denn so ist, dass wir unsere Umwelt bewältigen können, ohne dass wir lesen können, dann ist der PISA-Lesetest ein falscher Test auf die Anforderungen von Welt. Und wenn Schreibenkönnen nicht mehr gefragt ist, weil wir nur noch Telefonieren, also sprachlich miteinander kommunizieren, und wenn wir etwas festhalten wollen, das auf Band sprechen - wenn das so ist, dann gibt es keinen Sinn mehr für Schreiben-Lernen. Dann müssen wir ihn wieder künstlich schaffen. Die Schule könnte es tun, aber eben in einer [...] Konsumwelt, die so stark ist wie unsere heutige, da müssen wir uns in den Schulen anstrengen, wenn wir die traditionellen Werte hochhalten wollen.

    Das sei aber nur möglich und effektiv, wenn die Lehrerausbildung endlich entstaatlicht und von bürokratischen Verordnungen befreit werde. Denn bisher funktioniere die Lehrerausbildung und damit auch die Pädagogik an den Schulen nach den einfachen Prinzipien des 19. Jahrhunderts: Ich sage dir, was du lernen sollst, und du musst das möglichst genau so wiederholen. Diese Form von Schule, so Walter Thomann, habe längst ihre Existenzberechtigung verloren. Eine Kritik, die an den Lehranstalten erwartungsgemäß vehement zurückgewiesen wird. Klaus Zimmermann, Schulleiter des Kölner Apostel-Gymnasiums, fühlt sich jedenfalls für den nordrhein-westfälischen Platz im nationalen Mittelfeld nicht verantwortlich und verweist auf die landespolitischen Rahmenbedingungen.

    In Bayern sind viele Fehler nicht begangen worden, die wir in NRW begangen haben. ZUM BEISPIEL die, dass in Bayern über lange Zeit, als hier Einstellungsstop war, gute und sehr gute Lehrer eingestellt worden sind, trotz knapper Kassen. In NRW haben wir eine Situation, wo sehr viel Unterricht ausfällt, dadurch dass Lehrer in bestimmten Fächern fehlen, dass es keinen Ersatz gibt, das, denke ich, sind alles hausgemachte Ursachen.

    Diese Ursachen ließen sich jedoch beheben, ohne das gesamte Schul- und Bildungssystem umzukrempeln. Das bedeute letztlich, sich offensiv zum Leistungsprinzip zu bekennen. Klaus Zimmermann:

    Ich denke, dass die oft so als Sekundärtugenden gebrandmarkte Eigenschaften wie Anstrengungsbereitschaft, Fleiß, Verlässlichkeit, einfach wichtig sind für den Schulerfolg. Und wenn zum Beispiel Eltern meinen, sie müssten, weil der Urlaub billiger ist, eine Woche vor den Ferien nach Mallorca fahren, dann geht es nicht nur um die eine Woche, die die Kinder dann fehlen, sondern es geht auch um so ein Bewusstsein, was bei den Kindern geschaffen wird, was sich sicherlich für den Lernerfolg nicht positiv auswirkt. Und ich denke, vom Elternhaus fehl auch manchmal die Verlässlichkeit der Schule gegenüber. Es gibt genügend Fälle, wo nicht mit der Schule zusammengearbeitet wird, sondern gegen die Schule gearbeitet wird.

    Walter Thomann:

    Man sagt, das was wir machen ist gut, wenn es gut gemacht würde. Das heißt, wir wollen nur das, was wir machen, verbessern. Und das langt nicht mehr. Wir müssen Schule, und der Titel ist auch nicht neu, Schule neu denken. Das Bildungsangebot für unsere Kinder neu denken. Die Lehrerausbildung neu denken; vielleicht gar nicht mehr Lehrer ausbilden in dem Sinne, sondern Menschen ausbilden, die in der Lage sind, mit Kindern zusammen ... ja zusammenzuarbeiten, Kindern beim Lernen zu helfen. Und das ist ne ganze Menge mehr als ihnen nur Mathematik beizubringen oder Lesen und Schreiben.

    Im Grunde, sagt der Erziehungswissenschaftler Walter Thomann, müsse man sogar das Denken in den alten Schulkategorien aufgeben und ein ganzheitliches Bildungskonzept umsetzen, das bereits lange vor der Einschulung greift. Diese Forderung nach einer grundlegenden strukturellen Reform der Vorschulzeit unterstützt auch die Bundes-Elternratsvorsitzende Renate Hendricks.

