Archiv


Bildungspolitik ohne Heilsversprechen

Zum Jahresbeginn hat Sachsen-Anhalts Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz (KMK) übernommen. Die wichtigsten Themen des Theologen: Bildungsgerechtigkeit, lebenslanges Lernen und Inklusion.

Von Ulrich Wittstock |
    Kultusministerium Magdeburg, ein Konferenzraum in der ersten Etage. Hier tagt der Schulausschuss des Landes. Lehrerverbände, Gewerkschaft, Vertreter aus den Landkreisen, Wirtschaftsvertreter. Mit leichter Verspätung, federnden Schrittes und einem gewinnenden Lächeln trifft der Minister ein.

    "Ich sag mal einen schönen guten Tag in die Runde. Ich gehe jetzt hier mal lang. Hallo Thomas, da ist die kommunale Familie, sehr schön, die freien Schulen sind auch da, Gymnasien dürfen nicht fehlen."

    Der Minister gibt jedem die Hand, hängt das Jackett über einen Stuhl und setzt sich an die Stirnseite.

    "Also zuerst wünsche ich Ihnen ein gesundes, erfolgreiches, glückliches und fröhliches neues Jahr. Das sind vier Wünsche."

    Dorgerloh wird in der nächsten Stunde das tun, was ihm am meisten liegt: zuhören, fragen, Menschen ins Gespräch bringen.

    Im Arbeitszimmer von Stefan Dorgerloh hängt ein modernes Kunstwerk, das von seinen Mitarbeitern als Mischung aus Röntgenbild und Puppenbühne beschrieben wird. So verwirrend gegenwärtig waren die Kunst, aber auch die Verhältnisse bislang noch nie in Sachsen-Anhalts Kultusministerium. Seit 2011 ist Stefan Dorgerloh Bildungsminister in einer großen Koalition. Dorgerloh ist zwar Sozialdemokrat, aber er ist kein Lehrer, auch kein Bildungsforscher und noch nicht mal ein Verwaltungsexperte. Als Quereinsteiger sieht er sich trotzdem nicht:

    "Meine berufliche Biografie hat an der Evangelischen Akademie begonnen und interessanterweise mit Bildungsarbeit, als Studienleiter für gesellschaftspolitische Jugendbildung - und war dann ja acht Jahre lang Direktor der Evangelischen Akademie, also einer anerkannten und überregional tätigen Einrichtung der Erwachsenenbildung."

    Stefan Dorgerloh, Jahrgang 1966, ist studierter Theologe und erlebte seine Kindheit und Jugend unten den politischen Bedingungen der späten DDR. Als Mitglied der jungen Gemeinde blieb ihm der Zugang zum Abitur versperrt. Die Hochschulreife erlangte er nur über den Umweg einer Berufsausbildung:

    "Ich hab ja drei Jahre auf dem Bau gearbeitet, richtig so als Auszubildender in einer ganz normalen Brigade und als Jungfacharbeiter dann nachher auch noch. Das sind schon sehr prägende Erfahrungen, wenn man aus einem bildungsbürgerlichen Elternhaus kommt, Geigenunterricht hat und dann auf dem Bau landet. Das sind schon biografische Brüche, die mir aber auch gut getan haben und die ich in meiner Biografie nicht missen möchte."

    Dass Dorgerloh als Vorsitzender der Kultusministerkonferenz sich nun für mehr Bildungsgerechtigkeit einsetzen will, verwundert bei einer solchen Biografie nicht. Schulen dürften nicht ausgrenzen, so der Minister. Deshalb setzt er auf mehr Durchlässigkeit des Bildungssystems.

    "Wir brauchen Bildungserfolg für alle. Nicht nur in Zeiten demografischen Wandels, sondern natürlich auch mit Blick auf die Biografie jedes Einzelnen. Ich glaube, dass Bildungsgerechtigkeit ganz wesentlich ist für das Gelingen und auch die Akzeptanz von Demokratie. Das heißt also, wenn ich nicht mehr die gleichen Chancen habe, dann ist auch die Grundsatzfrage gestellt: Wie gerecht ist das System?"

    Dorgerloh will die Bildungsgerechtigkeit in den Mittelpunkt seiner Amtszeit stellen. Und dies wohl auch mit einem speziellen ostdeutschen Blick.
    Denn trotz aller Erfolge im Grundschulbereich: Noch immer besuchen in Ostdeutschland deutlich mehr Schüler Sonderschulen als im Westen. Und 13 Prozent der Schüler in Sachsen-Anhalt verlassen die Schule ohne Abschluss. Viel zu tun also für einen Bildungsminister. Sachsen-Anhalt setzt deshalb also auf Inklusion, also mehr gemeinsames Lernen bei unterschiedlichen Begabungen. Doch gerade hier versage die Moderation des Ministers, kritisiert die Opposition. Claudia Dalbert, Fraktionschefin der Grünen im Magdeburger Landtag:

    "Mein Eindruck ist, die Schulen fühlen sich sehr allein gelassen. Da gibt es keine einfachen Lösungen, aber genau das sind die Punkte, wo eben Moderation, alle Betroffenen an einen Tisch holen, ein gewinnbringender Weg sein könnte."

    Im Prinzip teilt Sachsen-Anhalts Lehrergewerkschaft GEW diese Einschätzung. Von der Umsetzung einer Chancengleichheit sind die Schulen noch weit entfernt. Andererseits hält man den Minister durchaus für fähig, durchaus auch komplexe Veränderungen im Bildungswesen voranzutreiben, allerdings weniger mit Gesetzen und Verordnungen. Sachsen-Anhalts GEW-Chef Thomas Lippmann:

    "Er hat natürlich schon klare Vorstellungen, die nicht völlig ideologiefrei sind. Da bringt er die SPD-Linie schon ein. Aber er kann nach außen auch mit seinem kommunikativen Grundgerüst, was er natürlich auch aus seiner theologischen Richtung mitbringt, das kann er ganz gut einsetzen und kann, denke ich mal, Leute auch ganz gut einbinden."

    Diese Fähigkeit wird möglicherweise in diesem Jahr besonders gefragt werden, denn 2013 ist ein Wahljahr. Bildung ist traditionell ein Wahlkampfthema, selbst wenn die Länder eigentlich für die Bildung zuständig sind. Dennoch müsse auch über das Kooperationsverbot neu diskutiert werden, welches es dem Bund nur über Umwege ermöglicht, Bildungsaufgaben der Länder mitzufinanzieren. Doch der ordinierte Pfarrer Dorgerloh bremst allzu große Erwartungen:

    "Eine Theologie kann über Heilsversprechen reden. Wenn Politik über Heilsversprechen redet, wird's problematisch. Auch das gehört zu den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. Und deswegen tut Politik gut daran, nicht Heilsversprechen abzugeben."