    Es ist einfach ein Drama, dass wir zwar Kindergärten haben, und in der Zwischenzeit auch alle einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz haben, aber die Kindergärten von den Eltern teilweise mit sehr viel Geld finanziert werden müssen, gleichzeitig aber für die Kindergärten keinerlei verbindliche Bildungsstandards überhaupt definiert sind. Da sind wir ja noch weiter zurück, als in den Schulen. Das heißt, wir werden auch in den Kindergärten eine Verbindlichkeit einführen müssen. Ich bin auch der Auffassung, dass die Kindergärten kostenlos für Eltern sein müssen. In die frühe Förderung werden wir mehr staatliches Geld hineinlegen müssen....und ich denke, wir werden auch noch mal über Studiengebühren nachdenken müssen....und die Tatsache, dass ich ein Studium absolviert habe, ist für den jeweils Einzelnen anschließend, für die Frage der Zukunftsperspektiven ein viel höherer Mehrwert, als wenn ich unten den Kindern die Frühförderung nicht zukommen lasse und ihnen damit möglicherweise den Weg zum Studium demnächst überhaupt versperre.

    Solche Änderungen, sagt Walter Thomann, kann man durchaus auch ohne großen finanziellen Aufwand umsetzen. Das übliche Argument der Bildungspolitiker, solche Reformen seien unbezahlbar, hält er für absolut nicht stichhaltig.

    Wenn wir den Bereich Jugend-Freizeit, Kindertagesstätten, wo wir überall Geld reingeben, zu den Grundschulen packen, dann können wir damit ne ganze Menge mehr machen, als wenn wir das Geld an unterschiedlichen Stellen lassen. Wir müssen heute die Bildungsräume für Kinder als gesamtkommunale Aufgabe entwickeln, und nicht nur als Aufgabe eines Stadtbetriebs Schule.

    Aber auch innerhalb des bestehenden Schulsystems, ergänzt Renate Hendricks, lassen sich durch mehr Engagement aller Beteiligten schnell spürbare Verbesserungen erzielen. Das gelte insbesondere für die Kommunikation zwischen Lehrern und Eltern.

    Wir haben heute die Situation, dass es ein Halbjahreszeugnis gibt. Wenn Sie ein Kind haben, was versetzungsgefährdet ist, gibt es vorher noch mal einen blauen Brief, aber wir haben nicht das, was zum Beispiel die skandinavischen Länder auszeichnet, dass sie den regelmäßigen Kontakt zu den Eltern haben, die regelmäßigen Entwicklungsgespräche, in denen dann die Eltern auch darüber informiert werden a) wo das Kind steht, b) was gemacht werden muss, was die Elter auch möglicherweise unterstützend tun müssen. Also, die Frage Förderbericht für jedes einzelne Kind, Kommunikation, intensiver, mit den Eltern über ihre Kinder, und dann aber auch das Angebot von der Schule: Was könnte man jetzt tun, damit Kinder nicht auf der Strecke bleiben, sondern im System weitergefördert werden.

    Weil mit diesen ersten möglichen Schritten keine Angriffe auf das föderale Bildungssystem und die konkrete Politik der 16 Länder verbunden sind, kann die Kultusministerkonferenz solche Forderungen auch bedenkenlos unterstützen. Und damit die erhofften Ergebnisse nicht verpuffen, werde man die Entwicklung in den Ländern anhand von Nachfolge-Studien sehr genau verfolgen, sagt KMK-Präsidentin Dagmar Schipanski.

    Außerdem haben wir bereits im Mai auf der Wartburg beschlossen, im Herbst 2003 zum ersten Mal einen nationalen Bildungsbericht vorzulegen. Dieser wird in Zukunft jedes Jahr veröffentlicht. Wir werden dies als KMK tun, da wir für den Bildungs- und Schulbereich nicht nur zuständig, sondern auch verantwortlich sind und eben nicht der Bund. Die Bundesbildungsministerin sollte sich an dieser Stelle mal in der Verfassung wieder kundig machen.

    So ganz ohne Wahlkampf geht es eben doch nicht.